Neues aus Telesibirsk

Ursprünglich hatte sich der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer Mitte der 1950er Jahre einen regierungsnahen Sender gewünscht – ein Gegengewicht zum "Rotfunk", wie viele CDU-Politiker die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten der ARD nannten. Einige SPD-geführte Bundesländer opponierten gegen das sogenannte „"Adenauer-Fernsehen" und klagten vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter bestätigten die Rechtsauffassung der Länder und erklärten die 1960 gegründete „Deutschland-Fernsehen GmbH“ für verfassungswidrig – Kultur sei Sache der Länder. Daraufhin gründeten die Bundesländer wenige Monate später das Zweite Deutsche Fernsehen.
Zeit für Religion garantiert
Die Kirchen waren von Anfang an involviert: Zunächst wurden nur sporadisch Gottesdienste übertragen, das Programm aber Stück für Stück ausgebaut, erklärt Ulrich Fischer, Leiter der Katholischen Fernseharbeit, die sich im Auftrag der katholischen Kirche um die Inhalte gesetzlich garantierten Sendezeit kümmert. Seit 1986 werden im wöchentlichen Wechsel Sonntagsgottesdienste der beiden christlichen Kirchen übertragen. Zunächst gegen den Willen der Kirche, erinnert sich Michaela Pilters, Leiterin der Redaktion Kirche und Leben. Einige Theologen fürchteten um die Mystik des Gottesdienstes, wenn Menschen regelmäßig der Gabenwandlung beiwohnten, denen sie gar nichts bedeutet – mittlerweile gibt es keinerlei Bedenken mehr.
Das sogenannte Verkündigungsprogramm wird von einem halbstündigen Magazin vor der Messe flankiert; die Beiträge zur Themensendung "37 Grad" liefert ebenfalls die Redaktion Kirche und Leben. Hinzu kommen Spezialsendungen zu hohen Feiertagen. Das Kirchenprogramm, so Fischer, wurde kontinuierlich ausgebaut.
Auch das ZDF wurde ausgebaut: Der Sender hat sich von der improvisierten Senderzentrale in Eschborn, von den Mitarbeitern spöttisch "Telesibirsk" genannt, zum größten Fernsehsender Europas gemausert. Das Sendezentrum am Mainzer Lerchenberg, 1984 eingeweiht, ist etwa eine Million Quadratmeter groß. Und jenseits des Hauptprogramms bespielt das ZDF drei Digitalkanäle und beteiligt sich am Programm von Phoenix, 3sat und arte.
ZDF muss sparen
Neuerdings muss der Sender jedoch sparen: Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalt (KEF) monierte die hohen Personalkosten. Mehr als zehn Prozent der Vollzeitstellen, so die Vorgabe, müssen bis 2016 eingespart werden. Der Spartenkanal ZDF-Kultur wird komplett abgeschaltet.
Zudem zweifeln Kritiker an der Strategie des neuen Intendanten Thomas Bellut. Der "Spiegel" bemängelt , das Programm sei zu boulevardesk und biete zu wenig Qualität. Auch der Umgang mit sozialen Netzwerken wirke wenig souverän. Einzig Sendungen wie "ZDF-Zoom", in denen ein Reporter stellvertretend für den Zuschauer Dinge ausprobiert, bekommen dagegen gute Noten. Mehr Mut zu Experimenten, rät der Spiegel.
Auch in der Redaktion Kirche und Leben wird experimentiert. Laut Fischer schalten jedes Wochenende zwischen 600.000 und einer Million Zuschauer zu den Fernsehgottesdiensten ein – das sind etwa zehn Prozent Marktanteil. Fischer wertet dies als Erfolg. Nach der Messe können die Zuschauer via Telefon über die gerade gehörte Predigt diskutieren – Fischer nennt dies den medialen Kirchplatz. Die Gottesdienste seien durchaus beliebt; Fischer erzählt von Menschen, die sich daheim eine Kerze anzünden und das Gotteslob bereit legen. Einzelne Gemeinden bieten sogar an, dass ein Seelsorger zu einem nach Hause kommt und die Kommunion austeilt.
Neues Programm und eine Überraschung
Das Problem der medialen Kirchenarbeit deckt sich jedoch mit dem Problem des gesamten ZDF: Man erreicht vor allem älteres Publikum. Dies lasse sich auch an den niedrigen Zugriffszahlen im Internet überprüfen. Es liege jedoch nicht in den Händen des ZDF, den Ablauf des Gottesdienstes telegener zu gestalten: "Das ist eine festgefügte Liturgie. Das Drehbuch wird sozusagen von der Kirchenarbeit verfasst; das ZDF kommt erst bei der Umsetzung ins Spiel", so Pilters.
Um auch die zweite Säule des religiösen Programms weiter zu stärken, arbeitet die Redaktion von Michaela Pilters gemeinsam mit der katholischen Fernseharbeit und ihrem evangelischen Pendant an neuen Formaten, mit denen auch Jugendliche für religiöse Inhalte begeistert werden können – Programm, dass zunächst auf den digitalen Spartenkanälen ausgetestet wird. Mehr möchte Ulrich Fischer noch nicht verraten – gemäß dem Motto: Erst kommt das Ei und dann wird gegackert.
Von der neuen Bescheidenheit des Senders bleibt auch die Kirchenredaktion nicht verschont. Das ist jedoch nicht der Grund, warum die Redaktion das Senderjubiläum nicht besonders feiern wird; vielmehr bereiten die Mitarbeiter von Kirche und Leben ihr eigenes, wenn auch kleineres Jubiläum vor, verrät Pilters: "Die Sendung 'Sonntags – TV fürs Leben' wird Ende April zehn Jahre alt. Und da haben wir uns schon was Besonderes einfallen lassen."
Von Michael Richmann