Bruder Lukas Ruegenberg ist Benediktiner in Maria Laach

96-jähriger Ordensmann: Wollte nicht Priester sein, sondern Künstler

Veröffentlicht am 21.05.2025 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Maria Laach ‐ In seinem Atelier stehen immer nur die neuesten Bilder, die er gerade malt. Und der 96-jährige Benediktiner Lukas Ruegenberg tut das noch jeden Tag. Seine Berufung war es jedoch in erster Linie, Mönch zu sein, erklärt er. Zum priesterlichen Dienst sah er sich nie berufen. Ein Besuch in Maria Laach.

  • Teilen:

Auf die unzähligen Leinwände, die an der Wand des Ateliers lehnen, fallen Sonnenstrahlen. "Die habe ich alle in diesem Jahr gemalt", erklärt der 96-jährige Mönch und zeigt auf die etwa fünf Bilder neben ihm. Am unteren Rand der Bilder steht jeweils "LR" für Lukas Ruegenberg. Die meisten seiner Kunstwerke verschenke er und behalte nur wenige, erzählt der Benediktiner aus Maria Laach.

Mit etwas Mühe setzt sich der betagte Ordensmann an einen Holztisch im Atelier. Weil er vor einigen Jahren einen Schlaganfall hatte, stützt er sich beim Gehen auf einen Rollator. Regelmäßig kommt er zu Fuß hierher in sein Atelier, das sich hinter dem Kloster in einem Nebengebäude befindet. Bis zu vier Stunden sitze er dann an der Staffelei und male. Stilistisch hat ihn von Anfang an der Expressionismus beeinflusst: da sind viel Lila, Blau und Gelb auf seinen Leinwänden zu sehen.

Auf einem der Bilder ist ein See, daneben ein Garten und eine Villa zu erkennen. "Das Bild habe ich nach einem Besuch bei den Benediktinerinnen in München vor einigen Wochen gemalt", berichtet der Benediktiner. Auf einer anderen Leinwand hat er seine jüngere Schwester, die 88 Jahre alt ist, früher als Krankenschwester arbeitete und heute in Belgien lebt, mit Ölfarben abgebildet. Daneben steht eine Leinwand, auf der er seine Mutter, Helene Ruegenberg, verewigt hat. "Dieses Bild verschenke ich nicht", erklärt Bruder Lukas leise. Schließlich war es seine Mutter, die ihn nach dem Krieg dazu motivierte, Kunst zu studieren. 

"Den Geruch ihres Kleides vergesse ich bis heute nicht"

1928 wird Ruegenberg in Berlin geboren und auf den Vornamen Alfred getauft. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, muss er als 16-jähriger Schüler an die sogenannte Heimatflak und abends "feindliche Flieger, die Bomben abwarfen" mit einem Scheinwerfer anstrahlen, damit sie abgeschossen werden konnten, erinnert sich der Ordensmann. Später wird er als Soldat an der Panzerfaust ausgebildet und erlebt blutige Nahkämpfe mit. "Das war richtig schlimm, was ich da alles gesehen habe", sagt er. Er hält beim Erzählen inne. An die Drohung seines damaligen Vorgesetzten kann er sich noch gut erinnern: "Wer jetzt abhaut, den erschieße ich". Er habe lange gebraucht, diese schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten, sagt der Benediktiner. "Ich habe es überlebt", fügt er dann hinzu. Mit dem Kriegsende wird Ruegenberg gefangen genommen und zum Arbeitsdienst auf einen Bauernhof nach Ostfriesland geschickt. Als er dort nach etwa einem halben Jahr erfährt, dass seine Eltern noch am Leben sind, sei er einfach schnell nach Berlin zurückgekehrt. An die zerstörte Stadt kann sich der 96-Jährige noch genau erinnern. Zwischen den Ruinen findet er sein Elternhaus. Als ihm seine Mutter die Tür öffnet, fällt er ihr glücklich in die Arme. "Den Geruch ihres Kleides vergesse ich bis heute nicht", sagt Bruder Lukas. Er hat Tränen in den Augen und blickt lange auf das Bild seiner Mutter.

Bild: ©katholisch.de/ msp

Ein Blick in das Atelier von Bruder Lukas Ruegenberg in Maria Laach. Ganz vorne links an der Wand ist das Bild, das er von seiner Mutter gemalt hat.

Dann berichtet der Ordensmann von der schweren Zeit nach dem Krieg, der Hungersnot in Berlin und dem kalten Winter 1946/47, den er miterlebte. Schon damals gibt ihm das Malen viel Kraft. Schließlich war es seine Mutter, die ihn dazu ermutigte, von 1947 bis 1951 an der Hochschule für bildende Künste in Berlin Kunst zu studieren. Sein Großvater, der Vater seiner Mutter, war schon Kunstmaler gewesen, blickt Bruder Lukas zurück. Er kann sich noch an die Worte seiner Mutter erinnern: "Du hast doch die Begabung dazu". 

Während seiner Ausbildungszeit an der Kunstakademie lernt Ruegenberg zufällig einen Jesuitenpater kennen, mit dem er viele Gespräche führt und die traumatischen Kriegserlebnisse aufarbeiten kann. Dabei setzt er sich auch mit dem Sinn seines Lebens auseinander und wird dadurch "auf den Weg zu Gott gebracht", sagt der 96-Jährige. Damals überlegt er zum ersten Mal, selbst Ordensmann zu werden. Er schaut sich einige Klöster an, bis er Maria Laach entdeckt. Weil es in der Abtei "Kunstbrüder" gibt, fühlt er sich bei den Benediktinern gleich am richtigen Platz. "Ich wollte in einer geistlichen Gemeinschaft leben, Mönch sein und malen", erklärt er den Beweggrund, warum er damals ins Kloster wollte. 1951, nachdem Ruegenberg sein Kunststudium abgeschlossen hatte, tritt er mit 23 Jahren in den Benediktinerorden ein und wird "Bruder Lukas".

Die ersten Jahre im Kloster als Mönch sind nicht einfach für ihn. Seine Mutter beschwert sich sogar einmal beim Abt darüber, dass er als Novize die Klostergänge putzen muss. "Nach drei Jahren durfte ich endlich malen", weiß Bruder Lukas noch. Schon damals nutzt er dazu eines der Kunstateliers, das das Kloster dem jungen Mönch zur Verfügung stellt. Dort entstehen zahlreiche seiner Öl-Bilder, Aquarelle, Holzschnitte und Illustrationen. Gezählt habe er seine Werke nie, sagt Bruder Lukas. Doch es müssten schon hunderte sein, überlegt er. In vielen seiner Werke setzt er sich auch mit dem Krieg, dem Holocaust und dem jüdischen Leben auseinander, weil ihn das Schicksal mancher jüdischen Familien, die er als Jugendlicher in Berlin kennen lernte, nachging. Während seiner Klosterzeit studiert Bruder Lukas von 1958 bis 1962 Kirchenmalerei in München. Der Ordensmann ist heute froh, dass ihn sein damaliger Abt dabei unterstützt hat. Altarkreuze für Kirchen, Glasfenster und ein Kreuzweg sind in dieser Zeit entstanden.

"Eine Berufung zum Spenden der Sakramente hatte ich nicht"

Priester wollte Bruder Lukas nie werden. "Meine Berufung zur Kunst bekam eine Entsprechung im klösterlichen Leben", erklärt der Benediktinermönch. Eine Berufung zum Spenden der Sakramente erkannte er nicht. Im Rückblick betrachtet, habe er immer "viel" gemalt. Doch es gab Zeiten, wo er nur wenig malte, so der Ordensmann nachdenklich. Das war vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das  "frischen Wind und einige Reformen" in das Benediktinerkloster am Laacher See in der Eifel brachte. 

Bild: ©katholisch.de/ msp

Die Abteikirche von Maria Laach. Zur Zeit leben in dem Benediktinerkloster 25 Mönche.

Damals wollten einige Mönche auch außerhalb des Klosters tätig sein, wie zum Beispiel als Seelsorger in Gefängnissen oder in der Sozialarbeit. "So war es auch bei mir", erzählt Bruder Lukas. Schon immer setzte er sich gerne für andere Menschen ein und erinnert sich dabei an die Zeit nach dem Krieg, als er sich nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft in Berlin gemeinsam mit seiner Mutter um heimkehrende Soldaten kümmerte und sie versorgte. So für andere da sein möchte er auch im Kloster. Mit der Erlaubnis des damaligen Abtes beginnt er sich Ende der 1960er Jahre in Köln-Nippes für Jugendliche einzusetzen, die es nicht so gut in ihrem Leben haben. Später organisiert er dort die gesamte Jugendarbeit auf Bitten der Stadt Köln und gründet in den 1980er Jahren den Kellerladen e.V., ein Selbsthilfeprojekt, um Jugendlichen Arbeitsplätze zu verschaffen. Das Jugendbüro samt Sozialberatung, Lebensmittelausgabe sowie Arbeitslosenberatung gibt es noch heute. Nebenbei organisiert Bruder Lukas Hilfstransporte nach Polen oder in die Slowakei mit. Teilweise ist er auf den Reisen dorthin selbst dabei. Diese Sozialarbeit erfüllt ihn. Bis heute.

Erst vor kurzem war der 96-jährige Benediktinermönch wieder einmal in Köln, um den Kellerladen zu besuchen. Der Eisenwaggon, in dem er bei seinem Aufenthalten dort regelmäßig übernachtet, steht noch immer auf dem Gelände der Jugendeinrichtung. "Früher war ich immer abwechselnd eine Woche in Köln und eine Woche in der Abtei", erinnert sich Bruder Lukas.

Schon einmal überlegt, aus dem Kloster auszutreten

Damals habe er auch einmal überlegt, aus dem Kloster auszutreten. "Meine Liebe zu Gott war aber immer größer", betont der betagte Ordensmann. Das tägliche Stundengebet mit seinen Mitbrüdern schenkt ihm bis heute Lebenskraft. Fünf Mal am Tag trifft sich der 96-Jährige mit seinen 24 Mitbrüdern zum Gebet in der Klosterkirche. Bei seinem Eintritt damals waren es noch 130, sagt der Ordensmann nachdenklich. Auch heute leben Kunstbrüder in der Abtei. Bruder Lukas freut sich darüber, dass die Bildende Kunst in Maria Laach nach wie vor gepflegt werde. Auch mit seinen jüngeren Mitbrüdern versteht sich der betagte Ordensmann "bestens", wie er sagt. Mit Pater Philipp Meyer beispielsweise hat er erst vor kurzem einen kleinen Klosterführer mit Aquarellbildern für Kinder herausgegeben. Eine von ihm illustrierte Kinderbibel ist im Klosterladen in Maria Laach erhältlich. In Berlin wurde sogar eine katholische Grundschule nach ihm benannt.

An der Wand oberhalb des Tisches, an dem Bruder Lukas während des Gesprächs sitzt, hängt ein großes, blaues Bild. Es zeigt das Letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Er mag dieses Bild gerne, auch wenn Frauen in dieser biblischen Szene nicht vorkommen. Doch immerhin zeigte sich der Auferstandene am leeren Grab dann zuerst den Frauen, überlegt der betagte Benediktiner. In diesem Jahr hat Bruder Lukas Ruegenberg seine Eiserne Profess in Maria Laach gefeiert, weil er vor 65 Jahren hier in die Gemeinschaft  eingetreten ist. "Im Kloster bin ich glücklich geworden", sagt der Ordensmann überzeugt. Die Palette mit Ölfarben vorne an der Staffelei blitzt in der Sonne auf. Ein paar Leinwände stehen daneben auf dem Boden. Sie sind nicht ausgepackt. "Ideen habe ich schon für diese Leinwände", freut sich Bruder Lukas. Nur er male nicht so gerne, wenn noch jemand im Atelier sei, lacht er zum Abschied.

Von Madeleine Spendier