Josef Sauerborn spricht über seine Arbeit als Künstlerseelsorger

Der Geruch der Farbe

Veröffentlicht am 23.02.2016 um 13:30 Uhr – Von Johanna Heckeley – Lesedauer: 
Seelsorge

Köln ‐ Prälat Josef Sauerborn ist Künstlerseelsorger in Köln. In der Ausstellung "DaSein" erzählt er von seiner Aufgabe - und davon, wie es ist, bei den Besuchen in Künstlerateliers jedes Mal eine neue Welt zu betreten.

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Von Kindesbeinen an ist Josef Sauerborn mit der Kunst vertraut – sein Vater war Maler und Restaurator. "Immer hatte ich diesen Geruch vom Atelier in der Nase." Nicht nur das hat ihn geprägt: "Wirtschaftlich ist es bei uns so gewesen, wie es bei den Künstlern auch heute noch ist: Mal besser, mal schlechter." Der damalige Kölner Erzbischof Joachim, Kardinal Meisner, machte Sauerborn 2004 zum Künstlerseelsorger – ein Seelsorger, der sich besonders um die Belange und Nöte der Künstler kümmern soll. "Kardinal Meisner hat von meinem Hintergrund gewusst. Ich hätte da gar nicht dran gedacht."

Seine Haupttätigkeit: Den Dialog mit Künstlern suchen, bei Atelierbesuchen im Erzbistum Köln und manchmal auch darüber hinaus. "Jedes Atelier ist eine neue Welt, man kommt in ein ganz lebendiges Geschehen." Deswegen steht zu Beginn für ihn das stille Betrachten. "Man braucht erst einmal Zeit, sich umzusehen und alles aufzunehmen." Für Sauerborn immer auch eine Reise in die eigene Vergangenheit. "Der Geruch! Der Geruch von Farbe", sagt er und deutet mit dem Zeigefinger auf seine Nase.

Dorissa Lem: Walgesänge
Dorissa Lem: Urschrift
Dorissa Lem: Perugia
Dorissa Lem: Mandorla I-V
Galerie: 8 Bilder

Um ganz normale Dinge gehe es in den Gesprächen mit den Künstlern. "Ich unterhalte mich mit ihnen darüber, was sie machen." Jeder Künstler habe seinen Weg, seine Sprache, das mache das Gespräch nicht immer leicht. "Aber langweilig wird es nie." Dann gibt es  philosophisch-religiöse Gesprächsthemen oder gesellschaftspolitische, und manchmal geht es auch um die großen Sinnfragen. Im Idealfall werde es zu einem Gespräch, "wo man sehr dankbar der Zuhörende sein kann." Sauerborn besucht übrigens alle Künstler, die ihn einladen – unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer Religionszugehörigkeit.

Kein Dekor, kein Schnickschnack

Was ihn besonders beeindruckt: Wie konsequent, wie geradlinig – Sauerborns Finger zeichnen eine Linie in die Luft – die Räume der Künstler auf die Kunst ausgerichtet seien. "Bei den meisten ist es ganz entgegen dem verbreiteten Vorurteil sehr aufgeräumt." Kein Dekor, kein Schnickschnack. "Man findet viel der Kunst geschuldete Disziplin." Er nickt anerkennend. "Da habe ich immer das Gefühl: Da stimmt was."

Es ist wohl diese Radikalität des Künstlerlebens, diese "letztgültige Endscheidung" für die Kunst, die ihn jedes Mal wieder berührt: Nicht zuletzt wirtschaftlich "ein riskantes und gewagtes Leben", meint Sauerborn – und in der Grundsätzlichkeit der Entscheidung dem Leben des Priesters sehr ähnlich. Angehenden Priestern, die er als Spiritual des Priesterseminars und des Diakoneninstituts Köln begleitet, sage er das gerne: "Ihr seid nicht die Einzigen."

„Der Mensch darf nicht aufgehen in Ökonomie und technischer Effizienz. Er trägt in sich ein Geheimnis, das nicht verschüttet werden darf. Kunst und Kirche wollen diesen "Mehrwert" des Menschen frei legen und frei halten.“

—  Zitat: Künstler-Union-Köln

Eine Mittlerrolle hat Josef Sauerborn auch als Vorsitzender der Kunstkommission des Erzbistums inne; er berät Pfarrgemeinden, die an Künstler einen Auftrag vergeben haben. Der Kontakt zwischen Kirche und Künstlern allgemein sei eigentlich gut, meint er. "Schwieriger wird es, wenn es in den liturgischen Bereich geht" – nämlich dann, wenn von den Künstlern eine konkretere Darstellung, wie etwa bei der Gestaltung eines Kreuzganges, gefordert ist. "Dass das jemand glaubwürdig kann, ist nur bedingt verbreitet." Im Erzbistum Köln gebe es zum Beispiel eine "gute Landschaft von Kirchenfenstern. Aber ich denke, dass das nicht so schwer ist wie zum Beispiel eine Muttergottes zu gestalten." Ein solches Kunstwerk auszuführen, das heute standhalten könne, sei nicht leicht.

Genau das sei es ja, was Künstler wichtigmache: ihre besondere Zugangsweise zur Wirklichkeit. "Wir sind uniform durch Wissenschaft diszipliniert." Die Stimme des Seelsorgers klingt jetzt resolut. "Wenn der rein szientistische Blick alles ist, dann leben wir in einer verkümmerten Welt." Davor warnt auch die Künstler-Union-Köln auf ihrer Internetseite, die mit der Künstlerseelsorge eng verknüpft ist: "Der Mensch darf nicht aufgehen in Ökonomie und technischer Effizienz." Ein Beispiel für diesen Blick auf die Welt sieht Sauerborn in den Werken von Dorissa Lem, die viel mit Fundholz arbeitet. "Die Künstlerin hat einen sehr phantasievollen Zugang." Es gehe ihr um die Präsenz der Dinge, durch die sie eine eigene Daseinsberechtigung haben – oder, wie die britische Bildhauerin Barbara Hepworth sage: "Their being is their meaning."

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Video: © Johanna Heckeley

Was ihn an den Kunstwerken von Dorissa Lem fasziniert, erklärt der Künstlerseelsorger Josef Sauerborn in der Ausstellung "DaSein" im Kölner Maternushaus.

Ob er ein Kunstwerk habe, das ihm gut gefalle? "Ja, das mit dem Druckstock!", sagt Sauerborn. Schnell ist er an einer Wand mit fünf Bilderrahmen, dazwischen hängt senkrecht eine unscheinbare Planke, Fundholz, an den Enden ausgefranst, an der Wand. Verschlungene Spuren auf dem Holz erzählen von Insekten auf Nahrungssuche. "Bellingrother Druckstock" nennt es die Künstlerin, denn sie präsentiert nicht nur das Holz, sondern sie hat es zur Frottage verwendet, sodass seine Oberflächenstruktur durch Abrieb auf Papier sichtbar wurde. Fünf Frottagen mit dem Titel "Bellingrother Urschrift" muten mit rotem Stempel auf grauschwarzem Grund an wie altchinesische Drucke. "Das finde ich faszinierend an Dorissa Lem, das sie sich von dem, worauf sie stößt, inspirieren lässt und daraus eine Wirklichkeit macht, die ein neues Leben beginnt", meint er Künstlerseelsorger. Aus seinen Augen leuchtet Begeisterung.

Wie die Zukunft wird? "Die Kirche vergibt zur Zeit sehr wenig Aufträge", sagt Sauerborn und wirkt plötzlich betroffen. "Wir sind ja nicht mehr in der Expansion, sondern" – er zögert – "das Gegenteil." Dennoch: "Die zeitgenössische Kunst ist heute in der Gesellschaft präsenter als je zuvor. Es beschäftigen sich nicht mehr nur Experten mit ihr."

"Wissen Sie…", setzt er an. "Etwas ungewöhnlich, aber die Bibel ist ja auch Kunst. Wenn sie auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand wäre, wäre sie langweilig." Er grinst. So, als Komposition mit ihren Mythen, Gedichten und Gebeten sei sie "für jede Generation wieder interessant."

Er setzt seinen Hut auf und schon geht es wieder vorbei am blauen "Walgesänge" und raus, in den Regen. Der nächste Termin steht an.

Die Künstler-Union-Köln

Die Künstler-Union-Köln ist lose organisiert, sie hat kein Mitgliedsausweis und keine Mitgliedsbeiträge. Sie will beitragen zur fruchtbaren Begegnung der Künstler mit der Kirche, ihr können sich Künstler sowie Kunstinteressierte anschließen. Sie wird von einem Förderverein unterstützt und ist auf Spenden angewiesen. Drei bis vier Ausstellungen werden von der Union pro Jahr veranstaltet.
Von Johanna Heckeley