Seit acht Monaten leben "Lampedusa-Flüchtlinge" auf dem Gelände der St.-Pauli-Kirche in Hamburg

Im "Wartesaal der Hoffnung"

Veröffentlicht am 03.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Flüchtlinge

Hamburg ‐ Er ist nicht sehr groß, dafür gemütlich. Die Wände des weißen Bauwagens auf dem Gelände der Hamburger St.-Pauli-Kirche sind innen mit hellem Holz verkleidet, Bänke und ein Tisch laden zum Verweilen ein. "Embassy of Hope" haben die "Lampedusa-Flüchtlinge" ihren neuen, mit Spenden finanzierten und selbst ausgebauten "Aufenthaltsraum" auf Rädern getauft.

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Seit nunmehr acht Monaten leben die Flüchtlinge unter dem Schutz der Kirche und zahlreicher ehrenamtlicher Helfer. Im vergangenen Sommer und Herbst übernachteten rund 80 von ihnen noch auf dem Fußboden der St.-Pauli-Kirche von Pastor Sieghard Wilm. Inzwischen leben 52 in beheizten Containern rund um das Gotteshaus sowie zwei andere Kirchen - und dürfen bis Ende Mai bleiben.

Sie zählen zu jenen mutmaßlich 300 Flüchtlingen, die sich seit Anfang 2013 in Hamburg aufhalten und sich als Gruppe "Lampedusa in Hamburg" selbst organisiert haben. Laut Innenbehörde sind der Ausländerbehörde derzeit 85 Menschen namentlich bekannt. 67 hätten bis Ende Januar einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gestellt, 47 hätten eine Duldung erhalten.

Scholz: Keine dauerhafte Persepktive in Deutschland

Die vorwiegend aus den westafrikanischen Staaten Ghana, Mali und Elfenbeinküste stammenden Gastarbeiter waren während des Kriegs in Libyen auf die Mittelmeer-Insel Lampedusa geflüchtet. Nach fast zwei Jahren in Italien, das ihre grundsätzliche Schutzbedürftigkeit anerkannt hat, waren sie jedoch nach eigenen Angaben von den dortigen Behörden zum Gehen aufgefordert worden und nach Hamburg gekommen. Dort landeten sie nach dem Auslaufen des Winternotprogramms für Obdachlose zunächst auf der Straße.

Die Solidarität unter der Bevölkerung war von Anfang an groß. Vor allem unter dem Eindruck Hunderter ertrunkener Flüchtlinge vor der Insel Lampedusa gingen mehrfach tausende Menschen auf die Straße, um für ein kollektives Bleiberecht für die Hamburger Flüchtlinge zu demonstrieren. Der SPD-Senat lehnt dies jedoch strikt ab. Zum einen sieht Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) für die Flüchtlinge "keine dauerhafte Perspektive" in Deutschland, zum anderen könne nur jenen geholfen werden, die aussagten, wer sie seien und woher sie kommen.

Sieghard Wilm ist Pastor der evangelischen St.-Pauli-Kirche in Hamburg.
Bild: ©dpa/Christian Charisius

Sieghard Wilm ist Pastor der evangelischen St.-Pauli-Kirche in Hamburg.

Kritik am Hamburger Senat

Lange Zeit wollte die Kirche diesen vom Senat vorgegebenen Weg nicht mitgehen. Erst als er sein Angebot präzisierte, empfahl Pastor Wilm seinen Gästen, sich bei den Behörden zu melden - obwohl er sich weiter vom Senat irritiert zeigt. So sei es nicht sehr freundlich, dass die Kirche der Stadt erst über Monate ein humanitäres Problem abgenommen hat und dann der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt bezichtigt worden sei. Allein im Vorjahr habe die Kirche aus Spenden 150.000 Euro aufgebracht, nicht eingerechnet die rund 20.000 Arbeitsstunden ehrenamtlicher Helfer, sagt Wilm. Ein Vertreter des Senats habe sich nie blicken lassen.

Das Misstrauen in St. Pauli gegenüber der Hamburger Innenpolitik scheint nach wie vor groß. Pastor Wilm spricht auch mit Blick auf die jüngsten Krawalle und Gefahrengebiete von einem zerbrechlichen Frieden im Stadtteil. Der Fundamentalopposition der Flüchtlingsgruppe "Lampedusa in Hamburg" will er dennoch nicht folgen. "Uns liegt jede Form der Ideologie fern, die Menschen und die Verbesserung ihrer Situation stehen im Mittelpunkt", sagt Wilm.

Bleiberecht aus humanitären Gründen?

Die Gruppe, der nach eigenen Angaben heute 385 Menschen angehören, lehnt eine Einzelfallprüfung weiter vehement ab. Sie befürchtet, dass sie ihre Identitäten nur deshalb preisgeben sollen, damit ihre Abschiebung vorbereitet werden kann. Aus ihrer Sicht kommt nur eine Gruppenanerkennung nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes infrage. Sie seien Kriegsflüchtlinge, die nie die Absicht gehabt hätten, nach Europa zu kommen, heißt es auf ihrer Homepage.

Pastor Wilm sieht dagegen mehrere Lösungen für die Menschen: Ein Bleiberecht in Deutschland aus humanitären Gründen, eine freiwillige Rückkehr in ihre Heimatländer oder eine Rückkehr nach Italien, wenn dies mit Zusagen für ein Integrationsprogramm verbunden sei. Bis ein Weg gefunden ist, befinden sich die Flüchtlinge, wie Wilm sagt, im "Wartesaal der Hoffnung".

Von Markus Klemm (dpa)

Linktipp

Matrazen am Altar - Die St.Pauli-Kirche in Hamburg ist Notunterkunft für afrikanische Flüchtlinge

Stichwort: Hoffnung

Die Hoffnung ist die zweite der drei "göttlichen Tugenden", die der Apostel Paulus im 1. Brief an die Korinther nennt: "Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe" (1 Kor 13, 13). Hoffnung bezeichnet in diesem Zusammenhang eine positiv wertende Zukunftserwartung. Eine noch nicht eingetretene positive Möglichkeit wird für realisierbar gehalten. Prospektiv wirkt eine solche Idee motivierend und stimulierend.