Geigenbauer mit Bibel-Affinität

Martin Schleske baut auf Geigen und Spiritualität

Veröffentlicht am 03.08.2019 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Landsberg am Lech ‐ Klang kann eine besondere Form der Spiritualität sein, findet Martin Schleske. Der Geigenbauer kombiniert schon seit Jahren Handwerk, Wissenschaft und Spiritualität. Das hat ihm tiefe Einsichten und einen besonderen Zugang zur Musik eröffnet.

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Eigentlich ist es nichts weiter als ein physikalischer Vorgang: Ein mit Pferdehaar bespannter Holzstab gleitet über eine Seite, bringt sie zum Schwingen und erzeugt dadurch einen Ton. Den klaren, zarten Klang einer Violine, die in Händen großer Virtuosen ganze Konzertsäle und Menschenmassen in ihren Bann ziehen kann. Aus dem mechanischen Bogenstrich zaubert sie berührende und ergreifende Musik, die Komponisten unterschiedlicher Epochen und Couleur für sie komponiert haben.

Wenn man es richtig macht, kann Musik "in Klang gegossenes Gebet" werden, sagt Martin Schleske. Der Geigenbaumeister aus dem bayerischen Landsberg am Lech baut Streichinstrumente, seit er 17 Jahre alt ist. Außerdem forscht er zu Klang und Akustik und hat in den vergangenen Jahren zwei Bücher geschrieben, in denen er sich der spirituellen Dimension von Klang und Musik widmet. Geigen bauen und Spiritualität gehören für ihn untrennbar zusammen: Er findet, dass sich tiefe religiöse und philosophische Wahrheiten bei der handwerklichen Arbeit erfahren lassen.

Doch was heißt das beim Hobeln, Sägen und Schleifen, wenn aus abgeholzten Bäumen ein Instrument wird? "Im Klang der Geige wird am Ende hörbar, wie es mir beim Bauen ging", erklärt Schleske. Für ihn lauert bei jedem Arbeitsgang eine Gefahr mit zwei Abgründen. Auf der einen Seite spürt er den Hang zum Stolz: Eine großartige Geige bauen, ein Soloinstrument mit einem Riesenklang, der ein Publikum von 2.000 Leuten für sich einnehmen kann. Eine große Versuchung. Doch man kann es damit übertreiben, dem Holz zu viel abverlangen. "Dann wird der Klang konturlos und dumpf."

Zwei Verlockungen beim Geigenbau

Ist Schleske auf der anderen Seite zu ängstlich und will es auf gar keinen Fall übertreiben, entlockt er dem Holz nicht sein ganzes Potential. Der Klang wird dann harsch, penetrant und eng. Deshalb achtet Schleske beim Bauen auf sich und seine innere Verfassung. Elementar dafür ist die richtige Vorbereitung: Schleske hat im Dachgeschoss des Altbaus, in dem sich seine Werkstatt in der Landsberger Innenstadt befindet, eine kleine, spartanisch ausgestattete Kapelle eingerichtet. Dort beginnt er – ungewöhnlich für einen Klangwerker – jeden Tag mit Stille. "Das brauche ich, damit ich in den Händen und bei mir bin", sagt er. So entstünden andere Geigen.

Bild: ©Astrid Purkert

Das richtige Holz richtig zu bearbeiten ist beim Geigenbau zentral. Für Martin Schleske jedoch auch eine Arbeit, bei der Abgründe lauern.

Das Zusammenspiel von Klang und Seele hat schließlich auch dazu geführt, dass Schleske mit dem Bücherschreiben angefangen hat. "Das musste einfach geschrieben werden", sagt er über sein erstes Buch "Der Klang". Darin zieht er Parallelen zwischen dem Geigenbau und den großen Wahrheiten des Lebens. "Mir ging es nicht darum, etwas Neues zu sagen, krampfhaft originell zu sein", sagt er. "Ich wollte einen Weg finden, um Urwahrheiten anders auszudrücken."

Zwiespältige Rolle der Musik

Für Schleske gibt es keine Grenze zwischen der Klang erforschenden und der spirituellen Arbeit – denn beide sind für ihn dasselbe. "Die Forschung ist die große Leidenschaft, das Leben und dessen Ordnungen zu ergründen." Ein Naturwissenschaftler erforsche die Gedanken und Geschöpfe Gottes, wie es auch ein Gläubiger versuche. Damit sieht sich Schleske in einer Tradition jüdischer Wissenschaftler, die Wissenschaft ebenfalls als Tor zur Gotteserkenntnis verstanden haben.

Im Hinblick auf Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung spielt die Musik eine sehr zweischneidige Rolle, findet Schleske – wie auch die Spiritualität an sich: "Es gibt Menschen, die vor allem Gotteserfahrungen suchen und nicht Gott selbst", sagt er. Das sei eine sehr egoistische Einstellung, die die Gottesnähe eher behindere als fördere. Mit der Musik ist es für ihn ähnlich: Vor allem im 19. Jahrhundert gab es eine regelrechte Sucht nach Emotionen und Ergriffenheit. Zum Teil war Musik nicht mehr Ausdrucksform für Überirdisches, sondern an sich göttlich. Für Martin Schleske eine sehr abgründige Tendenz: "Die Frage ist, ob man wirklich nach Sinn und Berufung sucht oder nur in seinen eigenen Erfahrungen baden will." Er begreift Kunst als eine Sprache, die zerstörerisch und heilsam, Segen und Fluch sein kann.

Musik als Sprache ohne Worte

Im besten Fall kann Musik das ausdrücken, was die Sprache nicht verbalisieren kann. Für Schleske kann Musik wie die Zungenrede sein, die der Apostel Paulus beschreibt: "Denn wer in Zungen redet, redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; keiner versteht ihn: Im Geist redet er geheimnisvolle Dinge." (1 Kor 14,2) Dann wird Musik zur Sprache über die Worte hinaus.

Bild: ©Astrid Purkert

Wenn man es richtig macht, kann Musik "in Klang gegossenes Gebet" werden, sagt Martin Schleske.

Diese Stimme möchte er durch seine Geigen den Musikern geben. Deshalb arbeitet er auch nicht simpel Aufträge ab. Wer von Schleske eine Geige haben möchte, muss erst einmal nach Landsberg fahren – denn am Beginn des Prozesses steht das Kennenlernen zwischen Musiker und Geigenbauer. "Ich will herausfinden, was für ein Typ Musiker das ist und was für ein Instrument er braucht." Erst dann geht es an die handwerkliche Arbeit. Schleske hat die Erfahrung gemacht, dass es Musiker gibt, die von ihrem Instrument herausgefordert werden wollen – und andere, die vor allem einen schönen Klang und nicht überfordert werden möchten. "Für die bin ich oft der Falsche", sagt er. Es gab auch schon Musiker, die ihre Instrumente zurückgegeben haben – andere überkamen beim ersten Spielen die Tränen.

Instrumente für die große Bühne

Er baue halt Instrumente für Solisten, sagt Schleske. Deshalb schätzt er es, wenn ein Instrument es seinem Nutzer nicht leicht macht, sondern ein Eigenleben entfaltet – wie beim Kampf Jakobs mit dem Engel: "Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest." (Gen 32,27) Ähnlich sei es vor großem Publikum: Den Fluchtreflex zu überwinden, kostet Kraft – aus einem guten Instrument den besten Klang herauszuholen auch.

Dafür tut Martin Schleske einiges: Ganz bewusst hat der Akademikersohn sich gegen eine Karriere am Schreibtisch und für ein Handwerk entschieden. Ihm sei das Intellektuellendasein zu einseitig, sagt er. Er wolle nicht nur mit dem Kopf arbeiten, sondern das im Kopf gedachte auch an der Werkbank umsetzen. "Herz, Kopf, Physik, Hände, Bauchgefühl und Kunstempfinden – das alles gehört zur Ganzheit des Menschen." Deshalb sorgt er mit selbst betriebener Klangforschung und dem Verfassen von Büchern für Abwechslung in seinem Arbeitsalltag. Seine Talente sind durchaus gefragt: Die Bücher haben es in die Bestsellerlisten geschafft. Für seine Geigen müssen sich Musiker gedulden: Es dauert mehrere Jahre, bis eine Violinistin ihr Instrument in Händen halten kann – und dann steht es jedem Musiker frei, noch Änderungswünsche anzubringen.

Martin Schleske weiß, dass es Musiker gibt, die manchmal lieber auf seinem Instrument spielen als auf einer Stradivari. Mit dem Übervater des Geigenbaus will er allerdings nur ungern konkurrieren. Er macht lieber sein eigenes Ding. Für viele neue ungehörte Stimmen.

Von Christoph Paul Hartmann