Kritik an Personalmangel, Umgang mit Drogen, fehlender Resozialisierung

Nach eigener Haft: Jesuit Alt prangert Zustände in Gefängnissen an

Veröffentlicht am 06.07.2025 um 15:30 Uhr – Von Hannah Krewer (KNA) – Lesedauer: 

Nürnberg ‐ Jesuit und Klimaaktivist Jörg Alt wurde wegen zivilen Ungehorsams verurteilt und trat eine Ersatzfreiheitsstrafe an. Über seine Beobachtungen während der Haft hat er nun einen Bericht vorgelegt – mit massiver Kritik.

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"Jeder Tag hier drin ist ein Tag umsonst." Das habe ihm ein Justizvollzugsbeamter gesagt, als er im April 2025 für 25 Tage in die Nürnberger JVA zog: So schreibt es der Jesuitenpater, Soziologe und Klimaaktivist Jörg Alt in einem Bericht über seine Haftzeit, den er am Wochenende in Nürnberg vorstellte - gemeinsam mit Experten aus Politik, Seelsorge, Forschung und Sozialarbeit. Ausgehend von Gesprächen mit Mitgefangenen, Justizvollzugsbeamten und externen Gesprächspartnern übt er darin harsche Kritik an den Haftbedingungen.

Alt hatte sich geweigert, eine Geldstrafe zu zahlen, zu der ihn das Bayerische Oberste Landesgericht im November in letzter Instanz verurteilt hatte. Der Jesuit hatte sich mehrfach an Straßenblockaden beteiligt, in diesem Fall ging es um eine Blockade 2022 in Nürnberg. Wegen Nötigung sollte er 500 Euro zahlen. Auch eine alternativ angebotene Verrichtung sozialer Arbeit schlug er aus - das mache er als Jesuit schließlich immer, das sei keine Strafe. Blieb die Ersatzfreiheitsstrafe. Die dadurch entstandenen Kosten habe er zurückgezahlt.

Schnell sei er in der JVA als "Klimapfarrer" erkannt worden, schreibt Alt. Nicht nur diese Tatsache habe sich schnell herumgesprochen, sondern auch, dass er als solcher eine gewisse Schweigepflicht habe: "Entsprechend klagten viele vertrauensvoll ihr Leid und baten mich, nach meiner Entlassung davon zu erzählen." Permanent begleitet habe ihn der Ausspruch eines Vollzugsbediensteten zu Beginn seiner Haft: "Viele hier brauchen psychologische Betreuung oder Suchtberatung, andere einen Streetworker und dann haben wir einen kleinen Rest, der gehört ins Gefängnis."

Personalmangel und Drogenkonsum

Ein Punkt, den Alt anspricht, ist der Personalmangel. Bedienstete hätten schon im April teils 100 Überstunden angesammelt, statt sechs Beamten pro Schicht seien meist nur zwei eingesetzt gewesen. Ähnlich sehe es bei der medizinischen Betreuung aus sowie in der Betreuung durch Sozialarbeiter, Psychologen, Suchtberater oder Seelsorger. Darunter leide auch deren Qualität: "Ein Gefangener schilderte mir die schwierige Zeit, in der er nach dem Tod seines Kindes war. Zwar bekam er ein Gespräch bei einem Psychologen, der Tenor des Gesprächs war dann der Rat, er solle nicht so oft an den Tod seines Kindes denken."

Auch Drogen sind ein großes Thema für Alt. Deren Konsum sei auch im Gefängnis möglich, entspreche aber oft nicht dem, was die Leute gewohnt seien. Entzugserscheinungen führten zu Aggression und Gewalt. "Wenn Menschen auf Entzug sind, kann man fragen, ob sie überhaupt zurechnungsfähig sind", so Alt. Beantworte man die Frage negativ, dann stelle sich die Frage, warum man sie überhaupt in einem normalen Strafvollzug unterbringe. Auch eine Therapie mit legalen Ersatzstoffen sei zwar möglich, scheitere aber oft an strukturellen Problemen.

Bild: ©KNA

Pater Jörg Alt prangert die Zustände in deutschen Gefängnissen an.

Wichtig ist Alt auch das Thema der Resozialisierung. Diese sei in allen Bundesländern sowie im Bund als zentraler Zweck der Haft im Strafvollzugsgesetz priorisiert - noch vor dem Schutz der Allgemeinheit. Bayern aber habe diese Reihenfolge umgedreht. Auch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2023 bezieht er sich, nach dem unter anderem Bayern damals "nicht über ein den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügendes, in sich schlüssiges Resozialisierungskonzept" verfügte.

"Viele meiner Gesprächspartner sind überzeugt: So, wie die Entlassung in Bayern gerade bei vielen läuft, kann es nur schieflaufen", so Alt weiter. Viele Gefangene hätten Probleme, das in der Haft gelernte in Freiheit auch anzuwenden. Viele fänden etwa ohne Arbeit keine Wohnung, aber ohne Wohnung auch keine Arbeit. Rückschläge seien da an der Tagesordnung.

Empfehlungen zur Verbesserung

Aus seinen Beobachtungen zieht der Jesuit insgesamt 10 Empfehlungen. Um Haft insgesamt zu reduzieren, brauche es präventive Maßnahmen, eine Reform des Strafrechts und mehr Alternativen zur Freiheitsstrafe. Wo Haft unvermeidlich sei, müssten medizinische und psychologische Versorgung besser werden, besonders bei Suchterkrankungen. Der Strafvollzug müsse sich klar zur Resozialisierung bekennen - mit mehr qualifiziertem Personal, besseren Übergangsangeboten und erleichtertem Kontakt zur Außenwelt.

Gefangene sollten ihre Rechte durch eine unabhängige Beschwerdestelle wirksam vertreten können. Entzugsbehandlungen müssten humaner werden, medizinische Zweitmeinungen zugänglich sein. Schließlich benötigten die Bediensteten stärkere Unterstützung im belasteten Alltag.

Nach 25 Tagen noch kein Experte

Andreas Bär, Vorsitzender der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland, bezeichnete es bei der Vorstellung des Berichts als "erschreckend", dass viele der angesprochenen Punkte so massiv seien, dass Alt sie nach 25 Tagen schon bemerkt habe. Ähnlich äußerte sich die Ethikerin Michelle Becka aus Würzburg. Sie betonte, dass eine gute Resozialisierung letztlich auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten diene.

Natürlich stehe nach 25 Tagen Haft der Verdacht im Raum, dass dies nicht ausreiche, um valide Aussagen zu treffen, betont Alt selbst. Jedoch habe er nicht nur versucht, alle Informationen mehrfach aus anderen Quellen bestätigen zu lassen. Sondern er habe seinen Bericht auch von zwei Beamten im höheren Justizvollzugsdienst gegenlesen lassen. 25 Tage machten ihn zu keinem Experten. Er betrachte seine Beobachtungen aber "als ein weiteres Mosaiksteinchen in der laufenden Debatte zu Verbesserungen im Justizvollzug. Ich hoffe, dass meine Darlegungen berufeneren Experten helfen, geschilderte Situationen zu überprüfen und, wenn möglich, Missstände zu beheben."

Von Hannah Krewer (KNA)