Bis zur Notaufnahme

Veröffentlicht am 29.05.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Drogenbericht

Berlin ‐ Die Bundesregierung hat am Mittwoch ihren aktuellen Drogen- und Suchtbericht vorgelegt. Und wie immer ist es die Lesart, die daraus positive oder besorgniserregende Schlüsse ziehen lässt. Gut liest sich: Jugendliche konsumieren weniger Alkohol, weniger Tabak und weniger Cannabis als zu Beginn des neuen Jahrtausends. Und die Zahl der Drogentoten ist gesunken. Im vergangenen Jahr starben 944 Menschen an übermäßigem Rauschgiftkonsum, so wenig wie seit 25 Jahren nicht mehr.

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Eine Folge guter Präventionsangebote und einem sehr guten Suchthilfesystem in Deutschland, kommentiert die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP). Zu diesem System gehört auch der Deutsche Caritasverband, der bundesweit Beratungsstellen und Suchtkliniken betreibt, Online-Beratung anbietet und sich um die Grundversorgung von Dogenabhängigen kümmert.

Entsprechend hoffnungsvoll ist die Einschätzung von Caritas-Suchtreferentin Renate Walter-Hamann: "Wer heute seine Sucht überwinden will, hat gute Chancen, das zu schaffen." Und doch ist die Problematik harter Drogen heute wesentlich komplexer als noch vor zwanzig Jahren. Den Heroinabhängigen, also das „Kind vom Bahnhof Zoo“, gibt es so nicht mehr. "Wer heute in unsere Beratungsstellen kommt, der konsumiert in den meisten Fällen verschiedene Stoffe gleichzeitig, also alles, was er bekommen kann."

Die Loser-Droge

Heroin, das eine dämpfende Wirkung hat, gelte heute eher als Loser-Droge. Gefragt ist dagegen, was aufputscht und leistungsfähig macht, was einen fünf Nächte durchtanzen oder auch mal durcharbeiten lässt. "Es entspricht dem heutigen Zeitgeist, viel auszuhalten und viel zu schaffen", sagt Walter-Hamann. Da verwundert es nicht, dass synthetisch hergestellte Suchtmittel – so genannte Designerdrogen - aus Fernost immer stärker den europäischen Markt erobern.

Tütchen einer Designerdroge
Bild: ©dpa/Marijan Murat

Designerdrogen überschwemmen den europäischen Markt.

"Was es besonders schwer macht, gegen den Missbrauch solcher Drogen vorzugehen, ist, dass sie aus sehr vielen unterschiedlichen Substanzen bestehen", erklärt die Suchtreferentin. Sobald eine Version unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, genügt es, eine Kleinigkeit zu verändern und schon taucht die neue Droge nicht mehr auf dem Index auf.

Erst kürzlich hat das Bundeskabinett ein Verbot von 26 Substanzen auf den Weg gebracht. Ein Tropfen auf den heißen Stein, bedenkt man, dass im Jahr 2012 die Rekordzahl von 73 erstmals entdeckten Substanzen gemeldet wurde. Um dem Problem zu begegnen, überlegen Politiker derzeit, ganze Stoffgruppen zu verbieten. Das ist rechtlich aber nicht so einfach, weil viele Substanzen auch zur Herstellung von Medikamenten notwendig sind.

Die Politik rennt hinterher

"Die Politik rennt dieser Entwicklung seit geraumer Zeit hinterher", sagt Walter-Hamann. Und schon liest sich der Drogenbericht etwas besorgniserregender als zuvor. Denn die Wirkung dieser Designerdrogen ist ebenso verheerend wie die des Heroins. Während die bunten Tütchen mit den klangvollen Namen "Extreme Summer" oder "Fly Cherry" Körper und Geist zu Höchstleistungen aufputschen, richten sie gerade damit verheerenden Schaden an. Verwirrtheit, Appetitlosigkeit und unkontrolliertes Händezittern gehört zu den leichten Folgen, schwere psychische Störungen und Herzprobleme bis hin zum tödlichen Herzinfarkt zu den schweren.

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Das zeigt, wie wichtig es sich, sich dieses Themas weiterhin verstärkt anzunehmen. Und trotzdem muss auch der Missbrauch legaler Drogen im Fokus bleiben, betont Walter-Hamann. "Natürlich ist jeder Mensch, der stirbt, einer zu viel. Aber wenn man sieht, dass auf 12.000 Drogentote bis zu 60.000 Menschen kommen, die an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums sterben, dann zeigt das die besondere Dimension."

Es gehe der Caritas nicht darum, Spielverderber zu sein, betont sie. Bier und Wein zu trinken gehöre zur deutschen Kultur und sei aus dem Alltag nicht wegzudenken. Wichtig sei aber, den bewussten Genuss zu lernen und gegen eine verharmlosende Darstellung, etwa in der Werbung, anzugehen. Soll heißen, ein Feierabendbier mit Freunden: ja, saufen bis zur Notaufnahme: nein. Denn letzteres ist trotz erschütternder Meldungen immer noch in, wie der Drogenbericht zeigt.

Ohne geht auch

Aber nicht nur jugendliche Rauschtrinker sind eine Zielgruppe für Prävention und Aufklärung, auch bei älteren Generationen ist der riskante Alkoholkonsum teilweise weiter verbreitet. Fast ein Drittel der Frauen und rund 45 Prozent der Männer zwischen 18 und 29 Jahren trinken gerne mal über ihren Durst hinaus. Mit dem Alter sinken die Zahlen dann langsam.

Und so finden Präventionsveranstaltungen nicht nur in Schulen statt, wo Betroffene über ihre Sucht berichten. Die derzeitige "Aktionswoche Alkohol", an der sich auch der Caritasverband beteiligt, trägt das Thema in eine breitere Öffentlichkeit. Die Botschaft "Alkohol? Weniger ist besser!" soll Menschen in ihrem Alltag erreichen.

Vom Infoabend über die alkoholfreie Streetbasketball-Nacht bis hin zur Cocktailbar, in der alkoholfreie "Virgin Colada" serviert wird, sind ganz unterschiedliche Veranstaltungen dabei. Indem sie über kommunale Netzwerke zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Jugendschutz und Polizei bewusst Veranstaltungen ohne Alkohol durchführen, wollen Caritas und andere Veranstalter zeigen, dass man auch ohne Bier und Alkopops einen lustigen Abend haben kann.

Von Janina Mogendorf

Zahlen aus dem Drogenbericht 2013

Drogenkonsum bei Jugendlichen (12 - 17 Jahre)im Vergleich Alkoholkonsum: Von 17,9 Prozent (2001) auf 14,2 Prozent gesunken Tabakkonsum: Von 27,5 Prozent auf 11,7 Prozent halbiert Cannabiskonsum: Von 9,2 Prozent auf 4,6 Prozent gesunken Riskanter Alkoholkonsum bei Erwachsenen: - 18 bis 29 Jahre: Frauen 32,4 Prozent, Männer 44,6 Prozent - 30 bis 44 Jahre: Frauen 20,2 Prozent, Männer 29,7 Prozent - 45 bis 64 Jahre: Frauen 21,4 Prozent, Männer 31,9 Prozent Tabakkonsum bei Erwachsenen von 18 bis 79: - 29,7 Prozent rauchen - 23,7 Prozent rauchen täglich - 6 Prozent rauchen gelegentlich - Männer rauchen zu 32,6 Prozent - Frauen rauchen zu 27 Prozent Rauschgifttote nach Geschlecht und Alter - Männer: 746 - Frauen: 177 - Durchschnittsalter: 37 Jahre