Schoko-Dreikönige und Ramadankalender: Religion auf der Süßwarenmesse
Wenn giftgrüne Brausebonbons asiatischer Produzenten zwischen hochwertigen Pralinen aus Belgien und namhaften Süßwarenherstellern aus Deutschland liegen, ist Süßwarenmesse in Köln. Rund 1400 Aussteller aus aller Welt präsentieren alljährlich ihre Neuheiten und Beststeller in der Rheinmetropole. 2024 ist vieles bio, vegan, zuckerfrei, allergikerfreundlich oder mit besonderen Zusätzen wie Proteinen, Vitaminen oder anderen Stoffen versetzt. Auch Religion spielt an manchen Ständen eine Rolle.
"Einen ganzen Tag hat mein Team daran gebaut", sagt ein Vertreter der chinesischen Süßwarenfirma "Amos" stolz und schaut auf ein rund anderthalb Meter hohes Modell des Kölner Doms aus Fruchtgummis. Seine Firma präsentiert auf der Kölner Süßwarenmesse Bauklötzchen aus Gummibärchen. Passend zur Schau bauten sie eine mehr oder weniger getreue Kopie des Kölner Wahrzeichens. Auf die gleiche Idee kam auch der schottische Gebäckersteller "Walkers". An seinem Stand staunen Messebesucher über ein Dommodell mit originalgetreuen, essbaren Keks-Strebebögen am Ostchor. Auch Printenfabrikanten aus Aachen oder italienische Bäckereien werben offensiv mit den Kathedralen ihrer Heimatstädte. Die Aachener Printenbäckerei "Klein" bietet beispielsweise einen "Printendom" in Form des Aachener Wahrzeichens an.
Die mit Abstand am häufigsten angebotene "religiöse" Süßware sind Schokoladennikoläuse. Große wie kleine Hersteller führen sie im Sortiment. Vor allem Aussteller aus den Niederlanden und Belgien fallen durch die Fülle an Nikolaus-Artikeln auf. Eine niederländische Händlerin erklärt, dass "Sinterklass" und der "Zwarte Piet" Beststeller im Weihnachtsgeschäft seien. "Die Figuren sind aber völlig säkularisiert", sagt sie. Daher würden sie wohl so gut angenommen. Neben den klassischen Nikolaus-Hohlfiguren erinnern kleine Schoko-Schiffe und Kekse in Schiffsform an das Schiffswunder der Nikolauslegende. Ebenso gibt es an einigen Ständen Schokolade in Form von Bischofsmützen und Verpackungen, die an Pontifikalschuhe und Bischofsornate angelehnt sind.
3,5% Schoko-Nikoläuse
"Die Nachfrage nach Schokonikoläusen ist in den vergangenen Jahren gestiegen", sagt Dieter Schäfer von der "Riegelein". Pro Weihnachtssaison stelle die Unternehmensgruppe rund 75 Millionen Schokofiguren her. Rund 3,5 Prozent, also rund 2,7 Millionen davon, tragen Stab und Mitra – der Rest rote Jacke und Weihnachtsmannmütze, sagt Schäfer. Die meisten der Riegelein-Bischöfe gehen nach Süddeutschland. "Die Grenze liegt um Frankfurt. Im Süden wird der Bischof deutlich stärker nachgefragt als im Norden." Durch Kooperationen mit dem Bonifatiuswerk wie die "Weihnachtsmann-Freie-Zone" hat der Schokoladenhersteller in den vergangenen Jahren einen Markt geschaffen. "Ob es den Nikolaus in den Läden gibt oder nicht, liegt letztlich am Verbraucher", sagt Schäfer. In den vergangenen Jahren erreichten die Firma vermehrt Anfragen von Verbänden und Gemeinden nach religiösen Motiven.
In einer anderen Halle präsentiert sich der spanische Schokoladenhersteller "Simon Coll". Er hat Dreikönige aus Schokolade im Angebot. Ob als Schoko-Figuren für den Christbaum oder Goldmünzen mit den Gesichtern der Könige – Casper, Melchior und Balthasar lachen die Messebesucher aus dem Regal an. "In Spanien bringen die Heiligen Dreikönige die Geschenke", sagt Maria Coll. Am Dreikönigstag gibt es dort große Paraden mit den Heiligen. Auf Grund dieser Traditionen spielten die drei Weisen auf der iberischen Halbinsel sogar eine größere Rolle als Weihnachtsmann und Nikolaus. Auch Riegelein und andere deutsche Firmen bieten Schoko-Könige an – für den Export.
Dazu gehört auch "Storz". Das Unternehmen aus dem Schwarzwald hat sich auf Schokoladenfiguren spezialisiert. Neben den Schoko-Königen gibt es auch Krippen für den Weihnachtsbaum, aber nur vor Weihnachten. Ansonsten bestimmen Valentins-, Oster-, Halloween- und säkulare Weihnachtsfigürchen das Sortiment. Die Nachfrage nach christlichen Produkten sei jedoch besonders zu Weihnachten stabil.
Die italienische Firma "Dulciar" präsentiert an ihrem Stand Krippendarstellungen aus Schokolade. Die 250g-Gramm-Häuschen aus Vollmilch oder Zartbitter erinnern an eine Mischung aus Hexenhaus und SchokoladentafeI und enthalten eine kleine Überraschung für Kinder. Die Weihnachts-Krippe wurde in Italien erfunden. Sie hat eine lange Tradition, sagt eine Mitarbeiterin. Wenn es Schoko-Nikoläuse und Weihnachtsbäume gäbe, warum dann nicht auch eine Krippe, erklärt sie.
Die – jedenfalls dem Namen nach – religiösesten Produkte auf der Süßwarenmesse sind Adventskalender. Seit Jahren steigt der Adventskalender-Umsatz in Deutschland. Manche Produkte firmieren seit einiger Zeit als "Countdown"- oder "Christmas"-Kalender. Gefüllt sind sie teils mit hochpreisigen Produkten. In der vergangenen Adventszeit prognostizierte der deutsche Süßwarenherstellerverband einen Rekordumsatz von über 100 Millionen Euro. Laut einer YouGov-Umfrage freuen sich mehr als 55 Prozent der Frauen und Männer vor allem über Schokoladen-Kalender. Selbstgebasteltes, Kosmetik oder Gewinnspiele liegen deutlich dahinter. Religiöse Adventskalender-Motive wie Krippen, Nikoläuse oder Kirchen finden sich auf der Süßwarenmesse weniger, aber es gibt sie. Auf manchen der angebotenen Kalender sind Weihnachtsmänner und Winterlandschaften abgebildet. Viele kommen jedoch völlig ohne religiösen Bezug aus – auch bei der Traditionsfirma "Windel" aus Osnabrück.
Anders sieht das jedoch bei den "Ramadankalendern" aus. Seit zwei Jahren führt “Windel” diesen Artikel im Sortiment. Dreißig Türchen hat er und soll muslimischen Kindern das abendliche Fastenbrechen versüßen. "Wir haben uns überlegt, wie wir auf den muslimischen Markt expandieren können", sagt Salem Kirreh von Windel. Daraufhin entwarf die Firma einen Ramadankalender. "Im islamischen Bereich haben solche Kalender keine Tradition. Aber die Nachfrage steigt. Nicht nur für den Export. Auch in Deutschland haben muslimische Gemeinden Interesse angemeldet", sagt Kirreh. Hinter den dreißig Türchen verbergen sich islamische Motive wie ein Schoko-Halbmond, Laternen oder Schoko-Moscheen. Die Produkte dürfen sich sogar “halal” nennen, entsprechen also den islamischen Speisegeboten.
Überhaupt spielen "halal" und "koscher" auf der diesjährigen Süßwarenmesse eine große Rolle. Sowohl die Anzahl der koscheren als auch der halalen Angebote ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren gestiegen. Stolz präsentiert ein Mitarbeiter der Aachener Firma "Lambertz" das erste Halal-Produkt des Printenherstellers. "Um diese Zertifizierung zu erhalten", erklärt er, "muss gewährleistet sein, dass in der Produktionsstraße keine Gelatine verwendet wird und auch kein Alkohol in die Nähe der Produktion kommt." Der Markt für diese Produkte wachse stetig, erklärt er. Viele Stände werben daher offensiv mit den Zertifikaten.
Gerade die Orientierung an religiösen Speiseregeln wird immer wichtiger für die Hersteller. Dass ihr Fokus dabei auf Expansion und Profit und weniger auf der Wahrung christlich geprägter Traditionen liegt, zeigt die zunehmende Umbenennung des Adventskalenders in "Countdown"-Kalender. Und auch die Erfindung des Ramadankalenders entspringt dem Wunsch nach Profit-Maximierung. Letztlich sind die letzten "religiösen" Süßigkeiten und Symbole für die Süßwarenindustrie eine nostalgische Hommage an vergangene Zeiten und Traditionen. Ob es sie noch lange geben wird, entscheiden letztlich die Verbraucher. Angesichts der steigenden Säkularisierung könnten diese Süßigkeiten bald ihr Haltbarkeitsdatum zu überschreiten.