Das Wort zum Sonntag vom 06.10.2012
50 Jahre II. Vatikanum Revolutionen beginnen meistens "von unten". Vor 50 Jahren hat eine Revolution "von oben" begonnen – so möchte ich es nennen: das II. Vatikanische Konzil (Beginn: 11. Oktober 1962) – ins Leben gerufen von dem unvergessenen Papst Johannes XXIII. Er hat eine katholische Kirchenversammlung nach Rom einberufen, zu der 2500 Bischöfe und theologische Berater aus der ganzen Welt zusammengekommen sind. Wen interessiert das heute überhaupt noch? Viele haben davon überhaupt nichts gehört. Vielleicht erinnern sich ein paar. Zu ihnen gehöre auch ich. Ich denke begeistert und wehmütig zugleich an dieses Ereignis. Gegen massive Widerstände in den eigenen Reihen hatte es Papst Johannes XXIII. geschafft, dass ein Frühling voll frischer Luft und aufblühendes Leben durch meine Katholische Kirche ging. Ein wahrer Aufbruch im Innern der Kirche und nach außen. Im Innern: die Gläubigen feiern ihre Gottesdienste in der jeweiligen Landessprache – nicht mehr in Latein. Viele Katholiken freuen sich, zur Kirche zu gehören. Sie verstehen sich nicht mehr als "Schafe", die ihren "Oberhirten" zu gehorchen haben sondern als das "Volk Gottes" auf dem Wege. Auch nach außen hin ist nach dem Konzil viel passiert: die Ökumene, das Bemühen um die Einheit der Christen, erlebt erste Höhenflüge. Das eindeutige Bekenntnis zur Religionsfreiheit und zu den Menschenrechten ist ein starkes Signal nach außen. Das Gespräch wird gesucht mit dem Judentum und den anderen Weltreligionen, mit der modernen Welt und der Wissenschaft. – Die Welt staunt! Dass eine 2000 Jahre alte Religion sich so sehr bewegen kann. Dieser Aufbruch macht viele Menschen weit über die Grenzen der Kirche hinaus nachdenklich, in ihren Fragen nach Sinn und Orientierung. In diesem weltoffenen Klima bin ich vor über 40 Jahren Priester geworden. 50 Jahre danach herrscht in vielen Bereichen der katholischen Kirche Stillstand: kein Aufbruch, kein Dialog, keine Reform – besonders im Vatikan, wo dieses Reformkonzil stattgefunden hat. Anders in vielen Kirchengemeinden, in der Ökumene vor Ort, in etlichen Ordensgemeinschaften. Anders in unzähligen caritativen, sozialen und missionarischen Werken hier und weltweit. An der "Kirchenbasis" herrscht immer mehr Ungeduld und Unmut darüber, dass gerade in der Ökumene alles viel zu langsam geht. Ist sich doch die Mehrzahl der Christen aller Kirchen darin einig, dass sie viel mehr verbindet, als sie trennt. Bei einem Vortrag bin ich nach meiner Vision von Kirche gefragt worden. Meine Antwort ist: "Ich wünsche mir, dass alle Kirchen aufhören, ihre Unterschiede mit großem Aufwand zu verwalten. Dass sie den Mut aufbringen, sich auf Jesus und seine Frohe Botschaft zurückzubesinnen und zu fragen: Was würde er heute sagen und tun?" Zu meiner Vision von Kirche gehört auch – und darauf hat mich ein Freund gebracht: "Die Revolution in der katholischen Kirche kann wohl nur von oben, von ganz oben kommen. Indem der Heilige Geist wieder etwas so Unerwartetes bewirkt, wie das II. Vatikanische Konzil – mit dem damals ja auch niemand gerechnet hat."