Sätze für die Seele

Lange Zeit lag das Schreiben in der Hand der Ordensleute. In den Skriptorien der Klöster vervielfältigten sie im Mittelalter Psalmen, Verse und auch ganze Bibeln. Für viele war das Schreiben weit mehr als eine Kulturform - sie sahen darin eine heilsame geistliche Übung. Mit Tinte und Federkiel brachten sie in mühevoller Arbeit Buchstaben um Buchstaben aufs Pergament. Zugleich waren Klöster Orte der Bildung. Kinder aus besseren Kreisen lernten hier lesen und schreiben. Auf beide Weisen erhielten und verbreiteten Mönche und Nonnen das Wort Gottes.
Viele Jahrhunderte später hat das geschriebene Wort in Klöstern und katholischen Bildungseinrichtungen immer noch einen hohen Stellenwert. In Schreibwerkstätten widmen sich Menschen dem kreativen Schreiben und arbeiten mit erfahrenen Autoren an eigenen Texten und Geschichten. Eine andere Variante sich dem Skriptorium von einst zu nähern ist die Kalligraphie. Teilnehmer lernen mit verschiedenen Schreibinstrumenten umzugehen und erlesene Handschriften zu Papier zu bringen.
Eine Form des Gebets
Neben diesen kreativen Ansätzen gibt es heute ein großes Bedürfnis, sich im Schreiben dem eigenen Leben und Glauben anzunähern. Schon Franz Kafka bezeichnete das Schreiben in seinen Tagebüchern als Form des Gebetes. Bei Schreibexerzitien, beim heilsamen Schreiben und anderen spirituellen Angeboten, setzen sich die Menschen vertieft mit sich und ihrem Gottesbild auseinander.
In seiner reinsten Form findet sich diese Art des Schreibens an Gebetswänden, die immer häufiger in Klöstern, in Kirchen und auch virtuell im Internet zu finden sind. Sie sind tapeziert mit anonymen Botschaften, die Wünsche und Dankbarkeit, Qual und Liebe, Aufruhr und inneren Frieden abbilden. Fünfzeiler, die eine große Sehnsucht nach Gott ausstrahlen. Kurze Einblicke in Lebenswege, die zum Glauben zurückführen, weil sie anders nicht zu überstehen sind.
Zur Person
Petra Fietzek ist eine deutsche Schriftstellerin, die neben Lyrik, Prosa, Kinder- und Jugendbüchern auch geistliche Literatur veröffentlicht hat. Sie ist Biblio- und Poesietherapeutin. Seit 1995 schreibt und spricht sie geistliche Sendungen für WDR, Deutschlandfunk und Deutsche Welle. Eva-Maria Hinkes bietet in der Bonner Pfarrei Sankt Peter geistliche Schreibseminare an und bildet im Erzbistum Köln Frauen aus, die ebenfalls Seminare in den Bereichen "Heilsames Schreiben mit der Bibel" und "Bibel teilen" geben möchten."Schreiben ist ein ureigener, sehr persönlicher Ausdruck. Es ist ein schöpferischer Akt, der Unbekanntes hervorbringt", sagt Schriftstellerin Petra Fietzek, die seit Jahren gemeinsam mit einer Ordensschwester Seminare im Exerzitienhaus Gertrudenstift in Rheine anbietet und eigene Schreibkurse in der Kolpingbildungsstätte in Coesfeld leitet. "Das Heilsame daran ist, dass der Schreibende sich selbst lesen kann. Dass er sich von negativen Gedanken löst und eine eigene Welt erschafft, wenn die wirkliche Welt nicht genügt."
Die Heilkraft des Schreibens lässt sich gezielt in verschiedenen Lebenssituationen einsetzen. So gibt es eine Vielzahl von Angeboten, die sich an Menschen im Alter, in einer Trauerphase oder auch bei Krankheit wenden. "Ich biete zum Beispiel Kurse in einer Klinik für Menschen mit der Schmerzkrankheit Fibromyalgie an", erzählt Petra Fietzek. Dabei gehe es gerade nicht darum, über die Schmerzen zu schreiben, sondern neue Perspektiven einzunehmen. Die Teilnehmer schreiben über persönlichen Genuss und Freude und verlassen darüber die verinnerlichte Rolle des Schmerzpatienten.
Von einer Gottes-Sehnsucht getrieben
Die Wartelisten für Schreibkurse mit geistlicher Ausrichtung sind lang. Ein Phänomen, dass Petra Fietzek seit Jahren beobachtet. "Die Menschen strömen deutschlandweit in diese Seminare." Darunter viele Frauen ab der Lebensmitte, die sich von der Kirche entfernt haben und von einer Gottes-Sehnsucht getrieben sind. Sie bringen ihre Enttäuschung über die Kirche mit, aber auch den dringenden Wunsch, Gott zu finden. "Sie möchten ins Unvollkommene, ins Vorläufige schreiben dürfen und ihre Zweifel teilen", so die Lyrikerin.
In der Regel geben die Seminarleiter bei diesen Kursen das Thema vor. Zur Einführung lesen sie geistliche Texte oder entwickeln das Thema über Körperübungen, Bildbetrachtungen oder den persönlichen Austausch. Dann geht es ans Schreiben - in der Stille, jeder für sich. Anstoß zu einer neuen Glaubenserfahrung, die so ganz anders ist, als der sonntägliche Gottesdienstbesuch oder das Lesen in der Bibel. "Wer den Glauben passiv konsumiert, kann nicht mitreden, nichts einwenden", so Fietzek. Wer darüber schreibt, lernt viel über sich selbst und seine Beziehung zu Gott und kann diese Erkenntnisse mit anderen teilen.
Die Beschäftigung mit der Bibel steht im Zentrum zahlreicher geistlicher Schreibkurse.
Das ist auch die Erfahrung von Eva-Maria Hinkes, die in Bonn "Heilsames Schreiben mit der Bibel" anbietet. "Es ist die Verbindung von therapeutischem Schreiben und der Methode des Bibelteilens", erklärt sie. Beim "Bibel teilen" gehe es darum, fern aller theologischen Interpretation mit dem Herzen an die Heilige Schrift heranzugehen. Jeder Teilnehmer lasse sich von einem Wort inspirieren und spreche es laut aus, bevor die Gruppe darüber redet.
"Beide Ansätze gehören für mich zusammen", erklärt Hinkes. Die schreibende Auseinandersetzung mit der Bibel gehe ihrer Erfahrung nach tiefer als jedes Gespräch. "Die Sehnsucht nach dem Heilwerden ist im Menschen verankert und bei der Frage, wie ich das Evangelium mit dem eigenen Leben in Verbindung bringen kann, kommt es zu heilenden Begegnungen mit Jesus." Beim Schreiben fließen Trauer, Freude und Wut aufs Papier - die ganze Palette der Gefühle. "Es ist verblüffend, was sich da aus dem Verborgenen löst. Meine Teilnehmer sind meist selbst erstaunt", so die Seminarleiterin.
Wertschätzender Austausch
Es gehört zur Idee solcher Kurse, den geschriebenen Text laut vorzutragen. Es ist aber kein Muss. "Hin und wieder ist es einem Teilnehmer zu persönlich, aber die meisten lesen vor", sagt Hinkes. Dabei komme es ausdrücklich nicht auf gute Formulierungen an, sondern auf den Inhalt. Der intensive Austausch in der Gruppe sollte dabei immer wertschätzend sein. "Es gut und wichtig zu hören, was bei den Zuhörern angekommen ist und was sie aus dem Text herausgehört haben, was sie berührt und wo sie ähnliches erlebt haben", so Hinkes.
Jeder ist in diesen Schreibseminaren willkommen, betonen beide Kursleiterinnen, ganz egal, was er mitbringt. "Da sitzen Hauptschüler neben Augenärzten und wissen das gar nicht, denn es spielt überhaupt keine Rolle", sagt Petra Fietzek. Was geschrieben und was gesprochen wird, bleibt in diesem geschützten Raum. "Natürlich wird auch geweint, das ist ganz normal", so Fietzek. Für die Menschen sei es gut zu hören, dass auch andere ihre Glaubenszweifel haben. Es mache aber auch Mut zu sehen, wie sie in der atheistischen Gesellschaft zurechtkommen.