Die Geschichte der Ordensfrau und "Lepra-Ärztin" Ruth Pfau

"Der Herrgott wollte mich für diese Arbeit haben"

Veröffentlicht am 28.03.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Orden

Karatschi ‐ Als junge Frau kam Ruth Pfau nach Pakistan, wo sie sich dem Kampf gegen Lepra widmete. In Karachi ist die Ordensfrau nun gestorben. Im März erzählte die 87-jährige katholisch.de von ihrem bewegten Leben.

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Frage: Frau Pfau, warum kamen Sie nie in Indien an?

Pfau: Ich wurde 1960 von meinem Orden nach Indien geschickt, um dort als Frauenärztin zu arbeiten. Aufgrund eines Problems mit meinem Visum musste ich jedoch im pakistanischen Karatschi einen Zwischenstopp machen. Eine meiner Mitschwestern nahm mich mit in das Lepra-Ghetto der Stadt. Der Anblick der Menschen dort hat mich tief erschüttert. Die Ratten fraßen buchstäblich die gefühllosen Hände der Patienten an. Das waren grauenhafte hygienische Zustände in diesem Elendsviertel. Ich war wirklich geschockt. Mir war sofort klar: Hier muss etwas geschehen und ich muss helfen. Diese erste Begegnung mit leprakranken Menschen wurde bestimmend für mein ganzes Leben. Wir haben dann dort eine Krankenstation errichtet.

Linktipp: Lepra-Ärztin und Ordensfrau: Ruth Pfau ist tot

Sie widmete ihr Leben dem Kampf gegen Lepra: Die deutsche Ärztin und Ordensschwester Ruth Pfau ist tot. Sie starb im Alter von 87 Jahren im pakistanischen Karachi. (Artikel vom 10.08.2017)

Frage: Woher hatten Sie die Kraft, den Kampf gegen Lepra so engagiert anzugehen?  

Pfau: Damals war ich noch jung. Und die Kraft ist mir quasi von den Patienten her zugeflossen. Es war so offensichtlich, dass meine Hilfe in Pakistan gebraucht wird. Als Ordensfrau konnte ich nicht nur auf meine eigene Kraft bauen, heute würde ich sagen, der Herrgott wollte mich für diese Arbeit haben. Ich habe auch nie an diesem Weg gezweifelt oder irgendetwas bereut. Die Arbeit mit den Leprakranken war genau das Richtige für mich. Ich habe damals einfach angefangen. Die Patienten brauchten mich und ich habe gemerkt, dass ich ihnen helfen kann und das hat mich glücklich gemacht.

Frage: Sie waren mit dem Jeep unterwegs, war das als Frau überhaupt erlaubt?

Pfau: Nein, eigentlich nicht. Ich habe mich im Jeep immer nach vorne gesetzt, ohne zu wissen, dass das für Frauen in Pakistan nicht vorgesehen war. Aber es war für diese Zeit damals so ungewöhnlich, dass eine Frau bei den Ausfahrten dabei war, dass sich die Männer nicht beschwert haben. Ich habe Männer immer auf Augenhöhe behandelt, denn das war die einzige Möglichkeit sich durchzusetzen. Wer weiß, vielleicht habe ich durch mein Verhalten auch eine stille Revolution für die Rechte der Frauen in Pakistan eingeleitet.

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Frage: Sind Sie die Mutter Teresa von Pakistan?

Pfau: So sehr ich Mutter Teresa geschätzt habe, wir waren total verschieden. Ich bin als Ärztin sehr viel systematischer in meiner Arbeit und organisatorisch anders aufgestellt. Man kriegt mich auch kaum mal dazu, den Herrgottsnamen bei meiner Arbeit zu nennen. Und ich würde nie warten, bis es einem Menschen so schlecht geht, dass er im Sterben liegt und keine Behandlung mehr greift. Das könnte ich von meinem Verständnis der Menschenwürde her gar nicht. Außerdem würde ich bestimmt nicht wollen, dass sich jemand zum Christentum bekennt. Als Mutter Theresa mit ihrem Orden nach Pakistan kommen und auch Lepraarbeit betreiben wollte, da haben wir beide uns getroffen und ausgesprochen. Wir haben damals festgestellt, dass wir nicht miteinander arbeiten könnten.  

Frage: Was hat Sie an der Arbeit von Mutter Theresa gestört?

Pfau: Ich weiß nicht, wie sie gearbeitet hat, ich möchte ihr auch nichts Böses unterstellen. Ich weiß nur, dass sie keinen großen Wert auf Organisation und Sauberkeit legte. Für uns war Hygiene aber das Wichtigste überhaupt.

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie bei Ihrer Arbeit kaum einmal über den Herrgott sprechen. Warum nicht?

Pfau (lacht): Über meinen Glauben rede ich tatsächlich nicht so viel. Darüber zu schreiben ist für mich einfacher. Ich weiß einfach nicht, wie ich angemessen darüber sprechen sollte. Ich glaube, als Europäerin bin ich es einfach nicht gewöhnt, fromm zu reden. Ich wurde erst spät evangelisch getauft. Meine Eltern gehörten einer Sekte an, die davon überzeugt war, dass die Mitglieder selbst entscheiden, wann sie die Sakramente empfangen wollen. Während meines Medizinstudiums kam ich mit dem christlichen Glauben in Kontakt. 1953 ließ ich mich in der Studentengemeinde in Mainz taufen und wurde Mitglied in der evangelischen Kirche. Schon zwei Jahre später konvertierte ich aber zur katholischen Kirche. Das Katholische hat mir einfach mehr zugesagt.

Frage: Warum wollten Sie denn Ordensfrau werden?

Pfau: Ich wusste immer: wenn ich katholisch werde, dann ganz. Das war immer ein Charakterzug von mir: alles oder nichts. Es war daher nur logisch, wenn ich katholisch werde, dann werde ich auch Nonne. Im Jahr 1957 bin ich nach Paris gereist und trat in die Kongregation der Gesellschaft der Töchter vom Herzen Mariä ein. Mir gefiel diese Gemeinschaft, die stark von Ignatius von Loyola geprägt ist. Dort fühle ich mich zu Hause. Ohne diese Gemeinschaft wäre ich wohl nie in Pakistan gelandet.

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Video: © Nicole Stroth

Seit mehr als 50 Jahren lebt Ruth Pfau in Pakistan, hat die Lepra besiegt und kümmert sich nun um Menschen mit einer Behinderung.

Frage: Ein verrücktes Leben, das Sie geführt haben?

Pfau: Ja, natürlich ist es verrückt so etwas zu machen. Aber Gott hat uns nicht gesagt, dass wir ein logisches Leben führen sollen. Ich bin sehr froh, dass ich die Chance bekommen habe, nach Pakistan zu kommen. Ich wollte mich in meinem Leben nicht langweilen, also bin ich katholische Christin geworden, das schien mir die Garantie für ein spannendes Leben. Und bei Gott, bis heute war mir nie langweilig!

Frage: Gibt es ein Beispiel, wo Sie gespürt haben, dass Ihre Arbeit Sinn macht?

Pfau: Wir haben einmal ein junges Mädchen, das in einer Berghöhle eingemauert war, vor dem sicheren Tod gerettet. Heute ist sie von der Lepra geheilt, verheiratet und stolze Mutter von fünf Kindern. Solche Geschichten machen mich sehr glücklich.

Frage: Sind Sie dankbar für Ihren Lebensweg?

Pfau: Ja, ich bin Gott dankbar, dass er mich nach Pakistan gerufen hat. Und ich bin dankbar, für alle Menschen, die mich unterstützt haben, denn ich weiß, alleine hätte ich das alles nie geschafft.

Frage: Haben Sie denn kein Heimweh nach Deutschland?

Pfau: Nein, ich lebe in Pakistan und ich bleibe hier. Was sollte ich in Deutschland tun? Dort wäre es mir auch zu langweilig. Dass ich in Pakistan lebe, hat auch ganz pragmatische Gründe: Ich bin jetzt 87 Jahre alt, von meiner Mini-Rente könnte ich in Deutschland niemals leben. Hier in Pakistan kann ich damit bequem leben und sogar noch eine Menge Leute unterstützen. Außerdem bin ich hier gut versorgt. Zum Glück ist es nicht so einfach, in Pakistan ein Flugticket nach Deutschland zu kaufen, denn sonst würde ich mir vielleicht überlegen, ob ich doch zurückgehen möchte. Aber was soll ich da tun? Mein Team braucht mich hier.

Hinweis: Ruth Pfau starb am 10.08.2017 im Alter von 87 Jahren. Das Interview wurde im März des Jahres geführt.

Von Madeleine Spendier

Zur Person

Ruth Pfau wurde 1929 als vierte von fünf Töchtern in Leipzig geboren. Sie konvertierte 1953 zur katholischen Kirche und studierte in Mainz Medizin. Im Jahr 1957 reiste sie nach Paris und trat in die Kongregation der Gesellschaft der "Töchter vom Herzen Mariä" ein. Seit den 1960er Jahren arbeitete sie in Pakistan im Maria-Adelaide-Lepra-Zentrum (MALC) in Karachi. Am 10. August 2017 starb sie im Alter von 87 Jahren in der pakistanischen Metropole.