Wie eine Frau die Reerdigung ihres Mannes erlebt hat

Als ihr Mann Dieter an Krebs starb, stand für Martina Krämer schon fest, wie sein letzter Weg aussehen sollte. "Verbrannt oder vergraben zu werden, war für uns beide eine Horrorvorstellung", sagt die 68-Jährige aus Oering, einem Dorf in Schleswig-Holstein. Stattdessen entschied sich das Paar für eine Reerdigung – eine neue Bestattungsform, bei der der Körper in 40 Tagen zu Erde zersetzt wird.
Ein Fernsehbeitrag hatte Dieter Krämer einige Jahre zuvor überzeugt. "Er kam ins Wohnzimmer und sagte: Ich lasse mich kompostieren", erinnert sich seine Frau im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Zunächst habe sie den Gedanken abwegig gefunden. "Aber als wir uns näher damit beschäftigt haben, war uns klar: Das ist genau das Richtige für ihn." Ihr Mann sei sehr naturverbunden gewesen. "Da passte die Vorstellung perfekt, nach dem Tod wieder zu Erde zu werden."
So läuft die Reerdigung ab
Bei der Reerdigung wird der nackte Leichnam in einem geschlossenen Behälter, dem sogenannten Kokon, auf ein Gemisch aus Heu, Stroh und Blumen gebettet. Unter kontrollierten Bedingungen – mit Sauerstoffzufuhr und sanfter Bewegung – sorgen Mikroorganismen dafür, dass sich das Gewebe zersetzt. Nach 40 Tagen bleiben humusartige Erde und die Knochen zurück. Um die Knochen zu zerkleinern, wird das Material gemahlen und anschließend in einem Tuch aus Naturfaser auf einem Friedhof beigesetzt.
In Deutschland ist das Verfahren bislang nur in Schleswig-Holstein erlaubt, wo es seit 2022 erprobt wird – mit Unterstützung der evangelischen Kirche. Entwickelt wurde es vom Berliner Unternehmen Circulum Vitae ("Kreis des Lebens"). Unter der Marke Meine Erde wirbt das Start-Up damit, eine ökologische Alternative zu Feuer- oder Erdbestattung zu bieten. Bei der Reerdigung werde weder Erdgas verbraucht noch würden lackierte Särge oder Kunststoffe in den Boden eingebracht, heißt es auf der Website. Stattdessen entstehe ein nährstoffreicher Bodenverbesserer, der die vielfach ausgelaugten Friedhofsböden regenerieren könne. Ähnliche Verfahren gibt es bereits in mehreren US-Bundesstaaten.
Martina Krämer betrachtet ein Foto ihres verstorbenen Mannes.
Dieter Krämer war einer der ersten, die in Deutschland reerdigt wurden. Als er im November 2022 starb, stand nur ein einziger "Kokon" zur Verfügung – und der war belegt. Der Leichnam musste weitere 40 Tage warten, bevor der eigentliche Prozess beginnen konnte. Für Martina Krämer war das rückblickend ein Segen, sagt sie. "In dieser Zeit konnte ich mich ohne Druck und Eile von meinem Mann verabschieden."
Das Unternehmen sandte ihr das Leinentuch zu, in das die Erde später eingeschlagen werden sollte. Ihre Tochter malte einen Baum darauf; Freunde und Familie kamen vorbei, druckten ihre Hände als bunte Blätter ab und schrieben letzte Grüße dazu. "So haben wir meinen Mann noch einmal gefeiert. Wir haben viel gelacht und geweint. Danach habe ich das Gefühl gehabt, dass ich Frieden finden konnte."
"Ich pflanze in die Erde meines Mannes"
Bei der Einbettung ihres Mannes in den "Kokon" war Martina Krämer nicht dabei, obwohl das möglich gewesen wäre. "Ich wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie er zu Lebzeiten war."
Die Trauerfeier fand in einer Kapelle auf dem Friedhof statt – mit Musik und Texten, die die Familie selbst ausgewählt hatte. Anstelle eines Sargs oder einer Urne lag die in das Tuch eingeschlagene Erde im Raum. In einer Schale wurde sie zur Grabstelle getragen, hineingelegt und das Tuch geöffnet. Das Grab war etwa 70 Zentimeter tief ausgehoben – deutlich weniger als bei einer Sargbestattung, sodass die Erde später dicht unter der Oberfläche liegt. Beim Bepflanzen spüre sie eine besondere Nähe, sagt Krämer. "Ich pflanze direkt in die Erde meines Mannes."
Für ihren Bestatter Richard Hovorka war die Reerdigung damals Neuland: "Ich musste einiges improvisieren." So sei es beispielsweise schwierig gewesen, einen Friedhof zu finden, der die Beisetzung der Erde zuließ. "Viele Verwaltungen waren zurückhaltend, weil es für diese Form der Bestattung keine Regelung gab", berichtet Hovorka der KNA.
Der Bundesverband Deutscher Bestatter kritisiert das Konzept der Reerdigung scharf.
Er selbst sei von der neuen Bestattungsform von Anfang an überzeugt gewesen – vor allem wegen des ressourcenschonenden Ansatzes. Inzwischen hat er sechs Menschen auf diese Weise beigesetzt. In seinem Kollegenkreis ernte er dafür durchaus Skepsis. "Viele sagen, das gehöre nicht zur Bestattungskultur, wie man sie kennt", sagt der 57-Jährige. "Aber Kultur verändert sich. Und vielleicht ist das hier einfach der nächste Schritt."
Massive Kritik kommt vom Bundesverband Deutscher Bestatter. Er warnt vor offenen Fragen zum Arbeits- und Infektionsschutz und fordert mehr Transparenz. "Es geht nicht nur um ein Produkt, sondern um den würdevollen Umgang mit Verstorbenen", so eine Stellungnahme. Auch fehlten wissenschaftliche und rechtliche Grundlagen. Beobachter vermuten, dass hinter dieser Kritik auch wirtschaftliche Interessen stehen könnten – etwa die Sorge traditioneller Bestatter und Krematorien, Marktanteile zu verlieren.
Wissenschaftlich begleitet wird das Verfahren im Auftrag des Anbieters vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig. Nach Auswertung von mehr als 30 Proben kommen die Forscher zu dem Schluss, dass die menschlichen Körper tatsächlich innerhalb von 40 Tagen zu Erde geworden seien. Diese weise die Eigenschaft von Humus auf. Die zermahlenen Knochen seien vergleichbar mit Gebeinen, die 20 bis 50 Jahre in der Erde gelegen hätten. Zur Nachhaltigkeit der Reerdigung gibt es noch keine Studien.
Martina Krämer will auch reerdigt werden
Die Erprobung der neuen Bestattungsform in Schleswig-Holstein läuft noch bis Juni 2026. Danach könnte sie fest in das Bestattungsgesetz des nördlichsten Bundeslandes aufgenommen werden. Andere Länder warten die Ergebnisse ab. Nach Angaben des Berliner Unternehmens wurden bislang insgesamt rund 50 Reerdigungen durchgeführt.
Für Martina Krämer war dieser Weg richtig: "Ich hatte die ganze Zeit ein gutes Gefühl. Schöner und würdevoller kann man gar nicht gehen", sagt sie. Auch sie selbst hat vorgesorgt: In ihrem Testament hat sie festgelegt, dass sie ebenfalls reerdigt werden möchte – neben ihrem Mann.