Im Dialog mit der Gemeinde: So gelingt der Lektorendienst

Der Gottesdienst ist durch Schriftlesungen geprägt: Den Gläubigen soll "der Tisch des Gotteswortes reicher bereitet" werden, legte das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) in seiner Liturgiekonstitution fest. Seither kommen viel mehr Texte aus der Bibel in der Leseordnung vor – die "Schatzkammer der Bibel" wurde wie vom Konzil gewünscht weiter aufgetan. Damit diese Schätze auch bei den Gläubigen ankommen, braucht es gute Lektorinnen und Lektoren. Die Sprachwissenschaftlerin und Kirchenmusikerin Lioba Faust ist eine Expertin für die menschliche Stimme, Sprechen und Vortragen. Im Interview mit katholisch.de gibt sie Tipps, wie jeder Lektor und jede Lektorin noch besser darin wird, die Schrift im Gottesdienst vorzutragen.
Frage: Frau Faust, welche Lesung tragen Sie am liebsten vor?
Faust: Die Lesung vom Pfingstsonntag aus der Apostelgeschichte.
Frage: Da haben Sie sich gleich den Endgegner ausgesucht: Fehlerfrei durch die Völker zu kommen – Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien – ist ziemlich schwierig.
Faust: Das ist wirklich eine der gefürchtetsten Lesungen für Lektorinnen und Lektoren. Um die vielen fremden Namen geht es mir da gar nicht. Sondern wie großartig diese Geschichte, dieses große Ereignis erzählt wird: die emotionale Situation der Jünger und Apostel, die versammelt sind. "Sie gerieten außer sich vor Staunen", oder wie es in der neuen Übersetzung heißt "Sie waren fassungslos vor Staunen". Am Schluss heißt es dann: "Wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden". Dieser Text nimmt einen mitten hinein in das Geschehen.
Lioba Faust ist Gründerin des "Studios für Stimme und Rhetorik". Die Kirchenmusikerin und studierte Phonetikerin, Romanistin und Computerlinguistin wurde mit einer Arbeit über Artikulation und Sprechweise promoviert. Zu ihren Schwerpunkten gehört die Schulung von Lektoren, Priestern und Priesteramtskandidaten im Verkündigen mit der Stimme. Im Herbst erschien ihr Buch "Vom Vorlesen zum Verkündigen: Eine kleine Sprechschule für Lektorinnen und Lektoren" im Verlag Friedrich Pustet.
Frage: Wie nähern Sie sich in der Vorbereitung so einem Text?
Faust: Ich schaue, welche Wörter mir ins Auge fallen und welche Stimmung sie bei mir erzeugen. In der Pfingstgeschichte stolpert man wirklich leicht über die schwierigen Wörter. Die sollte man sich vorher einzeln anschauen und ruhig auch silbenweise zerlegen und sprechen: Me-so-po-ta-mien. Ka-ppa-do-ki-en. Pam-phy-li-en. Das kann man üben, bis man es sicher sprechen kann.
Frage: Schwierige Wörter sind offensichtliche Klippen. Was sind versteckte Herausforderungen beim Lesen?
Faust: Zum Beispiel Wörter, die man in der Alltagssprache nicht häufig antrifft. Formulierungen wie im Römerbrief: "wer Gott wohlgefällig ist". Das ist kein schwieriges Wort, aber in unserer Umgangssprache ungebräuchlich. Oder wenn Wörter in einer Weise verwendet werden, die in der Alltagssprache so nicht vorkommen. "Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit", steht etwa im zweiten Timotheusbrief. Das sollte man laut üben, wie man das so spricht, dass es natürlich klingt. Es besteht die Gefahr, dass man so etwas allzu "vornehm" liest und dadurch der Textfluss leidet. Man muss auch wirklich verstehen, was man da liest. "Denn erst zu der bestimmten Zeit trifft ein, was du siehst; aber es drängt zum Ende und ist keine Täuschung", steht bei Habakuk. Was ist da eigentlich gemeint? Was will der Autor dieses Buches damit sagen? Im Alltag formulieren wir nicht in diesem Rhythmus, und deshalb stolpert man gerne einmal über solche Konstruktionen, wenn uns selbst die Bezüge und das Satzgefüge nicht klar sind.
Frage: Braucht man für so eine verständige Vorbereitung auch theologisches Wissen?
Faust: Es ist hilfreich, wenn man eine Affinität zur Sprache und Welt der Bibel hat. Es muss immer möglich sein, sich von einem Text ansprechen zu lassen, ohne viel Hintergrundwissen. Oft ist das ein emotionaler Zugang, der die Texte verständlich macht: das Klagen der Psalmen über Ungerechtigkeiten etwa. Damit kann ich mich identifizieren, auch ohne theologisches Wissen.
Frage: Und wie dramatisch oder szenisch sollte man lesen?
Faust: Das braucht eine gute Balance. Manche haben eine Scheu davor, Emotion hineinzubringen und schnell das Gefühl, das sei zu theatralisch. Das schlägt dann schnell um in eine ganz mechanische Vortragsweise, bei der ein Wort neben das andere gesetzt wird, damit nur kein Fehler passiert, damit es ja nicht zu übertrieben klingt. Das ist dann schade. Jede biblische Geschichte ist aus einer bestimmten Verfassung und Stimmung heraus gesprochen, und wenn das alles gleich gelesen wird, bleibt es völlig farblos. Denken Sie wieder an die Pfingstgeschichte, da geht viel verloren, wenn man das einfach nur runterliest: "Wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden" – da muss etwas von der Begeisterung transportiert werden, ohne dass es affektiert und zu theatralisch wirkt. Das kann man üben.
Frage: Wie viel Vorbereitung braucht eine gute Lesung?
Faust: Das absolute Mindestmaß ist, eine Lesung vorher einmal laut zu lesen. Sonst ist es ein Zufallsprodukt, was am Ambo entsteht. Das kann gelingen, oft gelingt es aber auch nicht. Man merkt dann auch hinterher selbst, wo es gehakt hat, weil man vielleicht nicht gleich erfasst hat, dass ein Satz noch weitergeht und deshalb falsch betont hat. Laut Vorlesen hilft dabei, den Text ganz zu erfassen.
Vorbereitung ist zentral: Mindestens einmal sollte man die Lesung laut gelesen haben, bevor man sie im Gottesdienst vorträgt, empfiehlt Lioba Faust.
Frage: Kann das jeder lernen? Oder braucht es eine gute Lesestimme, und ohne die geht es nicht?
Faust: Ich denke schon, dass das jeder lernen kann, wenn man regelmäßig laut liest und sich selbst beobachtet. So kann jeder ein gutes Ohr für die eigene Stimme, Artikulation und Sprechweise bekommen.
Frage: Bisher haben wir über die Person gesprochen, die vorliest. Aber es hören ja auch Menschen zu. "Vorlesen und Verkündigen ist ein zutiefst kommunikatives Geschehen", schreiben Sie in Ihrem Buch. Wie kommuniziert der Lektor, die Lektorin mit der Gemeinde?
Faust: Am Anfang sollte ein Blick in die Gemeinde stehen. Damit hole ich mir die Aufmerksamkeit und signalisiere gleichzeitig, dass jetzt etwas kommt, was für die Gemeinde wichtig und bedeutsam ist. Gerade bei den Briefen setzt man mit diesem Blick den richtigen Akzent für die Begrüßung, mit denen sie beginnen. Dann ist "Schwestern und Brüder!" nicht nur eine abgelesene Floskel, sondern auch wirklich eine Anrede in die Gemeinde hinein. So holt man die Hörenden hinein in einen Dialog.
Frage: Wie viel Körpersprache soll dabei sein? Am Ambo gestikuliert man üblicherweise nicht besonders stark.
Faust: Ja, das ist am Ambo eher reduzierter, als es in der Alltagssprache, beim freien Sprechen ist. Die Hände dürfen am Buch sein oder auf dem Pult liegen, das schafft auch eine Verbindung zu dem Medium, aus dem gelesen wird. Wenn sich dann aber eine Hand auch mal bewegt, dann ist das völlig in Ordnung, das würde ich mir gar nicht abgewöhnen. Das meiste passiert aber über die Mimik: die Augenbrauen, die Stirn. Das macht deutlich, dass der Lektor oder die Lektorin innerlich wirklich dabei ist und nicht nur abliest. Auch das ist Kommunikation.
Frage: Gibt es beim Vortrag des Evangeliums Besonderheiten?
Faust: Wenn es vorgelesen und nicht vorgesungen wird, dann ist das vergleichbar mit den Lesungen. Die Evangelien sind oft sogar lebendiger, weil es meist Erzählungen sind: Jesus ist da, die Geschichte spielt an einem bestimmten Ort, Menschen reden, tun etwas. Da ist es oft einfacher, intensiver und lebendiger durch die Modulation der Stimme und Mimik vorzutragen.
Frage: In der Karwoche kommen die Lektoren auch beim Evangelium zum Zuge, wenn die Passionsgeschichte mit verteilten Rollen gelesen wird. Das erlebe ich oft etwas hölzern. Was kann man da tun, damit die dialogische Lesung gut wirkt?
Faust: Den Eindruck habe ich auch oft. Es fehlt einerseits an einer gemeinsamen Übung, andererseits will man das natürlich besonders ordentlich und ehrfürchtig lesen und ja keinen Fehler machen. Die Passion ist ja auch etwas Besonderes. Da braucht es ein gutes Zusammenspiel und ein Gefühl dafür, wo man sich zurücknimmt und wo man stärker betont. Vor allem bei der Rolle des Erzählers mit kurzen Einschüben wie "er sagte" besteht die Gefahr, dass es zu hölzern wirkt. Wie bei jeder Lesung muss die Passion so vorgetragen werden, wie sie gemeint ist: Wenn Pilatus fragt "Euren König soll ich kreuzigen?", dann muss das auch als Frage gelesen werden. Es braucht ein Gefühl für die Dynamik zwischen den auftretenden Personen: Was ist das für eine Situation für Pilatus? Was für eine für Jesus oder das Volk? Die Geschichte wird gemeinsam vorgetragen, nicht einzeln nebeneinander.
Frage: Wie fängt man an? Was raten Sie dem Lektor, der am nächsten Sonntag Dienst jedoch nicht die Zeit hat, bis dahin Ihr Buch zu lesen, aber trotzdem sofort etwas besser machen möchte?
Faust: Bereiten Sie sich zuhause auf die Lesung vor: Aufrecht stehen, gut durchatmen und den Blick nach vorne richten. Dann probieren Sie die Einleitung auswendig aus: "Lesung aus dem Buch Jesaja." Dann gehen Sie mit dem Blick ins Buch und schauen sich den Text an. Wenn Sie nicht gleich den ganzen Text laut vorlesen, lesen Sie einzelne Wörter, einzelne Passagen vor. Schauen Sie sich den Text genau an, und überfliegen Sie ihn nicht nur oberflächlich: Kenne ich, keine schwierigen Wörter, passt schon. Lesen Sie genau. Und am Ende heben Sie dann wieder den Blick nach vorne und sagen deutlich nach einer Pause: "Wort des lebendigen Gottes." Damit wieder deutlich wird, dass es um einen Dialog geht, dass ich die Hörenden in einen Kontext rufe und dass es darum geht, sich auf das Wort einzulassen und damit in Beziehung zu Gott zu bleiben. Denn um diesen Dialog geht es bei den Lesungen aus der Schrift: Ihr hört etwas und lasst euch auf die Botschaft ein. Das Leben stellt Fragen und ich will eine Antwort darauf finden mit dem Wort Gottes. Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen und sich nur ja nicht zu versprechen. Es geht darum: Was habe ich verstanden, was teile ich mit und was hörst du, auf das du dich einlassen kannst?