Aufbruch und Tradition

Rund 100.000 Menschen haben sich in diesen Augusttagen aufgemacht, um dann im Paulinerkloster auf dem Hellen Berg vor dem Bild der Schwarzen Madonna zu beten. Schon jetzt füllt sich die Stadt mit den Neuankömmlingen. Wer die Bilder der Pilgerzüge sieht, könnte meinen, die katholische Kirche in Polen sei weit entfernt von den Problemen, die etwa die deutschen Bistümer plagen. Leere Kirchen, Priestermangel? In den Pilgergruppen sind viele junge Gesichter zu sehen, auch junge Priester und Ordensleute, die mit Gleichaltrigen scherzen und singen.
Zu den Wallfahrten wird im Internet aufgerufen, auf Youtube-Videos und Online-Tagebüchern können die Daheimgebliebenen verfolgen, was auf der Wallfahrt los ist. Per E-Mail können den Pilgern Gebetsanliegen für die Schwarze Madonna mitgeteilt werden. Eine andere Website schlägt Vielbeschäftigten die App "pray as you go" vor, eine Art Bibelstunde auf dem Smartphone. Kirche im Aufbruch?
Kirchen in Großstädten sind leerer geworden
Das ist nur die eine Seite. In den Großstädten Polens sind die Kirchen leerer geworden. Die Kontroverse um die Abberufung des kritischen Pfarrers Wojciech Lemanski hat gezeigt, wie tief die Gräben zwischen Gläubigen und dem größten Teil der Amtskirche sind. Die zahlreichen Kommentare im Internet und anderen Medien ließen ahnen: Nicht nur in dem Dorf Jasienica, das dem Erzbischof von Warschau-Praga die Stirn bot, wollen die Katholiken mitreden und den Finger auf wunde Punkte legen.
Der polnische Priester Wojciech Lemanski im Gespräch mit einer Gläubigen.
In den kommenden Wochen wird in Polen erstmals eine Organisation gegründet, in der sich die Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester zusammenschließen. Der Name ist Programm: "Fürchtet euch nicht". "Unser Schweigen schützt die Täter", sagte einer der Gründer in einem Interview der "Gazeta Wyborcza". Ihre Namen wollen die drei ehemaligen Ministranten, inzwischen alle über 40 Jahre alt, erst dann nennen, wenn ihre Organisation offiziell die Arbeit aufnehmen kann.
In der Vergangenheit hatten allzu viele Opfer die Erfahrung machen müssen, dass ihnen kein Glaube geschenkt wurde und Familien, die Anzeige gegen pädophile Priester erstatteten, in den Gemeinden gemobbt wurden. Doch je mehr über Missbrauchsfälle öffentlich bekannt wurde, umso lauter wurde auch die Empörung. Für viele Gläubige ist ein ehrlicher Umgang der Kirche mit dem Problem eine Frage der Glaubwürdigkeit. "Es kann doch nicht sein, dass der Papst das Schweigen anklagt, und hier wollen die Bischöfe weitermachen wie bisher", klagt etwa die Warschauerin Katarzyna Zdzislawska.
Reformorientierte Bischöfe sind in der Minderheit
"Die Bischöfe nehmen die Wirklichkeit anders wahr als ein bedeutender Teil der Gesellschaft", meint der Theologe und Philosophieprofessor Tadeusz Bartos, ein ehemaliger Dominikaner. Der Reformflügel innerhalb des Episkopats ist in der Minderheit, während die Traditionalisten unter den Bischöfen mittlerweile selbst durch künstliche Befruchtung gezeugte Babys als Ergebnis einer schweren Sünde betrachten.
Ihre Anhänger wittern inzwischen sogar gefährliche Ansichten aus dem Vatikan: Als Papst Franziskus Homosexuelle gegen Diskriminierung verteidigte , wurde er in rechtskonservativen Internetforen prompt attackiert - zum Beispiel vom Publizist Tomasz Terlikowski, der sagt: "Kein Papst kann das ändern, was seine Vorgänger, die Tradition und die Heilige Schrift festgelegt haben."
Von Eva Krafczyk (dpa)