Am Donnerstag kommt der Film "Hirngespinster" in die Kinos

Die Angst lauert überall

Veröffentlicht am 08.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © Movienet
Kino

Bonn ‐ Geht es dir jetzt wieder besser?", fragt die kleine achtjährige Maja ihren Vater Hans, als dieser aus der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie nach Hause zurückkommt. Das Mädchen umarmt ihn stürmisch, was der Vater mit hängenden Armen über sich ergehen lässt. Schließlich streicht er der Kleinen über den Kopf: "Wer sagt denn, dass es mir schlecht geht?"

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Hans war ein gefeierter Architekt, ehe ihn seine Kollegen wegen seines immer untragbareren Verfolgungswahns aus der Firma warfen: Die Büroräume wollte er zum Schutz vor Spionen mit Goldfolie auskleiden. Seitdem arbeitet er freischaffend von zu Hause, nimmt an Ausschreibungen teil, erhält aber keine Aufträge mehr.

Hans leidet an einer Form paranoider Schizophrenie. Beim letzten psychotischen Schub riss er den Nachbarn die Satellitenschüssel vom Garagendach und ging mit einer Axt auf die Handwerker los. Aber eigentlich sind es vor allem seine Frau Elli, die kleine Maja und ihr großer, 22-jähriger Bruder Simon, die unter seiner Krankheit leiden. Die ständig und überall lauernde Angst vor dem nächsten Ausbruch vergiftet den Alltag. Jedes gemeinsame Essen wird zum Spießrutenlauf.

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Geschichte aus Perspektive des Sohnes erzählt

Simon, aus dessen Perspektive sich Christian Bachs ausgesprochen reifes Kinodebüt diesem beklemmenden Szenario nähert, schafft den Absprung in ein eigenes Leben nicht, weil er sich für seine Mutter und seine geliebte kleine Schwester verantwortlich fühlt. Auch als er sich in die selbstbewusste, lebensfrohe Verena verliebt, droht die Beziehung zu scheitern, ehe sie richtig beginnt, da Simon die wahren Gründe für seine Zurückhaltung verschweigt.

Zuhause herrscht derweil eine brüchige Normalität. Elli, die ihren Mann trotz allem liebt, zerstampft dessen Medikamente mit einem Küchenmörser und mischt sie ihm heimlich in den Pudding. Hans will einfach nicht wahrhaben, dass er krank ist. Das geht solange gut, bis Maja nach seinem Nachtisch greift. Wieder landet Hans in der Psychiatrie. Erneut kehrt er nach Hause zurück. "Geht es dir jetzt wieder besser?", fragt die kleine achtjährige Maja ihren Vater. "Wer sagt denn, dass es mir schlecht geht?"

Irgendwann geht Simon mit den Fäusten auf seinen Vater los, versucht ihn solange zu provozieren, bis dieser ihn schlägt und einen Grund liefert, ihn einweisen zu lassen. Aber Hans weicht nur entsetzt vor seinem Sohn zurück, straft ihn mit verächtlichen Blicken. Ein andermal, als Simon die gaffenden Nachbarn anfaucht, mahnt ihn seine Mutter: "Fang du jetzt nicht auch noch damit an!" Auch die Angst, selbst einmal krank zu werden, sitzt Simon im Nacken.

Bild: ©Movienet

Simon Dallinger (Jonas Nay) sorgt sich um seine Schwester Maja (Ella Frey), die die Erkrankung ihres Vaters nicht versteht.

Film ist weder reißerisch noch verharmlosend

Bach inszeniert den scheinbar ausweglosen Teufelskreis ohne übertriebenes Pathos. Dank seines exzellenten Drehbuchs und hervorragender Darsteller gerät sein Film weder reißerisch noch verharmlosend. Auch vermeidet er es, Dramaturgie und Figuren von der dräuenden Atmosphäre erdrücken zu lassen. Immer wieder flicht er heitere, versöhnliche Nuancen in das Geschehen ein. Zusammen mit der wenig spektakulären, aber glaubhaften Liebesgeschichte sorgen diese Kontrapunkte für eine reizvolle Dynamik.

Trotz des mit großer Sorgfalt behandelten, ernsten Themas ist "Hirngespinster" kein bleischweres Drama. Der Film hat Drive, tragische Tiefe, Witz und jede Menge Energie. Nicht zuletzt liegt das an den beiden Hauptdarstellern, Tobias Moretti und Jonas Nay, die kraftvoll aufspielen, ohne das Gespür für die Zwischentöne zu verlieren. Diese Glaubwürdigkeit ist die größte Stärke des Dramas, das, wie Bach erklärte, "von der Familiengeschichte eines Jugendfreundes" inspiriert wurde.

"Hirngespinster" ist ein unbedingt sehenswerter Schauspielerfilm; mit einer nicht ganz unwesentlichen Einschränkung. Der in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk und arte entstandene Film ist einer jener Hybridfilme, die auf dem Weg ins Fernsehen ein bisschen Kinoruhm mitnehmen möchten. Visuell aber liefert das eng kadrierte, auf die Köpfe zugeschnittene Werk wenig Argumente dafür, warum man es sich unbedingt auf der großen Leinwand zu Gemüte führen sollte.

Von Stefan Volk

Bewertung der katholischen Filmkomission

Der erwachsene Sohn eines gefeierten Architekten fühlt sich für seine Mutter und seine kleine Schwester verpflichtet, als sein Vater mit der Diagnose "Schizophrenie" in die Psychiatrie eingewiesen wird. Doch auch nach dessen Entlassung schafft er nicht den Absprung in ein eigenes Leben, weil die Angst vor dem nächsten Ausbruch des Vaters alle lähmt. Ein glaubwürdiger, überzeugend ausbalancierter Debütfilm. Das herausragend gespielte Drama besitzt Drive, tragische Tiefe, Witz und jede Menge Energie, und die leichthändige Inszenierung ist stets der Schwere des Themas gewachsen, das weder reißerisch noch verharmlosend behandelt wird. – Sehenswert ab 14.

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Die Filmkritik wurde katholisch.de vom Magazin "Filmdienst" zur Verfügung gestellt. Seit 1947 begleitet der Filmdienst wie kein anderes Magazin kritisch das Kinofilmgeschehen. Herausragende Porträts von Filmschaffenden stehen neben umfassenden Filmkritiken zu jeder Kinopremiere in Deutschland, spannende Debatten neben aufschlussreichen Interviews, Hintergrundberichte neben Neuigkeiten aus der Filmwelt. Die Beilage "Film im Fernsehen" informiert über sehenswerte Filme im Fernsehen. Die Datenbank CinOmat ist ein beispielloses Nachschlagewerk, das mehr als 250.000 Filmschaffende mit fast 75.000 Filmen verknüpft. Der Filmdienst ist darüber hinaus Herausgeber des "Lexikons des Film", zeichnet neue DVD/Blu-ray-Veröffentlichungen mit dem "Silberling" aus und verleiht gemeinsam mit dem Bundesverband Kommunale Filmarbeit jährlich den "Caligari-Filmpreis".