Eine Nonne hinter Gittern

Da habe es schon herausforderndere Situationen in ihrem Leben gegeben, meint die 78-Jährige. Die JVA Augsburg ist schräg gegenüber vom Kloster der Maria-Ward-Schwestern. Fast täglich geht die Ordensfrau hinüber, hält Wortgottesdienste, organisiert eine Spielegruppe, spricht mit den Insassen. 60 Inhaftierte hat sie in dieser Zeit in Einzelsitzungen begleitet. Sexualstraftäter sind darunter, Gewaltverbrecher, auch ganz junge Männer wie bei ihrer ersten Begegnung im Knast.
"Mit dem wollen Sie sprechen?"
Der Aufseher hatte die Nonne vor ihrem ersten Besuch gefragt: "Was? Mit dem wollen Sie sprechen? Der hat vorige Woche einen anderen Insassen verhauen." Sie aber war sich sicher: "Ich fürchte mich nicht." Die zierliche Schwester erinnert sich daran, wie die Tür aufging: "Und was kommt? Ein schmales Bürscherl, fast schüchtern, klein." Der 21-Jährige hatte eine junge Frau verprügelt. Er war zum ersten Mal im Gefängnis. Seinen Namen aber kannten sie dort schon. "Auch der Vater saß schon ein", erzählt die Ordensschwester. Ihre Stimme zittert. "Von diesem Gespräch bin ich so klein heim, weil ich gedacht hab, ich bin von guten Eltern geboren, konnte was lernen."
Zur Welt kommt Irmtraud Fickler 1935 im Allgäu als älteste von sechs Geschwistern. Die Eltern haben eine Gärtnerei und schon früh muss sie mitanpacken. "Heiratet nie, da hat man nur Arbeit", rät die Mutter ihren Töchtern. Den Wunsch, ins Kloster einzutreten, hat das Mädchen schon früh. Zunächst aber macht sie eine Ausbildung im Büro, arbeitet in einem Betrieb mit 50 männlichen Angestellten: "Da habe ich mich schon durchsetzen müssen." - ein Faden, der sich durch ihr Leben zieht.
Mit Ende 50 in die Auslandsseelsorge nach Israel
Immer wieder gab es Situationen, in denen diese Frau ihren Mann stehen musste: ob in der pastoralen Arbeit in Mindelheim, wo sie Kontakt zu jungen Männern in einem Bauwagen suchte, zu denen sich der Priester selbst nicht traute, oder in ihrer Zeit in Israel. Mit Ende 50 bricht sie nach Stationen im Unterallgäu und im Donauries für die Auslandsseelsorge nach Jerusalem auf, pendelt regelmäßig nach Tel Aviv. 120.000 Kilometer fährt sie in sieben Jahren. Einmal in der Woche geht es zum Gottesdienst am Toten Meer - durch die palästinensischen Autonomiegebiete. "Mitten unter Moslems - da hätte ich früher viel Angst gehabt", meint sie. Als Ordensschwester aber bringen ihr die Araber großen Respekt entgegen.
Und so schreckt sie auch die Arbeit im Gefängnis nicht. Mit 75 Jahren kommt Schwester Irmtraud nach einiger Zeit in Südtirol in das Augsburger Mutterhaus der Maria-Ward-Schwestern, wo sie eingetreten ist. Die gelernte Bürokauffrau und Religionspädagogin will sich nützlich machen im Kloster unweit des Doms oder der dortigen Pfarrei. Die aber sei so klein, da werde niemand für die pastorale Mitarbeit gebraucht, heißt es. Als sie von dem Gespräch zurückkehrt, fällt ihr plötzlich das Gefängnis gegenüber vom Kloster auf. "Und die hier?", fragt sie sich, "brauchen die niemanden?"
Die Tat steht im Hintergrund
Als Ordensfrau habe sie mit den Straftätern kein Problem, sagt Schwester Irmtraud. Oft gehe es in den Gesprächen weniger um die Tat, denn um den Alltag der Häftlinge. Da erzählt dann der eine von dem Brief, den die Frau geschickt hat, und der andere von seinem Sohn, der Krebs hat. Was diese Männer anderen angetan hätten, stehe beim Zuhören hintan.
Wenn die Taten doch zur Sprache kämen, könne sie das aushalten. Die Männer erzählten die Vorfälle aus ihrer Sicht, manche bereuten nach dem Motto: "Ich wollte doch nur, ich wollte doch nur streicheln, ich wollte nicht wehtun." Ins Detail gingen die Häftlinge nicht. "Ich kann das anhören, weil ich nicht nachbohren muss", so die Ordensfrau. Für das Urteil aber seien andere zuständig.
Von Veronika Wawatschek (KNA)