Sie raucht, sie denkt

Veröffentlicht am 10.01.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Hannah Arendt: Szene aus dem Film mit Margarethe von Trotta.
Bild: © KNA
Film-Tipp

Bonn ‐ Gruppen von Menschen schieben sich langsam in die Essener Lichtburg. Deutschlands mit 1.250 Plätzen größtes Kino ist voll besetzt: Margarethe von Trottas neuer Film "Hannah Arendt", der an diesem Donnerstag bundesweit anläuft, feiert Premiere. Gut eine Stunde dauert es, bis alle ihren Platz gefunden haben. Langsam wird es dunkel in dem großen Saal, der rote Vorhang hebt sich. Als es ungeplant und plötzlich wieder hell wird, ertönt zum ersten Mal verhaltenes Gelächter. Nicht zum letzten Mal.

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Die Überraschung des Films ist wohl, dass er trotz aller Ernsthaftigkeit und Tiefe viel Witz und Charme hat. Barbara Sukowa, "die tollste Frau des deutschen Films", wie Regisseurin von Trotta sie ankündigt, erweckt eine Hannah Arendt zum Leben, der es nicht an Schlagfertigkeit und trockenem Humor mangelt. Eine Frau, die als die große Denkerin und Philosophin des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird und die vor Kontroversen nie zurückschreckte. Sie raucht, sie denkt, sie diskutiert - sie liebt und lebt.

Von Trotta erläutert, sie habe sich auf jene Phase in Arendts Leben konzentriert, in der sich ihr Weg mit dem SS-Mann und Organisator des Holocaust Adolf Eichmann kreuzt, um dem Film die nötige Tiefe zu geben. Es sei ihr darum gegangen, Hannah Arendt zwischen Denken und Fühlen zu zeigen; als leidenschaftliche Denkerin und als empathische Frau, die zu lebenslangen Freundschaften fähig ist.

Arendt und das "Monster" Eichmann

Als Arendt 1961 für die Zeitschrift "The New Yorker" den Prozess gegen Eichmann in Israel mitverfolgt, fängt sie an, über das Böse nachzudenken - ein Thema, das sie bis zu ihrem Tod nicht mehr loslassen wird. Statt einer Berichterstattung über den Prozess liefert sie nach zwei Jahren eine Abhandlung über die "Banalität des Bösen" ab, die in fünf Teilen abgedruckt wird. Die Veröffentlichung sorgt weltweit für Aufsehen. Wie kann, so fragen Kritiker, Arendt das "Monster" Eichmann "verteidigen", indem sie ihm schlicht eine Unfähigkeit zu denken attestiert und eine unbedingtes Befolgen der Gesetze?

Der Film versucht, die Motive Arendts zu ergründen. "Ich will verstehen", ist der Satz, der ihr Engagement vielleicht am besten umschreibt. Freunde, Bekannte und ihre Universität wenden sich von ihr ab; Ehemann Heinrich Blücher (Axel Milberg) und die beiden engsten Freundinnen, Mary McCarthy (Janet McTeer) und Lotte Köhler (Julia Jentsch) halten jedoch zu ihr. Es ist ein packendes Zeugnis einer großen Denkerin, das sich da auf der Leinwand abspielt, aber auch eine sehr persönliche Lebensgeschichte, nämlich die einer Immigrantin, die in den USA Fuß fassen wollte.

Lachen und ab

Von Trotta hat den Film bewusst zweisprachig gehalten. Das stark deutsch gefärbte Englisch Arendts ist gewöhnungsbedürftig, doch der dramaturgische Kniff erfüllt seinen Zweck. "Ich wollte, dass der Zuschauer spüren kann, was Immigration bedeutet: nämlich auch den Verlust der Muttersprache", so die Regisseurin.

Groß ist der Applaus nach über eineinhalb Stunden. Das Licht geht an. Für Hauptdarstellerin Sukowa gibt es Standing Ovations und weiße Rosen. Und Film-Ehemann Milberg begeistert das Premierenpublikum mit einem Vergleich, der die Person Hannah Arendt in wenigen Worten zusammenfasst: "So wie die grünen Notausganglichter, die hier ein bisschen zu grell sind, ist autonomes Denken der Notausgang des Lebens. Also, liebe Zuschauer, im Sinne Hannah Arendts benutzen Sie heute bitte die Notausgänge." Lachen und ab.

Von Barbara Mayrhofer