Standpunkt

Vor neuer Papst-Enzyklika: "Avanti dilettanti" in Rom und Weltkirche

Veröffentlicht am 29.09.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wenige Tage vor Veröffentlichung des neuen Papstschreibens "Fratelli tutti" präsentiere sich die Kirche in einem schlechten Zustand, kommentiert Christoph Strack. Das zeige nicht nur ein Blick auf den Vatikan, sondern auch auf manche europäische Bischofskonferenz.

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Der kommende Sonntag wird einer der wichtigeren Tage im Pontifikat von Papst Franziskus werden. Der Jesuit auf dem Petersthron legt seine dritte Enzyklika vor, seine zweite eigene nach "Laudato si" 2015. Angesichts der Corona-Pandemie und einer verunsicherten, erschütterten Welt geht es Franziskus um Orientierung und Neuorientierung, um Gerechtigkeit in einer vor Unrecht schreienden Welt, um die Bewahrung von Gottes Erde.

Knapp sechzig Monate ohne eine neue Enzyklika - das gab es übrigens seit 180 Jahren, seit "Probe nostis" von Gregor XVI., nicht. Da darf man erwarten, dass der Vatikan und die Kirche weltweit darauf hinfiebert und die Themen in gesellschaftliche Prozesse eingespeist hat.

Und? Ein Grausen. Avanti dilettanti. Es fängt mit dem Titel "Fratelli tutti" an. Ja, schon klar: Das ist, wie ja fast alles in der Kirche, inklusiv gemeint. Aber letztlich zeigt es nur, dass der Kirche, lange Zeit eine Meisterin der Kommunikationsbeherrschung, ihr Talent abhanden gekommen ist, selbst unter diesem Papst. Es sind übrigens nicht nur Stimmen aus dem deutschen Sprachraum, die über "fratelli tutti" nörgeln.

Und dann Rom... an diesem Dienstag wird Kardinal Pell in Rom erwartet, der in Australien viele Verletzungen (anderer) zurücklässt. Am Mittwoch spricht US-Außenminister Pompeo bei einer Tagung "Verteidigung der internationalen Religionsfreiheit durch Diplomatie" (was weniger darauf hindeutet, dass die US-Führung gerade Experte für Grundrechte ist, als dass das Thema Religion im US-Wahlkampf als durchaus entscheidend erachtet wird). Desweiteren wirkt, Kino-reif, der Vorgang um Kardinal Becciu nach, vielleicht auch als Sprengstoff. Zudem hat manche Kongregation in den vergangenen Monaten noch von dem veröffentlicht, was Kongregationen halt so veröffentlichen...

Vieles, was nationale Bischofskonferenzen treiben, stehen dem in nichts nach. In den USA schmeißt sich mancher Bischof an Trump ran, als hätte es die letzten vier Jahre nicht gegeben. Auch in Europa wirkt manche Bischofskonferenz von der Krise paralysiert oder taucht im nationalkirchlichen Bällebad ab. Ja, es gibt rühmliche Ausnahmen im Ernst der Krise. Die Kardinäle Schönborn und Hollerich seien hier genannt.

Nun diese Enzyklika. Von jenem Papst, dessen zärtliche Worte und zornige Rede über Jahre so viele Menschen faszinierte. Dessen Gebet und Segen am 27. März auf dem menschenleeren Petersplatz zum Symbol der Corona-Frage wurde. Auf den so viele hoffen, immer noch. Es braucht das andere Wort. In Zeiten der Populisten, die die Hunderttausenden Toten ignorieren, in Zeiten, in denen viele still zweifeln und verzweifeln. Aber eine sonntags veröffentlichte Enzyklika darf nicht zu einer Sonntagsrede werden. Sie ist dann spätestens am Dienstag totgelobt. Es braucht Provokation für Dynamik für gesellschaftliche und kirchliche Debatten.

Von Christoph Strack

Der Autor

Christoph Strack ist Leiter des Bereichs Religionen der Deutschen Welle.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.