Vor 100 Jahren wurde der berühmte russische Wanderprediger ermordet

Rätselhafter Rasputin

Veröffentlicht am 30.12.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Geschichte

Bonn ‐ In den 1970er Jahren feierte er in einem Boney-M.-Song eine Wiederauferstehung: "Ra-, Ra-, Rasputin, Lover of the Russian Queen". Heute vor 100 Jahren wurde der berühmte russische Wanderprediger ermordet.

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Zum Schluss prügeln sie auf ihn ein wie auf einen tollen Hund. Leblos am Boden liegt Rasputin, der berühmte Wanderprediger, von dem es heißt, er habe die Familie des russischen Zaren in seiner Hand. Über ihm steht Felix Felixowitsch Jussupow. Keuchend schwingt der Fürst einen Gummiknüppel. "In meinem Ungestüm und wilden Zorn schlug ich blindlings, wo ich gerade hintraf", schreibt der Mörder später über den kaltblütig geplanten Mord in jener kalten Winternacht vor 100 Jahren, an dem er und seine Mitverschwörer in Sankt Petersburg dem Leben des ihnen und vielen anderen verhassten "Wundermönchs" ein Ende bereiteten. Und der in einem blutigen Spektakel endete.

Anders als von Jussupow erhofft, stellt der 30. Dezember 1916 keinen glorreichen Wendepunkt in Russlands Geschichte dar. Rückblickend taugt der Mordexzess zu mitternächtlicher Stunde allenfalls als Fußnote. Der Erste Weltkrieg tobt, das Zarenreich taumelt dem Abgrund entgegen. Und im fernen Zürich läuft sich Wladimir Iljitsch Lenin warm. Er wird mit der Oktoberrevolution 1917 einem neuen Regime den Weg bereiten und den Lauf der Geschichte prägen.

Eine "exotische Figur" aus Sibirien

Wer also war Rasputin? Eine "exotische Figur", die aus Sibiriens entlegenen Weiten durch eine Reihe von Zufällen ins Zentrum der Macht rückte. So jedenfalls umschreibt Martin Aust, Professor für die Geschichte und Kultur Osteuropas in Bonn, die Bedeutung des 1869 in Pokrowskoje geborenen Sohn eines Bauern und Fuhrunternehmers. Grigorij Rasputin wächst in einfachen Verhältnissen auf - und macht schon früh Bekanntschaft mit dem Tod. Beim Spielen am Ufer der Tura fallen er und sein älterer Bruder Michail ins kalte Wasser des Flusses. Beide erkranken an einer Lungenentzündung. Michail stirbt, Grigorij überlebt mit Mühe und Not.

Nach seiner wundersamen Genesung erzählt der Knabe, "eine schöne Frau in weißblauem Kleid sei ihm im Schlaf erschienen und habe ihm befohlen, gesund zu werden", schreibt Henri Troyat in seiner Rasputin-Biografie. Der zur Bestätigung des Phänomens herbeigerufene Pope zeigt sich überzeugt: "Dem Kind ist die Heilige Jungfrau erschienen." Schon früh deutet sich bei Grigorij jene eigentümliche Mischung aus Volksfrömmigkeit und Visionen an, die ihn später als Starez, als "Auserwählten Gottes", berühmt macht.

Bild: ©Andreas_Schneider/Fotolia.com

Rasputin ging auch im Winterpalais in Sankt Petersburg, dem damaligen Sitz der Zarenfamilie, ein und aus.

Ein gewisser Ruf eilt dem groß gewachsenen Bärtigen mit den langen Haaren und dem stechenden Blick bereits voraus, als er im Frühjahr 1903 erstmals nach Sankt Petersburg kommt, der Hauptstadt des Zarenreiches. Schnell wird der in bäuerliche Gewänder gehüllte Rasputin in den Salons teils als Kuriosum bestaunt, teils als frommer Mann aus dem Volke mit der Gabe eines Sehers verehrt.

Zum "allerwichtigsten Punkt" für seinen gesellschaftlichen Höhenflug wird jedoch laut Aust die Bluterkrankheit von Zarensohn Alexej. Schon die kleinste Verletzung kann für den 1904 geborenen Zarewitsch lebensbedrohlich werden, weil das Blut kaum gerinnt. Mehrfach gelingt es Rasputin unerklärlicherweise, die Blutungen allein durch seine Gegenwart zu stoppen. Für Zarin Alexandra Fjodorowna der Beweis, dass ihre Gebete erhört wurden - und dass sie es mit einem Mann Gottes zu tun habe.

Ein Mann mit vielen Gesichtern

Weil es sich bei der Krankheit des Thronfolgers zugleich um eines der bestgehüteten Staatsgeheimnisse jener Zeit handelt, ranken sich bald wildeste Gerüchte um Rasputin. Speziell Frauen soll er mehr als nur die Hand auflegen. Seine Gegner rätseln über den Einfluss des "Einflüsterers" bei Hof. Rasputin wiederum versucht offenbar zunehmend, das ganz große Rad zu drehen. Verzweifelt warnt er Zar Nikolaus II. vor dem Eintritt in den Weltkrieg. Mit Lust beteiligt er sich an diversen politischen Intrigen.

Rasputin ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Der Druck entlädt sich bei ihm in Orgien. Sechs Liter Madeira-Wein soll er an einem Abend mehr oder weniger schadlos zu sich nehmen können. Auch seinem Tod geht ein letztes Gelage voraus - im Palais des Fürsten Jussupow. Zyankali im Essen bringt ihn angeblich ebenso wenig zur Strecke wie ein Schuss mitten ins Herz. Vier weitere Schüsse machen ihm wohl den Garaus - bevor Jussupow in seine finale Raserei verfällt.

Von Joachim Heinz (KNA)