Der frühere Erzbischof von Washington ist kein Kardinal mehr

Der tiefe Fall des Theodore McCarrick

Veröffentlicht am 30.07.2018 um 12:10 Uhr – Lesedauer: 
Missbrauch

Vatikanstadt/Washington ‐ Öffentlich durfte der von Missbrauchsvorwürfen belastete Theodore McCarrick schon länger nicht mehr als Priester wirken. Jetzt ist der Ex-Erzbischof von Washington auch seinen Kardinalsrang los. Das kam seit 90 Jahren nicht mehr vor. Doch ihm droht noch mehr.

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Die Mitteilung umfasste nur wenige Zeilen. Aber die Nachricht, die das vatikanische Presseamt am Wochenende verbreitete, kommt einem Paukenschlag gleich: Der von Missbrauchsvorwürfen belastete frühere Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, habe Papst Franziskus seinen Rücktritt aus dem Kardinalskollegium angeboten. Das Schreiben ging den Angaben zufolge am Freitag ein - am Samstag nahm der Papst das Gesuch an. Der heute 88-jährige McCarrick, der von 2001 bis 2006 das Erzbistum Washington leitete, soll laut Medienberichten zwischen 1970 und 1990 junge Priesteramtskandidaten zu sexuellen Handlungen verführt und auch mindestens zwei Minderjährige missbraucht haben.

"Dass ein Kardinal komplett aus dem Kardinalsstand ausscheidet, ist seit mehr als 90 Jahren zum ersten Mal geschehen", sagte Hans Zollner, Leiter des Kinderschutzzentrums an der Päpstlichen Universität Gregoriana, im Interview der Katholischen Nachrichten- Agentur (KNA). Damals ging es allerdings nicht um Missbrauch, sondern um Politik. 1927 trat der französische Kardinal und Jesuit Louis Billot (1846-1931) nach einem Streit mit Papst Pius XI. (1922-1939) zurück. Grund war Billots Unterstützung für die rechtsextreme und monarchistische Bewegung Action Francaise, die der Papst verurteilte.

Schnelle Reaktion von Papst Franziskus

Pius XI. nahm Billots Ausscheiden aus dem Kardinalskollegium eine Woche später an, veröffentlichte dies jedoch erst zwei Monate danach. Franziskus reagierte im Fall McCarrick deutlich schneller. Dies zeige, dass der Papst die kirchlichen Strafmöglichkeiten sehr ernst nehme "und es um Transparenz auf allen Ebenen geht", meinte Zollner. Darüber hinaus darf McCarrick keine Sakramente mehr spenden oder liturgische Feierlichkeiten leiten. Zusätzlich verfügte Franziskus, dass sich der frühere Erzbischof an einen noch näher zu bestimmenden Ort zurückziehen solle, um dort "ein Leben in Gebet und Buße zu führen", bis die Anschuldigungen gegen ihn in einem kirchenrechtlichen Prozess geklärt seien.

Wann dieses Verfahren beginnt und ob McCarrick - sollte er für schuldig befunden werden - als "Höchststrafe" auch die Entlassung aus dem Priesterstand droht, ist noch offen. Die Schwere der Tat und mögliche Verjährungsfristen spielen auch im kirchlichen Strafrecht eine Rolle. Bereits im Juni hatte Franziskus nach Bekanntwerden der ersten Anschuldigungen gegen McCarrick die öffentliche Ausübung seines Priesteramtes untersagt. Die Vorwürfe seien "glaubwürdig und substanziell", hieß es aus dem Erzbistum New York, in dem sich die Vorfälle zugetragen haben sollen. In der vergangenen Woche berichtete die "Washington Post" von weiteren Missbrauchsvorwürfen gegen McCarrick.

Kardinal Sean O’Malley ist seit 2003 Erzbischof von Boston.
Bild: ©picture alliance / landov

Der Bostoner Kardinal und Vorsitzende der päpstlichen Kinderschutzkommission, Sean O'Malley, sieht Nachbesserungsbedarf bei der kirchlichen Verfolgung von Missbrauchsvorwürfen gegen Bischöfe und Kardinäle.

Der Druck auf den Kirchenmann, der wegen seines sozialen Engagements und seiner exzellenten Verbindungen zum politischen Establishment in Washington berühmt war, nimmt damit weiter zu. Aber auch die amerikanische Bischofskonferenz hat ein Problem, war es doch nicht zuletzt McCarrick, der in den frühen 2000er-Jahren die "Null-Toleranz-Linie" der US-Bischöfe mit formulierte. In amerikanischen Medien mehren sich die Fragen, warum die mutmaßlichen Verfehlungen von McCarrick erst jetzt ans Licht kommen.

Knapp kommentierte der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz, Kardinal Daniel Nicholas DiNardo, die Entlassung McCarricks aus dem Kardinalsstand. Er dankte dem Papst, dass dieser die Initiative bei dem "bedeutsamen Schritt" übernommen habe. Zuvor hatte der Bostoner Kardinal und Vorsitzende der päpstlichen Kinderschutzkommission, Sean O'Malley, Nachbesserungsbedarf bei der kirchlichen Verfolgung von Missbrauchsvorwürfen gegen Bischöfe und Kardinäle angemeldet.

O'Malley sieht "große Dringlichkeit"

Hier klaffe eine "große Lücke", so O'Malley. Es seien "klarere Verfahren" erforderlich. Dabei gehe es ihm nicht nur um den Missbrauch von Minderjährigen, sondern auch den sexuellen Umgang von Bischöfen und Kardinälen mit Erwachsenen. Der Kardinal kündigte an, er werde das Thema im Vatikan mit "großer Dringlichkeit" zur Sprache bringen.

Enttäuscht über das Krisenmanagement im Fall McCarrick zeigte sich Marie Collins, die 2017 im Protest die Vatikan-Kinderschutzkommission verlassen hatte. Der Kardinal habe um seinen Rücktritt gebeten, betonte die Irin auf Twitter. Es hätte "so viel mehr bedeutet", wenn die Nachricht gelautet hätte, der Papst habe McCarrick entlassen.

Von Joachim Heinz (KNA)