Anzeige muss laut Gesetz sofort erfolgen

Fälle von Missbrauch zu spät gemeldet: Polnischer Bischof angeklagt

Veröffentlicht am 05.04.2024 um 11:44 Uhr – Lesedauer: 

Tarnow ‐ Mehrere polnische Bischöfe sind in den vergangenen Monaten wegen Fehlverhaltens im Umgang mit Missbrauchsfällen zurückgetreten. Nun erhebt die polnische Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen Oberhirten.

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Nach mehr als einjährigen Ermittlungen hat die polnische Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Bischof von Tarnow, Andrzej Jez, erhoben. Ihm wird vorgeworfen, Fälle von sexuellem Missbrauch durch zwei Geistliche seiner Diözese nicht sofort den Strafverfolgungsbehörden gemeldet zu haben, berichtet die polnische Zeitung "Gazeta Wyborcza" (Donnerstag). Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, die Kirchenbehörde habe zwar Anzeige gegen die beiden Priester erstattet, aber nicht sofort, wie es das Gesetz vorschreibt. Das Vergehen kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.

Mehrere polnische Medien berichteten über die Anklage der Staatsanwaltschaft, woraufhin die Diözese Tarnow eine Stellungnahme veröffentlichte. Darin wies sie die Vorwürfe gegen den Bischof zurück und betonte, vor Gericht beweisen zu wollen, dass er seiner Pflicht gesetzeskonform nachgekommen sei.

Laut "Gazeta Wyborcza" soll der Bischof die Behörden erst Jahre später über die mutmaßlichen Verbrechen der Priester informiert haben. Die Zeitung behauptet, er habe einen der Priester bereits 2013 wegen Missbrauchs bestraft, die staatlichen Behörden aber erst 2020 über mögliche Straftaten informiert. Laut dem Zeitungsbericht handelt es sich um einen Geistlichen, der über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten in verschiedenen Gemeinden in Polen und der Ukraine mindestens 95 Kindern Schaden zugefügt und sich an 77 von ihnen "sexuell vergangen" haben soll.

Vorgänger wusste von den Vorwürfen

Die Ermittler hätten zudem festgestellt, dass der frühere Bischof von Tarnow und bis 2023 Erzbischof von Kattowitz, Wiktor Skworc, bereits 2002 von den Vorwürfen gegen den Geistlichen gewusst, diese aber nicht den Behörden gemeldet habe. Stattdessen entließ er den Priester und schickte ihn in die Ukraine, bevor dieser später in die Diözese Tarnow zurückkehren durfte. Skworcs Handlungen wurden nicht angeklagt, da sie vor der Gesetzesänderung im Jahr 2017 stattfanden. Erst 2017 wurde das Gesetz, das die Nichtmeldung bestimmter Straftaten bei den Behörden unter Strafe stellt, auf Fälle sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen ausgeweitet.

Die polnische Kirche wurde in den vergangenen Jahren durch eine Reihe von Enthüllungen über den Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche erschüttert. Erst kürzlich war der polnische Bischof Andrzej Dziuba nach Vorwürfen wegen angeblicher Verfehlungen zurückgetreten, ebenso der Erzbischof von Stettin-Cammin, Andrzej Dziega. Laut polnischen Medienberichten ist der Fall von Bischof Andrzej Jez das erste Mal, dass die Staatsanwaltschaft einen hochrangigen Kirchenvertreter angeklagt hat. (mtr)