"Charlie Mariano – Last Visits": Dokumentarfilm über die amerikanische Jazz-Legende

Tears of Sound

Veröffentlicht am 12.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Kino

Bonn ‐ Der Saxofonist und Komponist Charlie Mariano starb im Juni 2009 nach langer Krankheit im Alter von 85 Jahren. Anfang der 1970er-Jahre war Mariano, als Sohn italienischer Einwanderer in Boston geboren, nach Europa gezogen, wo es ihm, anders als in den USA, möglich war, von seiner Musik zu leben. In den letzten 20 Jahren seines Lebens wohnte der Musiker in Köln.

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Der Dokumentarfilm "Charlie Mariano – Last Visits" entstand im Laufe seiner letzten beiden Lebensjahre; der Film begleitet den Musiker durch seinen Alltag, sammelt Impressionen von Club-Auftritten und interviewt befreundete, deutlich jüngere Musiker wie Mike Herting oder Matthias Schriefl. Die spielten in den letzten Jahren ohne Gage mit Mariano, damit dieser seine kostspielige Behandlung finanzieren konnte. Ein Akt der Solidarität, der in einer prinzipiellen Dankbarkeit dafür gründet, dass Mariano sie mit seiner Kunst und seiner Haltung inspiriert habe.

Beeinflusst vom Bebop Charlie Parkers, spielte Mariano ab 1941 live in den Bands von Johnny Hodges, Nat Pierce oder Quincy Jones. 1962/63 kam es zur Zusammenarbeit mit Charles Mingus für das Album "The Black Saint and the Sinner Lady". Mingus prägte auch den Begriff für Marianos eigentümlichen, stets etwas melancholischen Sound, "Tears of Sound", den es auf annähernd 500 Tonträgern zu hören gibt: die Diskografie eines Jazz-Klassikers.

Mariano lebte einige Jahre in Japan und Malaysia

Später lebte Mariano als Weltmusiker "avant la lettre" einige Jahre in Japan und Malaysia und arbeitete am südindischen Karnataka College of Percussion. Doch erst als er mit seinem souveränen und eleganten Auftreten authentisch erlebte Jazz-Geschichte und eine neugierige Weltläufigkeit mit nach Europa brachte, wurde er mit Projekten wie Osmosis oder Pork Pie schnell sehr bekannt und konnte mit dem United Jazz __amp__ Rock Ensemble oder an der Seite von Eberhard Weber jene Karriere machen, die ihm in den USA wohl verwehrt geblieben wäre.

Bild: ©REAL FICTION

Der Film "Charlie Mariano – Last Visits" ist mehr als eine Hommage an den Jazzmusiker: Er erzählt auch vom Alter und vom Altern.

Die Dokumentation von Axel Engstfeld braucht solche musikalisch-biografischen Stationen nur zu skizzieren, weil die Ausstrahlung der Persönlichkeit vor der Kamera hinreichend davon erzählt. Viele Fäden seiner künstlerischen Biografie liefen noch einmal im Theaterhaus in Stuttgart zusammen, wo im November 2008 Marianos 85. Geburtstag mit einem Konzert voller Höhepunkte gefeiert wurde.

Der Film versammelt Impressionen dieses Abends, weshalb viele alte Bekannte wie Ack van Rooyen, Paul Shigihara, Jasper van't Hof, Philip Catherine, Wolfgang Dauner oder Dieter Ilg zu sehen sind. Das frenetisch gefeierte Konzert endete im kleinen Kreis mit einem berührend klaren Blues.

Seine Kunst ermöglichte ihm verlässliche Freundschaften

Man kann "Charlie Mariano – Last Visits" auf zweierlei Weise sehen. Für Fans ist der Film ein Fest, das einen unvergessenen Musiker noch einmal zum Leben erweckt und feiert. Mariano selbst sorgt dafür, dass das Ganze keine hohle Nostalgieveranstaltung wird. Der Film dokumentiert aber auch, wie es sich anfühlen mag, wenn man als schwerkranker Künstler ohne Krankenversicherung bis ins hohe Alter auftreten muss, um sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Aufgrund seiner einnehmenden Persönlichkeit war es Charlie Mariano geglückt, sich gewissermaßen jenseits des Gesundheitssystems privat zu versichern, weil ihm seine Kunst verlässliche Freundschaften ermöglichte.

Ganz zum Schluss, als das Filmteam ihn ein letztes Mal besucht, hat dann der Krebs gesiegt. Vor der Kamera sitzt ein gebrochener Mann, der binnen weniger Monate um Jahre gealtert erscheint. Die Auftritte, so Mariano, fehlten ihm schon, aber es gehe einfach nicht mehr. Er werde seine Instrumente wohl verkaufen, um seiner Frau etwas Geld zu beschaffen. Es nötigt großen Respekt ab, dass sowohl Mariano als auch Engstfeld sich und dem Publikum dieses Finale nicht ersparen, denn die Not war in der Jazz-Geschichte, die Charlie Mariano (auch) repräsentierte, leider ein zuverlässiger Weggefährte.

Von Ulrich Kriest

Bewertung der Katholischen Filmkommission

Intime Dokumentation über den Jazz-Saxofonisten Charlie Mariano (1923-2009) in seinen letzten beiden Lebensjahren. Dabei spielt der Alltag des von einer schweren Krankheit Gezeichneten ebenso eine Rolle wie einige seiner ungebrochen dynamischen Bühnenauftritte in Köln und Stuttgart; zugleich kommen zahlreiche Musikerkollegen zu Wort. Insbesondere durch Marianos Ausstrahlung entsteht ein wertvolles Dokument über einen außergewöhnlichen Musiker, das sich zur spannenden Auseinandersetzung mit dem Alter sowie dem Altwerden verdichtet, dabei auch negative Aspekte wie die ungesicherte Altersversorgung für Künstler nicht ausspart. – Sehenswert ab 12.

Filmdienst

Der obige Text wurde katholisch.de vom Magazin "Filmdienst" zur Verfügung gestellt. Seit 1947 begleitet der Filmdienst wie kein anderes Magazin kritisch das Kinofilmgeschehen. Herausragende Porträts von Filmschaffenden stehen neben umfassenden Filmkritiken zu jeder Kinopremiere in Deutschland, spannende Debatten neben aufschlussreichen Interviews, Hintergrundberichte neben Neuigkeiten aus der Filmwelt. Die Beilage "Film im Fernsehen" informiert über sehenswerte Filme im Fernsehen. Die Datenbank CinOmat ist ein beispielloses Nachschlagewerk, das mehr als 250.000 Filmschaffende mit fast 75.000 Filmen verknüpft. Der Filmdienst ist darüber hinaus Herausgeber des "Lexikons des Film", zeichnet neue DVD/Blu-ray-Veröffentlichungen mit dem "Silberling" aus und verleiht gemeinsam mit dem Bundesverband Kommunale Filmarbeit jährlich den "Caligari-Filmpreis".