Mit Gott den Platz im Leben finden: Die "Zukunftswerkstatt SJ"

"Ich liebe mein Leben!" – Diesen Satz sagen zu können fällt jungen Menschen manchmal gar nicht so leicht. Sie stecken in schwierigen Entscheidungssituationen und müssen sich mit vielen Fragen beschäftigen: Was will ich mit meinem Leben anfangen? Wo ist mein Platz? Was sind meine Talente?
Im vergangenen Sommer musste sich auch Luisa Maurer diesen Fragen stellen: "In meinem Alter, zwischen Schule, Studium und Beruf, muss ich wichtige Entscheidungen treffen und damit die Weichen für mein restliches Leben stellen", sagt sie. Sie stand am Übergang von zwei Lebensabschnitten – nach einem Auslandsaufenthalt und vor dem Wechsel ihrer Uni. Die Studentin suchte etwas, das ihr dabei helfen würde, das vergangene Jahr hinter sich zu lassen und auf die neue Zeit zuzugehen. Ein solches Angebot fand sie in der "Zukunftswerkstatt SJ".
Meine Berufung – wo ist mein Platz?
"Man muss die Segel in den unendlichen Wind Gottes stellen, dann erst werden wir spüren, zu welcher Fahrt wir fähig sind." Diese Worte stammen von dem Jesuiten Alfred Delp und zeigen die Grundidee der Zukunftswerkstatt. Das Projekt soll jungen Menschen im Alter von 17 bis 30 Jahren dabei helfen, ihre Lebensfragen zu klären und die ganz persönliche Berufung zu finden. "Wir sind überzeugt, dass die eigene Berufung das Leben intensiver, kraftvoller, glücklicher – ja, lebendiger macht", heißt es auf der Internetseite des Projekts, das 2017 vom Jesuitenorden ins Leben gerufen wurde.

Clemens Kascholke SJ übernimmt ab Oktober die Leitung der Zukunftswerkstatt
Im Oktober übernimmt Clemens Kascholke die Leitung des Projekts. Er ist als Jesuit ein Spezialist für das Treffen von Entscheidungen, denn genau damit befasst sich ein wichtiger Bestandteil der Spiritualität seines Ordens. Der 31-Jährige weiß auch um den Entscheidungsdruck, der auf den jungen Menschen lastet. Er sei zwar nicht viel größer als früher, aber die Fülle der Entscheidungen sei wesentlich umfangreicher: "Die Vielfalt der Möglichkeiten heutzutage erschlägt die jungen Leute manchmal." Kascholke möchte dazu beitragen, dass junge Erwachsene "im Urwald der Möglichkeiten eine Schneise für ihren Lebensweg" finden.
Kascholke hat selbst erst vor kurzem sein Lehramtsstudium abgeschlossen. Für ihn bedeutet Berufung, immer mehr zu dem Menschen zu werden, der er vor Gott sein soll. Das sei etwas Dynamisches, man dürfe immer wieder neu und immer mehr den Plan Gottes für sein Leben entdecken. "Wenn wir das entdecken, kommen wir näher zu Gott, zu unseren Mitmenschen und zu uns selbst."
Das Gebet spielt eine zentrale Rolle
In der Zukunftswerkstatt dreht sich alles um das Thema Berufung. Wollen die Jesuiten mit ihrem Projekt also neue Ordensleute oder Priesterseminaristen rekrutieren? Diese Befürchtung kann Julia Schwarzer entkräften: "In der Zukunftswerkstatt sagt dir niemand: Das ist dein Lebens- oder Glaubensweg und dann bist du fertig." Vielmehr eröffne die Zukunftswerkstatt einen Freiraum, um sich mit persönlichen Fragen zu beschäftigen. "Die Antworten darauf muss man dann selber finden – in Zusammenarbeit mit Gott im Gebet", verrät Schwarzer. Sie nahm beim Jahreswechsel 2017/18 das erste Mal für zehntägige Exerzitien an einem Angebot der Zukunftswerkstatt teil. Im Gepäck hatte sie viele Fragen und bisher keinen Ort gefunden, an dem sie sich darüber hätte austauschen können.

Der Meditationsraum in der Zukunftswerkstatt
Schwarzer war zwar schon in der Kirche aktiv gewesen, bevor sie die Zukunftswerkstatt kennenlernte, aber niemand habe ihr – über die Standardgebete hinaus – das Gebet als "Gespräch mit Gott" nähergebracht. Das geschah erst in dem Projekt der Jesuiten. Welche Pläne Gott für eine Person habe, könne man nur herausfinden, wenn man das Gebet als Austausch mit Gott wahrnehme. "Ich muss zuhören", beschreibt sie ihre neue Erkenntnis, die sie in den zehn Tagen in der Zukunftswerksatt über das Gebet machen durfte.
Die ignatianische Spiritualität als Handwerkszeug
So wie die Suche nach der eigenen Berufung bei jedem Menschen anders verläuft, sind auch die Angebote der Zukunftswerkstatt sehr individuell. Es beginnt mit kurzen Auszeitwochenenden von freitags bis sonntags. Ignatianische Exerzitien, also geistliche Übungen in der Spiritualität des Jesuitenordens, gibt es in verschiedenen Varianten: Für Einsteiger dauern sie fünf Tage, für Fortgeschrittene gibt es acht- oder zehntägige Exerzitien. Bei besonders schwierigen Lebensentscheidungen können auch die großen 30-tägigen Exerzitien oder individuelle Auszeiten vereinbart werden. Es ist auch möglich, als "Permanent" für einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten in der Zukunftswerkstatt zu wohnen und stundenweise mitzuhelfen. Wichtig bei jedem dieser Formate sind drei Dinge, die bei der Suche nach mehr Selbstbestimmung helfen sollen: Freiraum, geistliches Handwerkszeug und Gleichgesinnte.
Die Räumlichkeiten der Zukunftswerkstatt auf dem Campus der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt bieten die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen und Zeit zum Nachdenken zu finden. Es gibt einen großen Park, einen Meditationsraum und ein eigenes Zimmer für jeden Teilnehmer. Die jungen Erwachsenen sollen einen Freiraum haben, in dem sie sich mit ihren Fragen und Sehnsüchten beschäftigen können.

Gemeinsame Mahlzeiten in der Zukunftswerkstatt
Durchgehendes Schweigen, vier Bibelbetrachtungen am Tag, tägliche Eucharistiefeier und Einzelgespräche mit einem geistlichen Begleiter sind Elemente, die das Projekt der Jesuiten prägt. "Die ignatianische Spiritualität ist ein gutes Handwerkszeug für junge Menschen. Es hilft bei der Entscheidungsfindung", weiß Kascholke aus eigener Erfahrung. Auch wenn das Projekt der Jesuiten katholisch geprägt ist, versteht sich die Zukunftswerksatt aber als ein konfessionsübergreifendes Angebot für jeden, der auf der Suche nach Gott und seinem Plan für das eigene Leben ist.
Die Gemeinschaft stärkt
Kascholke weiß, dass das Programm der Exerzitien auch herausfordernd ist. Besonders schwierig würden sich viele Teilnehmer am Anfang das durchgehende Schweigen vorstellen. Schwarzer berichtet von ihrer ersten intensiven Schweige-Erfahrung: "Man glaubt gar nicht, was alles hochkommt, wenn man zehn Tage lang mal nichts sagt, kein Fernsehen guckt, keine Musik hört und sich nicht ablenkt." Die Exerzitien hätten ihr dabei geholfen zu unterscheiden, was im Leben wirklich wichtig ist, was man wirklich braucht und was eigentlich nur Zierwerk ist, das einen von den wesentlichen Dingen abhält.
Auch wenn jeder der Teilnehmer während der Exerzitien auf seiner ganz eigenen Berufungssuche ist und das Schweigen keine Austauschmöglichkeiten bietet, hat Luisa Maurer die Gemeinschaft innerhalb der Gruppe von Gleichgesinnten geholfen. "Wenn ich mal einen Durchhänger hatte, habe ich um mich geschaut und gesehen: Alle anderen schweigen auch und sind vielleicht in einem ähnlichen Prozess wie ich." Die Schweigeexerzitien waren für sie ein guter Zwischenstopp, um gestärkt in einen neuen Lebensabschnitt zu starten. Sie hat inzwischen vielen Freunden in ähnlichen Lebenssituationen das Angebot der Jesuiten in Frankfurt weiterempfohlen: "Es wäre ja ganz schön selbstsüchtig, ein so großes Geschenk, das man empfangen hat, für sich zu behalten."