Ethikrat-Mitglied Anton Losinger über die Zukunft des Gesundheitssystems

"Medizin muss gerecht sein"

Veröffentlicht am 10.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Gesundheitssystem

Bonn/Augsburg ‐ Immer wieder gehen Meldungen über schlechte Zustände in deutschen Krankenhäusern durch die Medien. Auch Begriffe wie Pflegenotstand und Zweiklassenmedizin tauchen regelmäßig darin auf. Wie ist das mit einem Gesundheitssystem vereinbar, das zu den besten der Welt zählt? Im Interview diagnostiziert Weihbischof Anton Losinger, Mitglied des Deutschen Ethikrates, die Ursachen der Probleme, fordert einen gesellschaftlichen Diskurs und macht deutlich, wie wichtig die Seelsorge für ein humanes Krankenhaus ist.

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Frage: Herr Weihbischof, wie krank ist das Gesundheitssystem in Deutschland?

Losinger: Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme weltweit. Das muss objektiv anerkannt werden. Allerdings zeigen sich inzwischen tatsächlich mehr und mehr Qualitäts-Einbußen wegen knapper Mittel und falscher Strukturen. Das ist nicht nur eine subjektive Einschätzung der Patienten…

Frage: ...die diese Ressourcenknappheit immer mehr im Alltag zu spüren bekommen.

Losinger: Genau, wenn es etwa um die Verrechnung medizinischer Leistungen, zum Beispiel die IGEL-Leistungen geht, die Patienten aus ihrer privaten Tasche bezahlen müssen, weil sie nicht mehr von der Gesundheitskasse finanziert werden. Oder um deutliche Unterschiede in der Versorgung von Kassenpatienten und Privatpatienten. Nicht zuletzt ist diese Knappheit bei der Finanzierung der Pflege eindeutig spürbar.

Frage: Wieso werden die Ressourcen immer geringer?

Losinger: Da gibt es zwei klassische Ursachen. Ein Grund liegt in der Demografie einer alternden Gesellschaft. Die Zahl der älteren Leistungsbezieher steigt, während die Zahl der jungen Leistungserbringer sinkt. Die Konsequenz ist Mittelknappheit im System. Ein zweiter Grund ist der rasante medizinische Fortschritt in der medizinischen Forschung und Behandlung, gerade auch in der Pharmakologie, die ständig neue hochwertige und teure Produkte auf den Markt bringt. Wir sind heute in der Lage, eine Reihe schwerer Erkrankungen mit aufwendigen medizinischen Methoden zu heilen. Andererseits werden auch Krankheiten geheilt, die wir vor einigen Jahren noch gar nicht kannten. Eine solche Hochleistungsmedizin ist teuer.

Anton Losinger, Weihbischof von Augsburg.
Bild: ©KNA

Anton Losinger, Weihbischof von Augsburg.

Frage: Auf der einen Seite Hochleistungsmedizin, auf der anderen zahlreiche Probleme und gravierende Mängel in den Krankenhäusern…

Losinger: Ja, gerade im Krankenhaussystem ist der Reformbedarf groß. Viele Krankenhäuser haben mit finanziellen Problemen zu kämpfen und es gibt gravierende Probleme und Mängel. Da geht es nicht nur um populäre Mängel, wie zum Beispiel Hygienestandards, die hohe Keimbelastung oder Arztfehler. Der humane Faktor tritt in den Vordergrund wie Ärztemangel, Pflegenotstand und Rationalisierungsdruck. Die Patienten beklagen auch, dass Ärzte immer weniger Zeit für persönliche Gespräche haben. Ärzte und Pflegende klagen über ein zu enges Korsett und Überlastung in ihrem Dienst.

Frage: Was kann ich als Angehöriger tun, wenn ich das Gefühl habe, ein Familienmitglied wird im Krankenhaus nicht gut versorgt. Muss ich da die Hände in den Schoß legen und sagen, das System ist eben so?

Losinger: Gerade was die persönliche Betreuung angeht, muss sich vieles bessern. Krankheit ist nicht nur ein technisch-medizinisches Phänomen, sondern zutiefst menschlich und existentiell herausfordernd. Deswegen muss die ärztliche Versorgung und die Zuwendung zum Patienten wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. Das gilt auch für die Pflege. Wenn wir eine vernünftige Pflegesituation haben wollen, müssen wir den Pflegeberuf attraktiv gestalten, etwa die Aus- und Weiterbildung optimieren und auch die Bezahlung vernünftig anpassen. Als Weihbischof und Sozialethiker bin ich in der Begegnung mit Menschen im Krankenhaus immer wieder erstaunt, wie wenig die wichtige Leistung der Pflege honoriert wird. Da sehe ich auf jeden Fall Handlungsbedarf für unsere Gesellschaft und Gesundheitspolitik.

Frage: Wie kann die Krankenhausseelsorge zur Humanisierung in den Kliniken beitragen?

Losinger: Wer selbst einmal krank gewesen ist, weiß, dass es in dieser Zeit um zutiefst existenzielle Fragen geht: Was wird mit mir werden? Werde ich wieder gesund? Werde ich sterben? Das sind Fragen, die nicht nur eine medizinische, sondern auch eine spirituelle Antwort benötigen. Deswegen ist Krankenhausseelsorge ein sehr wichtiger Bereich, dem sich die Kirche mit Nachdruck widmet.

Frage: Die Kosten im Gesundheitssystem werden voraussichtlich weiter steigen. Was können wir in Deutschland tun, um die Situation in den Griff zu kriegen?

Losinger: Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion über gesundheitliche Versorgung. Wir werden uns verstärkt mit der Frage auseinandersetzen müssen: Wie teuer darf Gesundheit sein und wie viel sind wir bereit zu investieren? Andererseits müssen wir uns überlegen, wie viel Eigenverantwortung einem Patienten zugemutet werden darf. Wenn es um Vorsorge geht, kann jeder Mensch viel durch eine gesunde Lebensführung beitragen. Konkrete strukturelle Veränderungen wird es nur geben, wenn sich alle Größen, die im Gesundheitssystem eine Rolle spielen, beteiligen. Wichtig ist, dass die Patienten nicht in den Hintergrund geraten. Medizin muss gerecht sein.

Frage: Was bedeutet das konkret?

Losinger: Im Sozialgesetzbuch steht, dass jedem Menschen die notwendige medizinische Versorgung zugestanden werden muss. Und das ist eine entscheidende Wegmarke der gerechten Gesundheitsversorgung, hinter die wir nicht zurückfallen dürfen. Ein Kind darf nicht anders behandelt werden, als ein alter Mensch, ein Schwerkranker nicht anders als ein leicht Erkrankter. Schließlich hängt das menschliche Antlitz einer Gesellschaft davon ab, wie sie mit Menschen in Not umgeht.

Das Interview führte Janina Mogendorf

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So lautet das diesjährige Thema der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates, auf der es um die Probleme im Krankenhauswesen und neue Herausforderungen der Krankenversorgung gehen wird.