Zulehner: Papst Leo muss bald "kantige" Entscheidungen treffen

Leo XIV. wird in Zukunft "kantige" Entscheidungen treffen müssen, sagt Paul Zulehner. Noch sei der neue Papst 100 Tage nach seiner Wahl in der "Schonzeit" als Kirchenoberhaupt. Wolle er aber in Richtung einer synodaleren Kirche weiterkommen, werde er Entscheidungen treffen müssen – etwa zur Rolle der Frauen in der Kirche und zur praktischen Beteiligung des Volkes Gottes, erklärte der österreichische Theologe am Freitag im Ö1-Mittagsjournal des ORF.
Bisher habe sich Leo XIV. keine Feinde gemacht. Er sei auch "kein Mann der gefälligen Pointen und theatralischen Gesten", sagte Zulehner. Mit Entscheidungen wie der geplanten Rückkehr in die Wohnung im Apostolischen Palast, der Sommerfrische in Castel Gandolfo und dem Tragen der päpstlichen Prachtstola wolle Leo "Traditionsbesorgte ein bisschen beruhigen", so die Einschätzung des Theologen.
Vom Rohjuwel zum Juwelier
Was der neue Papst von seinem Vorgänger Franziskus an Geistigkeit und Dynamik bezüglich Neuerungen in der Kirche geerbt habe, müsse er nun in Strukturen fassen. "Papst Franziskus war ein Rohjuwel und Papst Leo muss jetzt der Juwelier sein", griff Zulehner zu einem bildhaften Vergleich. Als Beispiel nannte der Theologe die "sehr sensible" Frage, wie gläubige Gemeinden trotz Priestermangels auch Eucharistie feiern können und die auch in diesem Zusammenhang diskutierte Dezentralisierung in der Weltkirche.
Leo XIV. habe sich nach Amtsantritt ausdrücklich zur Fortsetzung der von Papst Franziskus angestoßenen Synodalisierung der Kirche bekannt. Auch dass der gebürtige US-Amerikaner als Bischof in Peru ein "Bischof für die Armen" gewesen sei, dürfe nicht übersehen werden. "Das ist ein hohes Kapital, das ihn auch mit Franziskus verbindet", erklärte Zulehner weiter.
Laut Zulehner ist es dem Papst in der aktuellen Lage der Welt zu wenig, sich nur um die Kirche zu kümmern. Er habe daher "neben dem innerkirchlichen Langzeitprogramm ein ganz gutes Akutprogramm entwickelt", sagte der Theologe: "Er lässt keine Gelegenheit aus, sich klar für den Frieden und gegen den Krieg zu positionieren. Er ist für den Dialog, und er sagt: Ich stehe für eine bessere Welt." (KNA)