Bis an die Schmerzgrenze

Humor ist etwas primär Katholisches – diese Meinung vertritt jedenfalls Siegfried Eckert, Pfarrer der evangelischen Thomas-Gemeinde und Organisator der Glaubenswoche: "Ich glaube, dass wir Protestanten uns mit dem Humor eher schwer tun. Also unser Image ist eigentlich ein spaßfreies. Das katholische Image ist: Die können super Karneval feiern, mittwochs gibt es dann das Aschekreuz, und dann kommt auch das Büßen." Kritik scheint hingegen nicht sehr katholisch zu sein, Becker wünscht sich jedenfalls mehr Sourveränität seitens der katholischen Amtsträger im Umgang mit ihren Spöttern. Warum es meist die katholische Kirche ist, die Ziel des Spotts wird, begründet Eckert mit deren Sendungsbewusstsein: "Das Katholische präsentiert sich nun einmal anschaulicher als das Evangelische. Und was sich so anschaulich in der Öffentlichkeit inszeniert, ist immer in der Gefahr, mehr Angriffsfläche zu bieten."
Wer lacht, gewinnt Distanz
Diese Angriffsfläche nutzt Becker aus – sein Lieblingsfeind: Joachim Meisner. Als ohnehin eher zweifelnder als gläubiger Katholik war die Ernennung des konservativen Kardinals der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der freie Diskurs, so Beckers Meinung, war nicht mehr gewährleistet: "Da wurde auf einmal die Herder-Buchhandlung geschlossen und so Leute wie Herr Drewermannwurden ausgeladen. Und da habe ich zu mir gesagt: Jetzt reicht es; jetzt trittst Du aus dem Laden aus." Eine Kirche, die im eigenen Saft schmore und die weder nach Innen und nach Außen bereit sei, sich einem ernsthaften Dialog zu stellen, sei nicht im Sinne Beckers. Humor ist seine Form von Kritik. Es gehört zum Konzept des Kabaretts, immer wieder die Grenzen des Machbaren auszuloten. Wer sie überschreitet, ist schnell dem Vorwurf der Blasphemie, also der Gotteslästerung, ausgesetzt. Doch für Becker ist Blasphemie integraler Bestandteil des Christentums: "Der Christ braucht immer den Antichristen. Und wenn einer sagt, das ist blasphemisch, dann muss man immer sagen: Jesus war auch blasphemisch, denn für seine Umwelt war Jesu Wirken eine Provokation."
„Jesus war auch blasphemisch, denn für seine Umwelt war Jesu‘ Wirken eine Provokation.“
Für Becker, der sich während der Glaubenswoche an dem Verhältnis zwischen Kunst und Kirche abarbeitete, gehören Glauben und Humor sogar zusammen: „Denn sowohl der Humor als auch die Religion arbeiten mit dem gleichen Prinzip: Sie machen Dinge möglich, die eigentlich nicht zusammen passen. Und wenn man lacht, gewinnt man Distanz dazu und steht über den Dingen.“ Und Distanz ist genau das, was vielen Religionen, insbesondere der katholischen Kirche, gut zu Gesicht stünde, so Becker.
Liebevolles Augenzwinkern
Ist es denn legitim Witze über die Religion zu machen? Und über den Glauben oder die katholische Kirche? Becker macht zwischen diesen Ebenen keinen Unterschied. "In den 1960ern hieß es immer: Jesus gut, Kirche schlecht. Aber genauso gut könnte man sagen: Kirche gut, Jesus schlecht – da gibt es ja auch einige Argumente für." Humor präsentiert stets eine Sicht der Dinge – pointiert und streitbar.
Humor ist in der Lage, die Ecken, Kanten und Widersprüche einer Person, Organisation oder Ideologie zu nennen, ohne den erhobenen Zeigefinger zu präsentieren. Oder wie Pfarrer Eckert es sagt: "Da wo es Exzesse in der Kirche gibt, da wo es Fehler gibt, muss das auch angeprangert werden. Doch letztlich ist es auch ein Augenzwinkern, eine liebevolle Parodie des Katholischseins." Die Gefahr, dass einer der Künstler während der Glaubenswoche sämtliches Porzellan zerschlägt, sieht Eckert nicht: "Wenn ich die Künstler einlade, vertraue ich darauf, dass wir an dem Ort, an dem wir zusammen arbeiten, die Spielregeln respektieren. Aber ich setze keine Grenzen. Ich habe aber auch noch keinen erlebt, bei dem ich sagen würde, der ist dermaßen über’s Ziel hinaus geschossen – doch manchmal kann man an die Schmerzgrenze gehen, auch das ist eine Erfahrung."
Von Michael Richmann