Zwischen Überfluss und Mangel

20 Jahre ist das her. Inzwischen gibt es über 900 Tafeln. 50.000 Ehrenamtliche engagieren sich dafür und helfen rund 1,5 Millionen Menschen, monatlich über die Runden zu kommen. Getragen werden die Tafeln von Wohlfahrtsverbänden und Bürgervereinen. Dazu kommt ein Bundesverband, der sich mit seinen sieben fest angestellten Mitarbeitern vor allem um die Logistik kümmert.
Bei zwei Fachtagungen zu den Themen Armut und Lebensverschwendungen am Donnerstag und Freitag in Berlin haben die Tafeln auch eine Bilanz gezogen. Zudem ist das Jubiläum beim 7. Deutschen Tafeltag am heutigen Samstag Thema.
Kritik aus der Sozialwissenschaft
Bei allem Lob gibt es seit einigen Jahren auch Kritik an der sogenannten Tafel-Bewegung. Hauptvorwurf ist, dass sich die Tafeln inzwischen von ihrem ursprünglichen Ansatz als Notlösung entfernt hätten und der Politik inzwischen als eine Art Alibi dienten.
Einer der größten Kritiker ist der Sozialwissenschaftler Stefan Selke. Ihm gehe es nicht um Ja oder Nein, betont der Wissenschaftler immer wieder. Die Tafeln, die sich um bedürftige Menschen kümmern, leisteten im Prinzip wertvolle Arbeit. Wirklich notwendig seien aber politische Lösungen wie eine armutsvermeidende Mindestsicherung, so Selke. Seiner Initiative "Kritisches Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln" schlossen sich auch einzelne Verbände von Caritas und Diakonie an.
Die Tafeln kontern: Natürlich müsse die Bewegung aufpassen, sich nicht vereinnahmen zu lassen - nicht von der Politik, nicht von Lebensmittelketten, so argumentieren sie. Und natürlich hätten sie im Laufe der Jahre Fehler gemacht und dazu gelernt.
Zugleich betont der Bundesverband, dass die Tafeln nie den Anspruch gehabt hätten eine Vollversorgung zu bieten, das sei eindeutig Aufgabe des Staates. Stattdessen wollten die Tafeln Menschen ermöglichen, sich vielleicht auch mal eine kulturelle Veranstaltung leisten zu können.
Sabine Werth gehörte vor 20 Jahren der Berliner Fraueninitiative an, die die US-amerikanische Idee nach Deutschland brachte. Die Tafel-Bewegung ist für die 55-jährige Berlinerin so etwas wie ein Lebenswerk. Und im Laufe der Jahre hat sie gelernt, mit Kritik gelassener umzugehen.
Kontakte wichtiger als Lebensmittel
In einem Interview sagte sie jüngst, viele Menschen, die die Tafeln aufsuchten, kämen nicht in erster Linie wegen der Lebensmittel. Für sie sei die Einrichtung auch aus einem anderen Grund zu einer wichtigen Anlaufstelle geworden.
Ihnen gehe es um die Kontakte, die sie in den Ausgabestellen hätten, meint Werth. Dort hätten sich wertvolle Begegnungen ergeben, seien Freundschaften entstanden. Sie habe es erlebt, so erzählt die Tafel-Gründerin, dass eine Frau nachmittags beim Abholen der Lebensmittel sagte: "Sie sind heute der erste Mensch, mit dem ich rede." Alleine dafür sei es doch toll, dass es die Tafeln gebe.
Von Birgit Wilke (KNA)