Ab Donnerstag im Kino: Der Prozess der Viviane Amsalem

"Ich liebe ihn nicht"

Veröffentlicht am 14.01.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Kino

Bonn ‐ Das Scheidungsritual spricht eine deutliche Sprache. Viviane Amsalem wird von einem der Rabbiner angewiesen, ihre Hände wie eine Schale zu formen, um den Get, den Scheidungsbrief, von ihrem Ehemann in Empfang zu nehmen. Sogar die Position der Ellenbogen ist genau vorgeschrieben. Es ist eine empfangende, gleichzeitig auch bittende, fast flehende Geste, die im erlösenden Moment der Befreiung die asymmetrischen Geschlechterverhältnisse noch einmal in einem demütigenden Bild manifestiert.

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Bis zu diesem Moment vergehen fünf Jahre, in denen Viviane immer wieder mit ihrem Mann Elisha vor dem jüdisch-orthodoxen Rabbinatsgericht in Tel Aviv erscheinen muss. Da in Israel keine zivilrechtliche Ehe existiert, entscheidet eine religiöse Instanz, ob sich ein Paar scheiden lassen darf. Doch selbst bei einer Bewilligung der Kammer muss der Ehepartner zustimmen. Elisha aber hält eisern an der Ehe fest.

Die israelische Schauspielerin Ronit Elkabetz schrieb und inszenierte den Film gemeinsam mit ihrem Bruder Shlomi Elkabetz, sie selbst spielt die Hauptrolle. Das Resultat ist ein beklemmender Gerichtsfilm mit absurden Zügen. Der schmucklose Gerichtssaal und das Wartezimmer sind die einzigen Schauplätze. Das Paar wird von Vivianes Anwalt Carmel und Elishas Bruder Shimon befragt, Zeugen werden geladen. Die ständigen Aufschübe und Vertagungen – oft liegen Monate zwischen den Verhandlungen – sollen die Frau zur Rückkehr ins Familienheim bewegen.

Bild: ©Edition Salzgeber

Viviane Amsalem will sich scheiden lassen. Doch die israelische Rechtsprechung erschwert ihre Entscheidung. Das führt zu absurden Szenen im Gerichtssaal.

Konflikt der israelischen Gesellschaft

Die minimalistische Inszenierung ist formal klug gewählt. Die Kamera ist stets auf dem Beobachterstandpunkt einer Handlungsfigur ausgerichtet – sitzt diese Person, gibt es Untersichten, steht sie, fällt die Perspektive steil nach unten. Anfangs beschränkt sich der Film auf Großaufnahmen der Gesichter, eine räumliche Übersicht ist ebenso wenig gegeben wie eine die Figuren verbindende Auflösung durch Schnitt/Gegenschnitt. Oft verweilt die Kamera lange auf Vivianes oder Elishas Gesicht, während die Dialoge zwischen den Anwälten und den Rabbinern nur aus dem Off zu hören sind. Nur aus Sicht des Rabbinerpults werden alle Parteien gemeinsam in ein Bild gefasst. Ansonsten erscheinen die Figuren vereinzelt und auf klaustrophobische Weise im Bild bzw. in ihrer Situation gefangen.

Es braucht nicht viel, um hinter dem individuellen Scheidungsdrama den Konflikt der israelischen Gesellschaft zwischen Säkularisierung und Orthodoxie zu erschließen. Shimon vermutet, dass die Schwierigkeiten in der Ehe auf den nicht-koscheren Haushalt Vivianes zurückzuführen seien. Vivianes eigener Bruder solidarisiert sich mit seinem Schwager, auch die Nachbarn loben Elisha als einen perfekten Ehemann. Viviane aber sagt: "Ich will mit diesem Mann nicht leben", und "Ich liebe ihn nicht". Dass Elisha ein zurückhaltendes Wesen hat, nicht gewalttätig ist und eher liberal eingestellt, wirkt sich zu ihren Ungunsten aus. Auch wenn die Solidarität der Regisseure ganz bei Viviane und ihrem Freiheitswunsch liegt, wird auch Elishas Tragik erkennbar. Aus reiner Hilflosigkeit sucht er Schutz hinter einem frauenfeindlichen Gesetz.

In einer Szene löst Viviane während der Verhandlung gedankenlos ihr langes, zusammengebundenes Haar und lässt es über ihre Schultern fallen. An den entsetzten Blicken der Rabbiner ist abzulesen, dass dieser Akt einem Angriff auf die Ordnung gleichkommt.

Von Esther Buss

Stellungnahme der Filmkommission

Fünf Jahre lang kämpft eine Israelin um die Scheidung von ihrem Ehemann, der sich beharrlich weigert, ihr den notwendigen Lösebrief ("Get") auszuhändigen. Da in Israel keine zivilrechtliche Ehe existiert, muss sich die Frau immer wieder mit ihrem Mann vor einem Rabbinergericht einfinden, wobei ihr Kampf um den Scheidungsbrief zum verzweifelten Ringen um Freiheit und Autonomie wird. Ein ebenso beklemmender wie absurder Gerichtsfilm, der mit visuell strengem Konzept den unterschiedlichen Perspektiven Raum gibt und durch seinen klugen inszenatorischen Minimalismus den gesellschaftlichen Konflikt zwischen Säkularisierung und Orthodoxie sichtbar macht. - Sehenswert ab 14.

Filmdienst

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