"Bekommen Sie Kinder!"

So gesehen hat das Bistum laut Bischof Franz-Josef Overbeck seinen Seinsgrund verloren. Eigentlich.
Die Zahlen im Bistum Essen sprechen eine deutliche Sprache. 1958 gab es dort noch 1,5 Millionen Katholiken. Laut Bischof Overbeck sind es mittlerweile nur noch 860.000 Gläubige in einem Seelsorgegebiet mit 2,5 Millionen Einwohnern. Junge Menschen und Familien sähen keine Zukunftschancen im Ruhrbistum mehr, weil sie keine verlässliche Arbeit fänden. Viele wanderten deshalb in wirtschaftlich stärkere Gegenden Deutschlands ab, während das Prekariat bleibe.
Erzieherinnen als Sozialarbeiterinnen
Bischof Overbeck berichtet, die Leiterinnen der Kindertagesstätten im Bistum Essen seien mittlerweile "halbe Sozialarbeiterinnen", weil sie große Teile ihrer Arbeitszeit in Familienfürsorge und Eheberatung investierten. "Integration und die multikulturelle Gesellschaft sind nicht immer ein Segen, sondern auch eine riesige Herausforderung, die vor allen Dingen Bildung braucht", sagte der Bischof bei einer Podiumsdiskussion im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum.
Auf Einladung der Wochenzeitung "Die Zeit" und der Redaktion "Christ __amp__ Welt" sowie der Welthungerhilfe diskutierte der Ruhrbischof mit CDU-Landeschef Armin Laschet über globale Megatrends und den demografischen Wandel. Der erfasse Deutschland, aber auch andere Industrieländer sowie Schwellen- und Entwicklungsländer, erläuterte Moderatorin Astrid Prange de Oliveira anhand von weltweiten Zahlen zur Reduzierung der Geburtenraten. "Seit 1950 wurden fast überall weniger Kinder geboren", sagte die Christ __amp__ Welt-Redakteurin.
Dürfen wir Fachkräfte abwerben?
Der CDU-Landesvorsitzende Laschet glaubt, der demografische Wandel sei noch nicht in den Planungsabteilungen für die Entwicklungszusammenarbeit angekommen. "Unsere Gesellschaft braucht Fachkräfte", sagte der Christdemokrat. "Die zentrale Frage lautet: Dürfen wir diese den Entwicklungsländern abwerben?" Laschet begrüßte die Bemühungen von kirchlichen Hilfswerken wie Misereor und Brot für die Welt sowie Hilfsorganisationen wie der Welthungerhilfe, die ländliche Entwicklung in Schwellen- und Entwicklungsländern zu fördern. Das Problem der Landflucht sei aber nicht allein politisch steuerbar. Overbeck sagte in seiner Eigenschaft als Adveniat-Bischof, die Stärkung ländlicher Gebiete gelinge nur durch die Eröffnung neuer wirtschaftlicher Perspektiven und Bildungsangebote.
Bischof Franz-Josef Overbeck (links) zusammen mit Armin Laschet (mitte) und Moderatorin Astrid Prange de Oliveira auf der Podiumsdiskussion "Wem gehört die Welt?".
Laschet und Overbeck halten die Ein-Kind-Politik in China für verfehlt. Durch staatlich verordnete Familienplanung die Geburtenrate zu senken, sei "kein guter Weg", sagte Overbeck. "Der Mensch ist als Wesen frei geboren und soll auch frei entscheiden." Kritik äußerte Laschet daran, dass China in afrikanischen Ländern nach Bodenschätzen suche. "Das ist zum Teil Neokolonialismus."
"Zuwanderung ist willkommen"
Zur Entwicklung im Einwandererland Deutschland sagte Laschet, die Bundesrepublik habe die Bildung und Sprachförderung von Zugewanderten in den letzten 50 Jahren vernachlässigt. Der demografische Wandel erfordere eine bessere Integration von in Deutschland lebenden Bürgern mit Migrationshintergrund. "Man muss um die besten Köpfe der Welt werben", sagte Laschet. "Wir müssen ausstrahlen, dass uns Zuwanderung willkommen ist."
Overbeck hat keine Angst vor dem demografischen Wandel. Der Wandel sei etwas Positives und "nichts, was Angst macht". Der Ruhrbischof appellierte an die Politik, den Mittelstand im Ruhrgebiet zu fördern, weil nur er auf Dauer solche Arbeitsplätze einrichten könne, die jungen Menschen eine verlässliche Perspektive bieten. Zudem forderte er mehr Hilfsangebote für Familien. In Hinsicht auf die Anforderungen von Pflege und Kinderbetreuung sei es erforderlich, ein neues Sozialhilfesystem zu entwickeln – mit mehr Gemeinschaftssinn und ehrenamtliche Arbeit. "Es wird viele Leistungen geben, die nicht mehr bezahlt werden."
Von der Liebe zur Wirklichkeit
Overbeck sagte: "Wir müssen lernen, die Liebe zur Wirklichkeit zu entwickeln." Und dazu gehöre es auch, jene Herausforderungen anzunehmen, die ein Kinderwunsch in wirtschaftlich schwieriger Zeit darstelle. Eine Familie sei eben nicht aufzuwiegen mit Geld und Karriere. "Meine Damen und Herren, kriegen Sie Kinder!", ermunterte der Bischof die Jüngeren unter den rund 120 Zuhörern. Die Gesellschaft habe die Aufgabe, eine kinderfreundliche Atmosphäre zu schaffen, damit mehr Eheleute "Ja" zur Familie sagen.
Von Sascha Stienen