Ein ungewöhnliches Porträt

Hier oben ist sie ganz bei sich und den Tieren, die sie innig herzt und mit Hingabe pflegt; die harte Arbeit, das Melken, Buttern und "Kasern" gehen ihr leicht von der Hand, der Tag wird vom Lauf der Sonne und dem Wetter bestimmt, Fragen nach dem Alleinsein oder der Zukunft stellen sich nicht.
Doch im Nu ist der Sommer vorbei, und mit dem Abtrieb kehren auch die weniger paradiesischen Gefilde mit ihren Sorgen und Zwängen wieder, allen voran die Frage, ob Uschi den kleinen Milchbauernhof ihrer betagten Eltern nicht endlich doch übernehmen will. Wie ein Mantra kommt der Regisseur Matti Bauer immer wieder auf dieses Thema zu sprechen, das seine über zehn Jahre sich erstreckenden filmischen Begegnungen mit Uschi und ihren Eltern strukturiert.
Die Milchwirtschaft hat Uschi aufgegeben
Was 2003 auf der Alm als Porträt einer ungewöhnlichen Frau begann, die in der Welt herumgekommen ist und manches ausprobiert hat, wandelt sich schnell zu einem thematisch vielschichtigen Zeit- und Generationenbild, das den Veränderungen des Lebens im Spiegel einer unkonventionellen Bauernfamilie auf der Spur ist.
Als der Regisseur im Winter wieder auf den Hof im Landkreis Miesbach kommt, ist Uschi schwanger; zwei Jahre später wuselt der kleine Jakob herum; der Traum vom Sennerinnen-Dasein ist vorerst aufgeschoben. Im fünften Jahr hat Uschi den Hof übernommen, am Ende sagt sie stolz, dass sie "Bäuerin" sei, auch wenn sie die Milchwirtschaft inzwischen aufgegeben hat. Der Vater, inzwischen fast 80, hilft noch immer mit, die Mutter ist alleine ins Austragshäuschen gezogen.
Die Entscheidung, den Film in Schwarz-Weiß zu drehen, um ihm "einen zeitlosen Charakter" (Matti Bauer) zu geben, entpuppt sich dabei als Glücksfall: Während das Sujet, die Ästhetik der Bilder und viele Motive eher Brücken in eine von (Film-)Klischees überwucherte Vergangenheit schlagen, erweisen sich alle Mitglieder der Familie Grub als humorvolle Freigeister, die keineswegs in Herkunft oder Tradition aufgehen.
Die Filmcrew und Protagonisten des Filmes "Still" aus dem Filmtipp KW 25.
Dem Vater, einem aufrechten, gütigen Mann, funkelt der Schalk aus den Augen; die Mutter bekennt freimütig, dass sie heute "alles" anders machen würde; die Tochter, bis in Körperhaltung, Temperament und Charakter hinein eine Wiedergängerin ihrer Mutter, setzt dies in die Wirklichkeit um: mit einem ausgeprägten Willen, sich nicht in Vorgegebenes zu fügen, sondern stets nach ihrem eigenen Kopf zu entscheiden. Und sei dies, ihren Sohn allein aufzuziehen oder mit einem Piloten zusammenzuleben, obwohl auf dem Hof ein Bauer vonnöten wäre.
Unterhaltsam-pointierte Langzeitbeobachtung
Uschis Eigensinn stellt auch die Inszenierung vor Herausforderungen. Denn nicht immer ist sie bereit, sich filmen zu lassen, was auch ein Grund dafür ist, dass "Still" eher wie eine kurzweilige, polyphone Collage denn eine durchkomponierte "Sennen-Ballade" im Stil von Erich Langjahr wirkt. Über den Bildern liegen häufiger Uschis nachdenkliche Kommentare, der Regisseur meldet sich als Erzähler wie als Gesprächspartner zu Wort, die Protagonisten äußern sich meist im Interview.
Es gibt durchaus viel zu sehen, traumhafte Landschaftsaufnahmen, vielsagende Gesten und stille Alltagsmomente; doch die dem Leben mit der Kamera abgerungenen Beobachtungen halten sich mit den verbalen Äußerungen in etwa die Waage. Dass in der Montage daraus dennoch eine unterhaltsam-pointierte Langzeitbeobachtung entsteht, hat nicht zuletzt mit dem oberbayerischen Dialekt zu tun, der den Lebensweisheiten der Protagonisten über die authentische Beglaubigung hinaus Witz und Tiefenschärfe verleiht. Ein Satz wie der, dass ein Bauer eine Bäuerin und die Bäuerin einen Bauer braucht, wäre eine abgedroschene Tautologie, wenn er durch das ihn beglaubigende Lebensumfeld nicht zu funkeln begänne.
Von Josef Lederle