Höllentrip ohne Paradies

Veröffentlicht am 11.01.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Theater

Mainz ‐ Seine Erwartungen und Vorurteile soll der Zuschauer gleich zu Beginn der Aufführung loswerden. Dafür geht es zunächst einmal durch die Hölle des Mitmachtheaters: Die Hände in die Höhe, das Gehirn massieren und den Gedankenballast, zu einem imaginären Ball geformt, auf die Bühne schmettern.

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Der Rat ist jenseits der spaßigen Einlage gut gemeint. Und lohnenswert, ihn zu befolgen. Denn der 1978 in Reykjavik geborene Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, er inszenierte bereits an verschiedenen Häusern in Island, Helsinki, Sydney und Berlin, verarbeitet den Dante-Stoff auf ganz eigene bizarr-schrille Weise. 14.233 Verse präsentiert er in 90 Minuten. Rasant, einfallsreich. Überwiegend heiter, zuweilen und dann jedoch zutiefst duster.

Hölle, Fegefeuer und Paradies

Um 1307 begann Dante Alighieri, von Papst Bonifatius VIII. ins Exil verbannt, die Göttliche Komödie zu schreiben. Jene Reise durch die drei Jenseitsreiche Hölle, Fegefeuer und Paradies, die der Autor in seinem Werk als Hauptfigur selbst durchlebt. In der Mainzer Inszenierung bringen acht Schauspieler des Ensembles mit beeindruckender Leistung Versatzstücke, Bilder und Motive des Werkes auf die Bühne.

Eingebettet in eine Show, die der Schauspieler Gregor Trakis, im Stück Regisseur, Filmstar und Entertainer in einer Person, in Anzug und Fliege, gestriegelt und geföhnt, moderiert. Sein Vorhaben: Die Göttliche Komödie mit seinem Team als Theaterabend zu gestalten. Fortan führt er durch das Stück, gibt Einsätze und Regieanweisungen, verbessert und applaudiert – vor allem sich selbst. Dazwischen wendet er sich immer wieder ans Publikum, motiviert und mahnt zu Aufmerksamkeit und Konzentration.

Das Stück im Stück

Die Hölle ist in Arnarssons Inszenierung (Bühne von Simon Birgisson) eine Drehscheibe aus Plexiglas, in deren Trichter die Zuschauer auf Monitoren und über Projektionen auf Stellwänden Einblick nehmen können. In der Mitte thront majestätisch und unbeweglich Monika Dortschy in dunkelrotem Mantel und mit einem Lorbeerkranz geschmückt als Dante Alighieri. Das Stück im Stück, die Reise beginnt. Zunächst noch ganz heiter, zuweilen klamaukig.

Schauspieler Felix Mühlen, "der Felix" wie ihn Gregor Trakis vorstellt, darf zum ersten Mal auf einer großen Bühne sprechen und verliert sich, angestrengt um Seriosität bemüht, in den verschiedenen Formen von cantus, cantonii, cantoti oder eben Kartons. Stefan Graf pflastert die Bühne derweil mit leuchtend-gelben Reclamausgaben der Göttlichen Komödie. Lisa Mies verausgabt sich bei einem Referat über die soziologischen Aspekte des Dante-Werkes so stark, dass sie hustend und Blut spuckend von der Bühne getragen werden muss, während Verena Bukal fiebrig-nervös das Hohelied der Liebe anstimmt.

Sie winden und krümmen sich

Die Drehscheibe nimmt Fahrt auf und katapultiert die Schauspieler mitten hinein in einen Höllentrip. Intensiv, duster und bildgewaltig transportiert die Inszenierung die Schrecken und Qualen auf die Bühne. Die Schauspieler winden und krümmen sich in aufziehendem Dampf auf dem Boden, reißen sich die Kleider vom Leibe, verschlingen Äpfel, die sie dann in Stücken wieder ausspeien. Ein grausames Gemisch aus Blut, Schmutz und Menschenleibern. Ein Schreien, Grollen und Brodeln. Inmitten des Chaos baumelt schließlich "der Felix" Felix Mühlen in einer Art Selbstversuch als Papst von der Decke.

Doch bleiben die Bilder des Schreckens nicht selten an der Oberfläche, unscharf in ihrer Tiefe. Eine Auseinandersetzung, die über die Darstellung hinausgeht, bleibt in Arnarssons Inszenierung lediglich angedeutet. Bezüge zur Gegenwart schemenhaft. So die osteuropäischen Prostituierten, die auf die Todsünde Wollust hinweisen, oder aber die Verbindung zu Frankfurt als Stadt der Wucherer. Auch die Frage, was man nun mit der Vorhölle anstellen solle, die doch abgeschafft wurde, wird aufgenommen. Das Spektakel ist groß. Doch die Substanz scheint an einigen Stellen vom Regen, der aus dem Theaterhimmel strömt, weggespült, vom Getöse übertönt zu werden.

Am Ende haben die Schauspieler im Stück ausgespielt. Ihr Showmaster windet sich in Weinkrämpfen, doch das Rad der Hölle dreht sich weiter. Schließlich entschwinden alle im hellen Licht. Auf das Paradies wird verzichtet.

Von Vanessa Renner

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