Pocahontas-Biograph Lampe über die berühmte "Mutter der Nation"

"Die erste Protestantin Nordamerikas"

Veröffentlicht am 31.03.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Geschichte

Heidelberg ‐ Spätestens seit dem Disney-Film ist die Indianerprinzessin Pocahontas berühmt. Heute vor 400 Jahren wurde sie beerdigt. Ihr kurzes Leben und ihre Religion waren bestimmt von einer großen Liebesgeschichte.

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Als Teil der "Familiengeschichte" bezeichnet der Heidelberger Neutestamentler und Archäologe Peter Lampe seine Auseinandersetzung mit Pocahontas. Die legendäre "Indianerprinzessin", die vor 400 Jahre starb, stammt aus Virginia. Genauso wie Lampes Frau Margaret, die mit einem der ersten damaligen Siedler aus England, George Percy (1580-1632/33), verwandt ist. Lampe selbst lehrte von 1987 bis 1992 evangelische Theologie in Richmond, der Hauptstadt des heutigen US-Bundesstaates Virginia. 1995 erschien seine Biografie über Pocahontas. Ohne die Häuptlingstochter wäre die Geschichte der europäischen Landnahme in Nordamerika anders verlaufen, sagt Lampe im Interview.

Frage: Herr Lampe, vor 400 Jahren starb die indianische Häuptlingstochter Pocahontas - in England. Wie kam sie dorthin?

Lampe: Pocahontas stammte aus Virginia, von der nordamerikanischen Atlantikküste. Dort hatten die Engländer 1607 Jamestown gegründet. Pocahontas begleitete 1616 ihren Mann, den Engländer John Rolfe, in dessen Heimat, wo er dem Königshof einen Bericht über die neue Kolonie präsentieren sollte. Die Virginia Company finanzierte diese Reise...

Frage: ... bei der Pocahontas und ihr Gefolge, darunter ihr Schwager Uttamatamakin, für eine Menge Furore sorgten.

Lampe: Pocahontas wurde als Fürstlichkeit empfangen, unter ihrem christlichen Taufnamen Rebecca. Protokollarisch hatte sie, ebenso wie ihr Schwager, der als Botschafter von Pocahontas' Vater Powhatan auftrat, einen höheren Rang als ihr Ehemann, der nur als einfacher Gentleman geführt wurde.

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Frage: Wie kam sie mit diesem Zusammenprall der Kulturen zurecht?

Lampe: Pocahontas wuchs in ihrer Gemeinschaft als bevorzugte Häuptlingstochter auf, an der Spitze der Hierarchie. Insofern wird sie sich selbst als ebenbürtig mit den englischen Adeligen verstanden haben.

Frage: Aber?

Lampe: Auf der anderen Seite hatte die Virginia Company nicht genug Geld und brachte sie im Hotel "Belle Sauvage" unter.

Frage: "Die schöne Wilde" - ausgerechnet!

Lampe: Der Dichter Ben Johnson hat sich in einer seiner Komödien darüber lustig gemacht, dass man die Fürstin in einer Spelunke absteigen ließ.

Frage: Wie nahmen die englischen Zeitgenossen die Verbindung zwischen einem ihrer Landsleute und der Indianerin Pocahontas wahr?

Lampe: Natürlich hatte es so etwas schon vorher gegeben: Dass Siedler - auch aus Jamestown - sich in die Wigwams einheimischer Mädchen absetzten. Bei Pocahontas geschah das allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Sie wechselte als Einheimische in die englische Gesellschaft, nahm den christlichen Glauben an und heiratete kirchlich.

Frage: Was war ihr Motiv?

Lampe: Von Pocahontas selbst sind uns keine direkten Aussagen überliefert. Aber wir dürfen vermuten, dass dieser Schritt aus Liebe zu eben jenem John Rolfe geschah, den sie wenig später nach England begleitete. Für beide war das ein ungeheuerlicher Schritt.

Frage: Inwiefern?

Lampe: Da gab es viele Unsicherheiten: Ob die Indianer von Adam abstammten und eine Seele hätten. Ob es nicht Teufelswerk sei, sich mit solchen Menschen zusammenzutun. Die Leute zerrissen sich ganz schön das Maul in Jamestown. Manche fragten sich, was Rolfe, der den karibischen Tabak nach Virginia brachte, denn da wieder für Experimente machte - nicht nur mit seinen Pflanzen - sondern nun auch mit dieser Frau.

Frage: Wer nahm Partei für die ungewöhnliche Verbindung?

Lampe: Unter anderen der Vertreter der englischen Regierung in Jamestown, Sir Tomas Dale. Und Reverend Alexander Whitacker aus Henrico, einer weiteren Siedlung, wo Pocahontas in der christlichen Lehre unterwiesen wurde. Der anglikanische Geistliche machte aus ihr die erste einheimische Protestantin Nordamerikas. Sein Standpunkt lautete zusammengefasst: Die Indianer sind so klug wie wir und haben ein Herz, das sich dem Christentum öffnen kann.

Frage: Das klingt ziemlich tolerant.

Lampe: Auch die ersten Schwarzen, die im 17. Jahrhundert in Virginia ankamen, waren keine Sklaven. Sie gingen eine Art Leibeigenschaft auf Zeit ein. So wie die armen Schlucker aus England, die kein Geld für die Überfahrt nach Amerika hatten. Die Kosten dafür übernahmen reiche Mitpassagiere. Im Gegenzug verpflichteten sich deren Schuldner dazu, während einer bestimmten Dauer für ihre Kreditgeber zu arbeiten.

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Frage: Diese Form der Gleichberechtigung währte sowohl für Schwarze wie für Indianer nicht lang.

Lampe: Leider, und das ist letzten Endes auch das Traurige an dieser Geschichte von Pocahontas und der kulturellen Begegnung. Am Anfang verfolgten beide Seiten das gleiche Ziel: den jeweils anderen mit mehr oder weniger friedlichen Mitteln in die eigene Gemeinschaft aufzunehmen und von seinen Kenntnissen zu profitieren.

Frage: Die Indianer waren auf die Metallwerkzeuge und -waffen der Europäer aus. Was konnten die Europäer von den Indianern lernen?

Lampe: Die Einheimischen waren den Europäern in Sachen Fischfang, Ackerbau und Ernährung haushoch überlegen. Die Engländer staunten nicht schlecht, dass die Einheimischen vier Ernten im Jahr einbrachten. Oder dass man Bohnen und Mais zusammen anbauen kann und den Mais dabei als Stange für die Bohnenranken nutzt. Die Algonkin-Indianer waren im Schnitt 1,83 Meter groß, ein Beweis dafür, wie perfekt sie an die Lebensbedingungen angepasst waren und wie gesund und ausgewogen sie sich ernährten.

Frage: Die Europäer dagegen...

Lampe: ...haben sich anfangs durchfüttern lassen. Sonst wären sie jämmerlich eingegangen. Pocahontas übernahm vermutlich im Auftrag ihres Vaters immer wieder die Lieferung von Lebensmitteln.

Frage: Trotzdem scheiterte Häuptling Powhatan mit seinem Konzept, die Fremden zu integrieren.

Lampe: Bei anfangs wenigen hundert Siedlern aus Europa schien das durchaus möglich. Aber bei 4.000 - da ging's nicht mehr. Die Konflikte nahmen zu. Das hatte ironischerweise auch mit dem Tabak zu tun, den Pocahontas Ehemann einführte. Die Pflanze laugte die Böden schneller aus, und in ihrer Gier nach mehr Land drängten die Weißen die indianischen Stämme weiter zurück. Bis hin zu deren Vernichtung.

Frage: Worin besteht die historische Bedeutung von Pocahontas?

Lampe: Ohne diese Frau hätte die Kolonie nicht überleben können. So aber wurde Jamestown als erste dauerhafte überseeische Niederlassung der Engländer Ausgangspunkt der Kolonie Virginia und gilt damit als Keimzelle des britischen Empire.

Frage: In den USA wird die "Indianerprinzessin" auch als "Mutter der Nation" verehrt.

Lampe: Pocahontas steht mit ihrem kurzen Leben - sie starb mit Anfang 20 in England auf der Rückreise in ihre Heimat - für den Traum von einem friedlichen Miteinander der Kulturen. Dieses Thema treibt Amerika bis auf den heutigen Tag um. In ihrem Selbstverständnis funktionieren die Vereinigten Staaten von Amerika seit je her wie ein Schmelztiegel, der Menschen aus aller Herren Länder integriert. Unter dem aktuellen Präsidenten droht dieses Bild zu kippen.

Von Joachim Heinz (KNA)