Ordensbruder hat Buch über sein spirituelles Leben geschrieben

Benediktiner: Mönchsein als Lebensform hat mich nie losgelassen

Veröffentlicht am 03.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

St. Gilgen ‐ In seinen Zwanzigern trat Thomas Hessler der Liebe wegen aus einem Kloster aus, trat später aber in ein anderes wieder ein. Im katholisch.de-Interview erzählt er über seinen spirituellen Weg – und was er daraus gelernt hat.

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Was bedeutet monastisches Leben heute? Diese Frage beschäftigt Thomas Hessler schon lange: 1968 in Niederösterreich geboren, war er erst in verschiedenen Gemeinschaften aktiv, bevor er das Europakloster Gut Aich mitgründete. Dort soll im interreligiösen Miteinander und mit der Kunst eine neue Form des mönchischen Lebens erprobt werden. Kürzlich hat Hessler ein Buch über sein spirituelles Leben geschrieben. Im katholisch.de-Interview spricht er über Höhen, Tiefen und neue Erkenntnisse.

Frage: Bruder Thomas, gibt es in Ihrem spirituellen Leben einen roten Faden?

Hessler: Die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach einem erfüllten, gelingenden, friedvollen Leben.

Frage: Als Kind sind Sie zur Fokolar-Bewegung gekommen, dann aber nach Ihrer Zeit bei dieser Neuen Geistlichen Gemeinschaft den Augustiner-Chorherren beigetreten. Wie haben Sie das erlebt?

Hessler: Die Fokolar-Bewegung war mit ihren Angeboten sehr jugendorientiert. Das war stimmig, aber es gab auch eine gewisse Enge – besonders wenn es um Moral und Sexualität ging. Da war sie wie viele andere neue Bewegungen sehr rigide. Damals hatte sie noch die typischen Kinderkrankheiten, das war anders als bei alten Ordenseinrichtungen. Bei den Chorherren, die tausend Jahre alt sind, ist das natürlich alles vorbei. Bei den Chorherren hatte ich zudem persönliche Beziehungen zu Mitbrüdern. Da konnte ich mir einfach menschlich gut vorstellen, dort in der Gemeinschaft zu leben. Die äußeren Formen, dieses Barocke, haben mich als katholisch geprägtem Österreicher nicht abgeschreckt.

Frage: Was hat Sie dort denn am meisten angezogen?

Hessler: Das mönchische Leben. Ich hatte im Alter von 14 Jahren ein Gipfelerlebnis in dieser Klosterkirche, wo ich wirklich dieses Gefühl des Angekommenseins gehabt habe. Dieses Leben wollte ich – und das gab es bei der Fokolar-Bewegung in dieser Form nicht. Da wechselt man oft die Standorte und ist viel in der Stadt. Ich wollte aber auf dem Land sein. Mit 18 bin ich bei den Augustiner-Chorherren eingetreten – und mit 21 habe ich sie wieder verlassen. Aber was mich nie mehr losgelassen hat, war diese Lebensform als Mönch.

Bild: ©Susanne Windischbauer

Die Mönche des Europaklosters Gut Aich.

Frage: Was hat denn dazu geführt, dass die Augustiner-Chorherren nicht mehr zu Ihnen gepasst haben?

Hessler: Meine ganze menschliche Entwicklung war noch nicht so weit. Dazu war ich auch noch sexuell gesehen sehr frühreif. Ich musste mir erstmal klar werden, wie ich meine Beziehungen leben wollte. Erste sexuelle Erfahrungen hatte ich im Kloster gemacht – aber das war dafür der falsche Ort. Auch meine Mitbrüder waren damit überfordert. Das ging bis dahin, dass heimlich meine Post geöffnet wurde. Nach meinem Austritt hatte ich dann meinen Freiraum. Ich bin von Salzburg nach Mainz gezogen und habe mich ausgelebt.

Frage: Sie haben in einer Beziehung gelebt und eine Ausbildung zum Heilpraktiker gemacht. Was haben Sie in dieser Zeit über sich und Ihre Sehnsucht gelernt?

Hessler: Das Stärkste war die Erkenntnis, wer ich selber bin. Ich habe Theologie zu Ende studiert – und in mir reifte das Bewusstsein, dass ich dennoch etwas Praktisches machen möchte. Dazu kam aber auch die Erfahrung, selbstständig zu sein, mein eigenes Geld zu erwirtschaften, Verantwortung für mich selbst zu übernehmen. Weil ich immer schon gemalt habe, habe ich mein Studium mit dem Verkauf meiner Bilder finanziert. Das war ein großer Teil meiner Selbsterkenntnis: Ich kann für mich selbst sorgen, ich brauche aber etwas Praktisches. Dazu kam immer wieder die Spannung in meinen Beziehungen, auch erotischer Natur. Ich wollte dennoch noch immer Mönch werden. Wie kann das funktionieren?

Frage: Sie sind wegen einer Beziehung aus einem Kloster ausgetreten – warum sind Sie dann, als das benediktinische Europakloster auf Gut Aich gegründet wurde, wieder in eines eingetreten?

Hessler: Dieses Gipfelerlebnis damals mit 14 war schon ein Anker, der mir ganz viel Stabilität gegeben hat. Ich habe mich seitdem zum monastischen Leben berufen gefühlt. Ich wusste: Das ist meine Lebensform. Als ich 25 war, wusste ich, auf was ich dafür verzichten musste. Aber der Reiz des Mönchslebens hat diesen Verzicht aufgewogen. Ich konnte bei der Neugründung auch mitgestalten, Dinge ausprobieren, neu machen. Das war schon eine Aufbruchszeit. Doch der Umgang mit dem Verzicht war ein langer Prozess. Erst als ich 41 war, hatte ich das Gefühl, dass ich diesen Teil meiner Persönlichkeit integriert hatte. Das war also auch noch ein Weg innerhalb des Klosters.

Bild: ©Marcel Zeumer

Im Europakloster spielt auch Yoga eine Rolle.

Frage: Was ist im Europakloster anders als in anderen Klöstern?

Hessler: Wir haben das Kloster in den 1990er Jahren gegründet, als Europa zusammengewachsen ist. Wir wollten etwas für ein friedliches Miteinander über Grenzen hinweg tun, auch in spiritueller Hinsicht. Da war ein großer Idealismus. Wir wollen Spiritualität nicht nur über Konfessions-, sondern auch Religionsgrenzen leben. Wir wollten also entstandene Wunden heilen. Das ist eine große Wurzel der benediktinischen Tradition. Denn in Klöster sind immer Menschen gekommen, die Heilung gesucht haben. Deshalb stellen wir bis heute etwa 250 Naturheilmittel her, alle aus Kräutern gewonnen. All das läuft jetzt seit 30 Jahren, ist aber noch nicht abgeschlossen. Denn ein Kloster ist so lange in der Gründungsphase, bis der erste Mönch dort verstorben ist.

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie Spiritualität auch über Religionsgrenzen hinweg leben wollen. Wie funktioniert das?

Hessler: Ich habe über 25 Jahre die älteren Damen hier im Dorf begleitet, also Senioren-Seelsorge gemacht. Da haben wir auch über andere Religionen gesprochen und Vorurteile abgebaut. Da ging es um wirklich existenzielle Fragen: Was es braucht, um ein gelingendes Miteinander in dieser multidimensionalen Wirklichkeit heute zu leben. Weiterhin laden wir in unser Kloster immer wieder Vertreter anderer Religionen ein, wo wir gemeinsam unseren Gottesglauben feiern. Wir wollen den Glauben mit der Lebenswirklichkeit zusammenbringen, auch hier im Salzkammergut.

Frage: Welche Rolle spielt dabei die Kunst? Sie sind ja bis heute Künstler.

Hessler: Auch die Kunst ist eine Plattform für Begegnung. Dort nehmen Dinge Gestalt an, die bislang nur im Bewusstsein der Menschen existiert haben. Wir wurden beispielsweise eingeladen, einen interreligiösen Verabschiedungsraum in einem Krankenhaus zu gestalten. Dort werden auch viele Menschen nach muslimischer Tradition verabschiedet. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass sich jede Tradition in der Gestaltung wiederfindet. Entstanden sind am Ende Teppiche und ein gläsernes Band, auf dem Totengebete verschiedener Traditionen stehen. Was sich ähnelt, ist hervorgehoben. So zeigen wir gleichzeitig die Eigenständigkeit der Religionen, aber auch, was uns alle verbindet. Denn Interreligiosität ist schon lange Teil unseres Alltags: In dem Krankenhaus gab es etwa den Fall eines Mannes aus Ägypten, der verstorben ist. Seine deutschstämmige Lebensgefährtin wollte in Ruhe trauern, seine ägyptische Familie aber sehr laut. Beide Formen brauchen in einem solchen Raum ihren Platz.

Bild: ©Susanne Windischbauer

Der Brückenheilige, ein Werk von Bruder Thomas Hessler.

Frage: Wie haben Sie im Europakloster das Mönchsein neu für sich entdeckt?

Hessler: Ich habe erlebt, dass verschiedenen Traditionen dem gleichen Ziel dienen können: Ich mache morgens zum Beispiel immer Yoga, wir feiern aber auch das benediktinische Chorgebet. Dazu kommen Stillezeiten für jeden Bruder, also Platz für Meditation. Das sind Dinge, die für viele Menschen anschlussfähig sind. Es geht um eine Grundhaltung.

Frage: Wir haben am Anfang über das Thema Sehnsucht gesprochen. Sind Sie heute am Ziel Ihrer Sehnsucht angekommen?

Hessler: Am Ziel ist man da nie. Aber vieles hat sich erfüllt und ist gereift. Das hat auch mit der Erkenntnis über die Jahre zu tun, mit dem Altern. All das ist Teil des Prozesses, sind Erkenntnisquellen. Reifer werden, weiser werden, das tue ich, aber auch meine Mitbrüder. Das auch nochmal in der Tiefe des Schweigens zu erfahren, was das bedeutet. Man entwickelt sich immer weiter.

Frage: Welches ist die bedeutendste Einsicht, die Sie gewonnen haben?

Hessler: Das, was mich ausmacht, kommt immer durch den anderen oder die andere. Also das Geheimnis von Beziehung, von einer Zweierbeziehung, aber auch einer Ordensgemeinschaft, ist der Fremde, der Unbekannte. Das sind Menschen, die zu uns ins Kloster kommen. Durch das Fremde und den Fremden erfahren wir viel über uns selbst, gewinnen wir neue Erkenntnisse. Das zu integrieren, was mich vielleicht zunächst verunsichert, stört, aufregt, das ist das Spannende daran.

Von Christoph Paul Hartmann

Buchtipp

Thomas Hessler/Felicitas von Aretin: Mein Rückzug in die Welt. Kloster-Prinzipien für ein erfülltes Leben. Freiburg, Herder 2025.