Katholische Duftmarken auf dem Evangelischen Kirchentag

Weihrauch und Marienlieder beim Kirchentag

Veröffentlicht am 27.05.2017 um 10:40 Uhr – Lesedauer: 
Himmelfahrtsgottesdienst in der Berliner Sankt-Hedwigs-Kathedrale auf dem 36. Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) am 25. Mai 2017 in Berlin.
Bild: © KNA
Evangelischer Kirchentag

Berlin ‐ Sei es als Gastgeber, als Mitwirkende oder einfach nur als Besucher: Beim Evangelischen Kirchentag in Berlin mischen auch Katholiken mit – und setzen mitunter eine eigene Duftmarke.

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"In der Hedwigskathedrale, da hat's so gschtunke", berichtet ein älterer Kirchentagsbesucher aus Württemberg dem anderen. Seine mutmaßlich pietistische Nase ist den Geruch von Weihrauch wohl nicht gewöhnt. Doch danach riecht es im katholischen Dom Berlins eben in der Osterzeit. Während des Evangelischen Kirchentags in der Hauptstadt laden die Katholiken zum Besuch in ihre Gotteshäuser ein. Damit das ein echtes Angebot zum Kennenlernen ist, habe man in der Hedwigskathedrale kein Extra-Programm aufgezogen, sondern feiere dieselbe Liturgie wie sonst auch, erzählt Hans-Joachim Ditz, der Ökumenebeauftragte des Erzbistums Berlin.

Dazu gehören Heilige Messen und am späten Freitagnachmittag die Eucharistische Anbetung, bei der zumindest eine Frau mit orangenem Schal eindeutig als Kirchentagsteilnehmerin erkennbar ist. Niederschwelliger ist das Angebot neben der Kathedrale: Liegestühle sehen zum Ausruhen bereit, dazu ein internationaler Imbiss und es gibt die Möglichkeit, sich einen Anstecker mit dem kulleräugigen Kirchentagsgesicht selber zu stanzen und dabei das Gespräch mit ehrenamtlichen Helfern der Kathedralgemeinde zu suchen.

Zwei katholische Schwestern in Berlin

So ist nur wenige Meter vom Kirchentags-Trubel auf dem Gendarmenmarkt entfernt eine Art Ruhezone an der bezeichnenden Adresse "Hinter der katholischen Kirche" entstanden, die gerne angenommen wird. Von hier starten die beiden katholischen Schwestern Maria-Therese Scheulen und Gabriele Scheulen-Chatzianagnostou zum Abendprogramm. Die jüngere von beiden war erstmals 1964 auf einem Katholikentag – damals begleitete sie als Schülerin ihre Mutter. Auf einer Wallfahrt nach Lourdes beschlossen die beiden, die 220 Kilometer entfernt voneinander wohnen, dass sie einmal im Jahr gemeinsam an den Katholiken- und wenn es geht auch an den Kirchentagen teilnehmen wollen. Seit dem Katholikentag 2008 in Osnabrück tun sie das nun. Hier in Berlin haben sie tagsüber auf das offizielle Programm verzichtet und einige Friedhöfe der Stadt besucht.

Bild: ©katholisch.de

Das Ehepaar Angelika und Winfried Speidel aus dem evangelischen Kirchenbezirk Reutlingen auf dem "Kirchenschiff", mit dem das Erzbistum Berlin Rundfahrten für Besucher des Evangelischen Kirchentags anbietet.

Ein weiteres Angebot des Erzbistums wartet neben dem evangelischen Berliner Dom auf Kirchentagsteilnehmer: Fünfmal am Tag legt das gecharterte "Kirchenschiff" mit seinen 280 Plätzen ab. Auf einer Spree-Rundfahrt gibt es mal christliche Stadtführungen, mal gemeinsamen Gesang oder auch Gespräche mit Erzbischof Heiner Koch wie am Donnerstag. Auch hier begegnet man der kleinen Zahl von Katholiken, die Dauerteilnehmer des Kirchentags sind. Etwa ein halbes Dutzend sind es am Freitagnachmittag  unter den rund 160 Passagieren an Deck.

Die Kirchentags-Katholiken sind meist Partner in konfessionsverbindenden Ehen. Da ist der Ehemann einer engagierten Protestantin, der seit vielen Jahren auf Kirchentage mitgeht. "Und wenn mich mal ein Programmpunkt nicht interessiert, dann trinke ich in der Zwischenzeit irgendwo einen Cappuccino", fügt er hinzu. Oder Louise-Maria Kanzok, eine wie sie sagt "überzeugte Katholikin, die all unsere katholischen Traditionen liebt" aus dem ansonsten lutherisch geprägten Coburg in Franken. Sie ist mit ihrer evangelischen Tochter da und wünscht sich allgemein mehr interkonfessionelle Beteiligung an Kirchen- und Katholikentagen. Beide Seiten könnten  davon profitieren, wenn sie sich zuhören und miteinander diskutieren.

"Mit dir, Maria, singen wir"

Nachdem auf dem Schiff – von einem Posaunenchor begleitet – bereits evangelische Klassiker wie "Auf, Seele, Gott zu loben" und der Kanon "Lobe den Herrn, meine Seele" gesungen wurden, folgt einen Ankündigung: Mit einem Marienlied solle es jetzt katholischer werden. Gemurmel auf dem Deck. Der Text und die Melodie von "Mit dir, Maria, singen wir" reißen die Leute aber mit. "Das ist aber ein schönes Lied!", ruft die evangelische Angelika Speidel als am Ende die Menge applaudiert. Der Reutlingerin und ihrem Mann wurde die Schifffahrt von dem katholischen Ehepaar empfohlen, das den beiden Kirchentagsbesuchern eine Unterkunft bietet.

Vom Kirchentag begeistert ist auch der katholische Priester Ulrich Kotzur. "Ich freue mich, dass ich bei diesem Fest unser Glaubensgeschwister auf drei Ebenen dabei sein kann: mit einem thematischen Beitrag, als Helfer und als Gastgeber", sagt der Diözesanjugendseelsorger des Erzbistums. Er hat mit dem Netzwerk "Junge Ökumene" einen S-Bahn-Gottesdienst als Podcast konzipiert, den Kirchentagsbesucher auf der Fahrt zwischen den Veranstaltungsorten auf dem Messegelände und dem Alexanderplatz auf ihrem Handy streamen können. Und er sprach am Messestand des Ökumenischen Rats Berlin-Brandenburg bei einer Diskussionsrunde mit der Heilsarmee über Jugend und Spiritualität.

Bild: ©Ulrich Kotzur

Ulrich Kotzur, der Diözesanjugendseelsorger des Erzbistums Berlin, bei einem Mitsingkonzert im Sommergarten des Evangelischen Kirchentags in Berlin.

Da Kotzur sich auch privat engagieren wollte, bot er an, einige Stunden an der Hedwigskathedrale auszuhelfen. In seiner zentral gelegenen Wohnung bietet er außerdem zwei Gästen eine Unterkunft. "Ich genieße es auch immer, beim Weltjugendtag oder Katholikentag Gastfreundschaft zu erfahren, und habe nun die Chance, das hier in Berlin weiterzugeben." In einer Zeit, in der manche das Katholische so sehr betonten, dass die Gefahr bestehe, das Katholische zu verlieren, ist dem 51-Jährigen eines wichtig: "Bei dem, was wir in Einheit tun, da liegt Segen."

Laut Kotzur nehmen viele der Berliner Katholiken an dem evangelischen Großevent in ihrer Stadt teil. So hätten etwa die Vorstände des Bundes der Katholischen Jugend und weitere Jugendliche Dauerkarten gekauft, um in Dialog zu treten und Konzerte zu besuchen, wie etwa das Abschiedskonzert der Wise Guys am Donnerstagabend.

Pfadfinder aus Fulda erzählen, dass auch in ihrer Gruppe zwei Katholiken dabei seien. "Die große Masse ist aber evangelisch und dann erst kommen ungefähr gleichviele Freikirchler und Katholiken", sagt Harald Pieneck, der im Messezentrum an einem Stand der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen mitarbeitet. Der Kirchentag sei in diesem Jahr gut durchmischt: Zwar sei die Mehrzahl evangelisch, aber die Mehrheit sei nicht so "erdrückend" wie auf früheren Kirchentagen.

Gegenreformation beim Kirchentag?

Am Stand der katholischen Orden der Jesuiten und der Congregatio Jesu stellen die Verantwortlichen noch eine andere Veränderung fest: Als sie 2001 angefangen hatten, regelmäßig bei Kirchentagen präsent zu sein, seien sie hin und wieder aggressiv als "Speerspitze der Gegenreformation" bezeichnet worden, berichtet Pater Leopold Stübner. Inzwischen ziehe die Evangelischen eher die positive Einstellung zu Papst Franziskus, einen Jesuiten, an den Stand der Orden. Man spreche nun mit den Menschen über Spiritualität, fügt Schwester Anna Schenck hinzu: "Wer ist Jesus für mich und wie kann ich ihn suchen und finden?" Die gegenseitigen Vorurteile werden weniger. Und vielleicht bekommt so auch der Weihrauch irgendwann seinen festen Platz beim Kirchentag.

Von Agathe Lukassek

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