Neue Kreuzweg-Bilder von Künstlern mit Behinderung
Der gekreuzigte Jesus hat keine Wunden und macht einen aufrechten Eindruck. "Ich kann Leute nicht so gut leiden sehen", erklärt Künstler Patrick Premke. Aus der Brust Jesu kommen goldene Strahlen. Sie stünden für Erleuchtung. Und die bunten Streifen im Hintergrund sollen die Vielfalt aller Menschen symbolisieren, die Jesus dem christlichen Glauben nach erlöst hat.
In der katholischen Sankt-Godehard-Basilika in Hildesheim können Besucher seit Freitag einen neuen ungewöhnlichen Kreuzweg-Zyklus sehen. Er wurde in einem Kunstatelier für Menschen mit Behinderung gefertigt. Die Idee entstand vor knapp zwei Jahren, als die Gemeinde neue Kreuzweg-Darstellungen suchte. Die aktuellen Bilder stammen aus den 70er Jahren. Inzwischen haben die Künstler 8 von 14 Stationen fertiggestellt, die gemeinsam mit 6 alten zu sehen sein werden – zunächst probeweise.
Mit einem Kreuzweg erinnern viele Kirchengemeinden in der Fastenzeit und besonders am Karfreitag an den Tod Jesu am Kreuz. In nahezu jeder katholischen Kirche gibt es 14 bildliche Darstellungen, die seinen Leidensweg zeigen – von der Verurteilung bis zur Grablege. Bevor die Künstler mit dem Malen begannen, bekamen sie zunächst eine Einführung in die biblische Geschichte. Sie sprachen über ihre Sicht auf die einzelnen Stationen. "Das war ein sehr intensiver Prozess", sagt Almut Heimann, Leiterin des Hildesheimer Ateliers Wilderers.
Ungewohnte Herausforderung
Die Einrichtung der evangelischen Diakonie bietet 16 Künstlern mit Behinderung einen betreuten Arbeitsplatz. Die Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Werke finanzieren das Atelier mit. Der Auftrag ist daher eine Chance für die Einrichtung, aber auch eine ungewohnte Herausforderung. Beim Kreuzweg gehe es um Leid, Ausgrenzung und Unterdrückung, so Heimann. "Jeder unserer Künstler kennt diese Phänomene irgendwie aus seinem Leben."
Die Gruppe spielte die Szenen des Kreuzwegs nach. Was dabei passierte, überraschte die Künstlerin und Sozialarbeiterin: "Die haben sich da total reingegeben. Manche berichteten von ganz intensiven Gefühlen." Einige seien an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit gestoßen. "Ich kannte mich mit Jesus vorher schon ein bisschen aus", sagt Patrick Premke. "Aber das hat mich doch ein bisschen mitgenommen", so der 32-Jährige. Obwohl die Gruppe nur ein Kreuz aus Papprohren benutzte, habe er sich richtig gut in Jesus hineinversetzen können. "Das ist krass, wie rot sein Gesicht gewesen sein muss. Das Kreuz muss richtig schwer gewesen sein." – "Mindestens 80 oder 90 Kilo", ergänzt der 50-jährige Christfried Behrens.
Mit Hilfe von Acrylfarben schufen sie ganz eigene Interpretationen der Jahrhunderte alten Geschichte. Das zeigt sich am Beispiel des Simon. Den Mann aus der Masse zwangen die römischen Soldaten, dem schwächelnden Jesus das Kreuz zu tragen. Die Künstler, die jedes Bild gemeinsam anfertigten, haben ihm ein freundliches Gesicht gegeben. Schließlich habe er Jesus geholfen, so Premke. "Wenn jemand Hilfe braucht, dann sollen auch wir ihm helfen", beschreibt er die Aussage des Bilds. "Der Kreuzweg ist immer dafür da gewesen, um Menschen in ihrem Leid zu unterstützen", sagt Heimann. Die zentrale Botschaft, die sie und die Künstler darin erkannt haben: "Jesus hat es geschafft, deshalb kannst du es auch schaffen." Manche hätten sich ganz neu mit ihrem Glauben auseinandergesetzt.
Zu jeder Station haben die "Wilderers", wie Heimann die Gruppe nennt, auch Betrachtungen und Gebete formuliert. "So ist Menschsein - du kannst es nicht alles allein schaffen", schreiben sie etwa zu der Simon-Szene. "Schaffst du es, Hilfe zu erbitten, wenn du sie brauchst?" Kunst von Menschen mit Behinderung in Kirchenräumen gibt es bislang nur vereinzelt. Etwa in der Marienkirche des Zisterzienserinnenklosters Marienhausen im hessischen Rüdesheim-Aulhausen. Das Gotteshaus wurde 2016 von behinderten Künstlern neu gestaltet.
In Hildesheim soll der bunte und modern anmutende Bilderzyklus zunächst während der Fastenzeit in der Godehard-Basilika zu sehen sein. Die mächtige katholische Kirche stammt aus der Zeit der Romanik. Auf Stimmzetteln können die Gemeindemitglieder entscheiden, ob die Neuinterpretationen dauerhaft hängen bleiben und die alten Darstellungen ersetzen sollen. Premke und die anderen Künstler hoffen auf ein positives Votum. In dem Fall würden sie auch die verbleibenden sechs Bilder anfertigen.