Agent provocateur

Veröffentlicht am 15.11.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Der berühmte Dirigent Daniel Barenboim leitet das "West-Eastern Divan Orchestra".
Bild: © KNA
Musik

Bonn ‐ Vier Staatsbürgerschaften, Leiter von drei weltbekannten Orchestern, und so viele Preise, dass er die meisten Auszeichnungen ablehnt: keine Zeit für die Preisverleihungen. Der Dirigent Daniel Barenboim widmet sich lieber der Musik und seinem Lieblingsprojekt, der politischen Dauerprovokation mit dem West-Eastern Divan Orchester. Junge Musiker aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten und anderen Nahoststaaten spielen seit 1999 gemeinsam, um zu zeigen, dass friedliches Zusammenleben möglich ist. Heute wird der jüdische Musiker Barenboim 70 Jahre alt.

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Sein Geburtstagsgeschenk hat sich der in Berlin-Dahlem lebende Maestro selbst gemacht: Am Dienstag präsentierte der Musikdirektor der Mailänder Scala und der Staatsoper Berlin die künftige Barenboim-Akademie für junge Musiker aus dem Nahen Osten gleich neben der Staatsoper. Ein weiteres Nahost-Projekt ist ein Musikkindergarten in Ramallah. Er sagt, dass es keinen Tag gebe, an dem er nicht wegen des israelisch-palästinensischen Konflikts traurig werde.

Barenboims Antwort auf den Sechs-Tage-Krieg

Barenboim begann nach dem Sechstagekrieg 1967, sich für die palästinensische Sache einzusetzen. Er konnte es nach eigener Aussage nicht fassen, dass die Juden, die 2.000 Jahre eine Minderheit waren, 19 Jahre nach der Gründung ihres Staates selbst eine Minderheit unterdrückten. Seine Antwort ist das multireligiöse Symphonieorchester, das er gemeinsam mit dem Literaturhistoriker Edward Said gründete. Nach dem Abschiedskonzert für UN-Generalsekretär Kofi Annan 2007 wurde ihm zusätzlich zur israelischen auch die palästinensische Staatsbürgerschaft angeboten.

„Musik bringt einen in Berührung mit Zeitlosigkeit - und damit Erlösung.“

—  Zitat: Daniel Barenboim

Die anderen Staatsbürgerschaften sind die argentinische und die spanische. 1942 wurde Barenboim in Buenos Aires geboren und galt schnell als Wunderkind. Sein erstes Konzert als Pianist spielte er mit sieben, mit zehn startete er nach dem Umzug seiner Familie von Israel aus seine Karriere, debütierte bei den Salzburger Festspielen. Mit 13 wurde er der jüngste Meister-Schüler aller Zeiten der 1585 gegründeten Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom. Bis zu ihrem Tod 1987 war Barenboim 20 Jahre mit der Cellistin Jacqueline du Pre verheiratet, seine zweite Ehe schloss er mit der Pianistin Jelena Baschkirowa.Seine beiden Söhne sind ebenfalls Musiker, der ältere Hiphop-Produzent, der jüngere Geiger.

Kampf gegen den Tod

Die Musik ist für Barenboim eine Art Versuch, gegen den Tod anzukämpfen, indem man den Klang nicht abreißen lässt. „Wenn ich Musik mache, habe ich schon beim ersten Ton den letzten, das Ende, also den Tod im Blick“, sagte er dem SZ-Magazin. „Musik bringt einen in Berührung mit Zeitlosigkeit – und damit Erlösung“.

Barenboim geht nicht regelmäßig in die Synagoge. Er sagt aber, er fühle sich jüdisch, spüre die Mischung aus Tradition und Schicksal. Als er dieses Jahr zweimal vor Papst Benedikt XVI. spielte – einmal in der Mailänder Scala, einmal im Apostolischen Palast am päpstlichen Sommersitz Castel Gandolfo – schien den Maestro das Ambiente nicht zu beeindrucken. Aber dass mit dem West-Östlichen Diwan Juden und Moslems für den Papst Musik machten, gefiel ihm. Gesprochen habe er mit dem Pontifex anschließend über Beethoven.

Mit Richard Wagner in Israel

Der Dirigent mit den kräftigen Händen gilt auch als fordernd, abseits der Musik kann er auch herzlich normal auftreten und mit derben Sprüchen auffallen. Normalerweise bekommt er, was er will. Das wird mit ein Grund sein für sein unermüdliches politisches Engagement. Er interpretiert Werke des Antisemiten Richard Wagner und provoziert die Knesset bei einer Preisverleihung mit einem Zitat aus der israelischen Verfassung zur Gleichberechtigung aller. Zu seinem 70. Geburtstag hat sich die Lage in Israel erneut zugespitzt: Militärschlag gegen die Hamas, als Vergeltung treffen Raketen der radikalislamischen Organisation Israel in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen.

Der 15. November 2012 ist für Barenboim kein Grund, sich zur Ruhe zu setzen. Am Abend will er erst dirigieren, dann war eine Feier geplant; seinen Vertrag bei der Berliner Staatsoper hat er vor einem Jahr verlängert – bis 2022. Außerdem will er, dass sein Divan in den Herkunftsländern all seiner Musiker auftritt. In Israel, aber auch etwa in Ägypten war das bislang noch nicht möglich.

Von Agathe Lukassek