Anschläge auf den Stellvertreter Christi

Päpste im Fadenkreuz

Veröffentlicht am 11.05.2017 um 00:01 Uhr – Von Tobias Glenz – Lesedauer: 
Attentat auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 durch den türkischen Terroristen Mehmet Ali Agca. Der Papst sinkt nach den Schüssen im Papamobil zusammen.
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Kriminalität

Bonn ‐ Am 13. Mai jährt sich das Attentat auf Johannes Paul II. im Jahr 1981. Kein Ausnahmefall: In der Geschichte trachteten Gegner – ob weltlich oder innerkirchlich – den Päpsten immer wieder nach dem Leben.

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Verschwörungen, Attentate, Entführungen, Vergiftungen: Auch der Stellvertreter Christi ist und war nie davor gefeit, Opfer eines Anschlags oder einer Intrige zu werden. Die Welt reagierte schockiert, als der türkische Rechtsextremist Mehmet Ali Agca am 13. Mai 1981 während einer Audienz auf Johannes Paul II. schoss. Der Papst überlebte damals nur knapp. "Klassische Attentate wie 1981 sind zwar eher selten", sagt Historiker Volker Reinhardt von der Universität Fribourg in der Schweiz. Doch habe es in der Geschichte immer wieder den Fall gegeben, dass ein Pontifex mit Mitteln der Gewalt aus dem Amt entfernt werden sollte. Besonders im Mittelalter häufen sich diese Ereignisse. Und fast immer ging es um eines: die Macht.

In den ersten drei Jahrhunderten starben die Bischöfe von Rom nicht selten allein wegen ihres Glaubens. Spätestens nachdem das Christentum im Römischen Reich 380 zur Staatsreligion erhoben worden war, gehörte die Option eines solchen Märtyrertodes jedoch der Vergangenheit an. Aber das Leben der Päpste war seither mitnichten sicherer geworden.

Kaiser gegen Papst

Papst oder Kaiser – wer besitzt die größere Macht? Im Fall von Papst Gregor II. (715 bis 731) ging es um genau diese Frage. Gregor ist der Nachwelt wohl vor allem in Erinnerung geblieben, weil er den heiligen Bonifatius zum Bischof weihte und zur Missionierung nach Germanien sandte. Doch der Papst spielte auch eine entscheidende Rolle im sogenannten "Byzantinischen Bilderstreit".

"Der byzantinische Kaiser Leon III. verbot 726 in seinem Reich die Verehrung religiöser Bilder als Götzendienst und ließ sie vernichten", erläutert Reinhardt, der sich für sein kürzlich erschienenes Buch "Pontifex" intensiv mit 2.000 Jahren Papstgeschichte auseinandergesetzt hat. Gregor verdammte den dadurch heraufbeschworenen Bildersturm als ketzerisch und verlangte von den Gläubigen, den kaiserlichen Bestimmungen nicht Folge zu leisten. "Der Konflikt spitzte sich so weit zu, dass Leon zwei Anschläge gegen Papst Gregor anordnete", so Reinhardt. Die genauen Umstände sind nicht bezeugt, nur so viel: Beide Attentatsversuche scheiterten. Ein göttliches Zeichen für die Legitimität der Bilderverehrung? Gregor II. starb im Februar 731 eines natürlichen Todes, der Bilderstreit endete letztlich zugunsten der Ikonenverehrer.

Papst Leo III. krönt an Weihnachten im Jahr 800 Karl den Großen zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs.
Bild: ©picture alliance/CPA Media

Papst Leo III. krönt an Weihnachten im Jahr 800 Karl den Großen zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs.

Zur Vorgeschichte der Kaiserkrönung Karls des Großen gehört der Anschlag auf Papst Leo III. (795 bis 816) im Jahr 799. Gegner Leos innerhalb der römischen Kurie ließen ihn während einer Prozession auf dem Weg vom Lateran zur Petersbasilika überfallen. Die Bewaffneten versuchten, ihm durch Blenden das Augenlicht zu nehmen und seine Zunge herauszuschneiden. Doch der Versuch, Leo auf diese Weise amtsunfähig zu machen, scheiterte.

Zwar verletzt, doch weder blind noch stumm, konnte der Papst vor den Angreifern nach Paderborn zu König Karl fliehen. Den Frankenherrscher hatte Leo bereits bei seinem Amtsantritt symbolisch zum Schutzherrn Roms und seines Pontifikats erklärt. Mit der Kaiserkrönung Karls an Weihnachten des Jahres 800 hatte der Papst dann endgültig einen weltlichen Herrscher an der Seite, der seine Schutz- und Schirmfunktion auch in Rom ausüben musste. "Die Opposition gegen Leo war damit gebrochen", sagt Reinhardt; der Papst starb im Jahr 816 – ohne Einfluss von außen.

Anschlag bei Modena

Für das kurze Pontifikat Hadrians III. (884 bis 885) sind fast ausschließlich Gewalttaten überliefert. Der Papst bekämpfte die Anhänger seines Vorgängers Marinus I. auf brutale Weise: Bereits kurz nach seinem Amtsantritt wurde ein hoher Kleriker im Petersdom ermordet; einen anderen, der in der Gunst von Marinus gestanden hatte, ließ Hadrian blenden; eine römische Aristokratin ließ er geißeln und nackt durch die Straßen Roms treiben. Einer Einladung des Frankenkaisers Karls III. folgend, machte sich Hadrian im Jahr 885 auf den Weg nach Deutschland. Auf Höhe der norditalienischen Stadt Modena wurde er im September 885 ermordet; möglicherweise vom Ehemann der gedemütigten Adeligen aus Rom. Trotz seines blutigen Pontifikats wird Hadrian III. in der Kirche als Heiliger verehrt  – "vor allem aber wohl wegen seines gewaltsamen Endes", betont Reinhardt, "weitere 'Verdienste' dieses Papstes sind in den Quellen nicht zu erkennen".

Nur knappe zwei Monate war Leo V. (903) im Amt, weswegen sein Pontifikat auch weitestgehend im Dunkeln liegt. Zu seinem Tod führten innerkirchliche Intrigen. Im September 903 ließ ihn Kardinalpriester Christophorus einkerkern, der sich daraufhin selbst zum Papst erklärte. Ermordet wurde Leo hingegen erst von Sergius III., der Christophorus nach kurzer Zeit wieder stürzte und diesen ebenfalls umbrachte. Christophorus wird heute offiziell als Gegenpapst gelistet, während Sergius als eigentlicher Nachfolger von Leo V. betrachtet wird.

Volker Reinhardt ist Professor für die Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg in der Schweiz.
Bild: ©Privat

Volker Reinhardt ist Professor für die Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg in der Schweiz.

Papst Johannes X. (914 bis 928) galt als Günstling des mächtigen römischen Adels. "Er nahm aber im Laufe seines Pontifikats wenig Rücksicht auf die Interessen der Aristokraten", so Reinhardt. Johannes war an zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen beteiligt und schmiedete eigene Bündnisse. Durch eine Allianz mit König Hugo von Italien wollte der Papst seine Unabhängigkeit von den römischen Adeligen weiter ausbauen. "Das brachte sprichwörtlich das Fass zum Überlaufen", sagt Reinhardt. Zunächst ermordete die römische Adelspartei gegen Ende des Jahres 927 den Bruder des Papstes, Pietro. Im Mai oder Juni 928 wurde Johannes selbst in das Gefängnis der Engelsburg geworfen und nach einem Jahr dort ermordet.

Gleich zwei Papstmorde gingen auf das Konto von "Bonifaz VII.", der lange Zeit als legitimer Pontifex galt, heute aber offiziell als Gegenpapst angesehen wird. Als ersten ließ er den – auch vom Adel verhassten – Papst Benedikt VI. (973 bis 974) in der Engelsburg einkerkern und erwürgen. "Weil sich Bonifaz an der Kirchenspitze nicht durchsetzen konnte, flüchtete er zunächst nach Byzanz", erklärt Reinhardt. Erst beim zweiten Anlauf, zehn Jahre später, hatte er Erfolg: Er ließ den neuen Pontifex Johannes XIV. (983 bis 984) festnehmen und im Kerker verhungern, nach anderen Quellen vergiften. Bonifaz bestieg den Stuhl Petri, doch sein (Gegen-)Pontifikat währte nur kurz: "Im Juli 985 starb er und kam damit Plänen für einen Mordanschlag gegen seine eigene Person zuvor", sagt Reinhardt.

Streit um die Kirchenhoheit

Der französische König Philipp "der Schöne" entsandte im Jahr 1303 ein Entführungskommando, um Papst Bonifaz VIII. (1294 bis 1303) zu ergreifen. König und Papst stritten um die Kirchenhoheit: "Philipp betrachtete die französischen Kleriker als seine Untertanen und wollte sie als solche besteuern", erklärt Reinhardt, "Bonifaz beharrte auf den Sonderrechten der Geistlichkeit." Der König wollte deshalb den Papst nach Frankreich verschleppen und ihm dort den Prozess machen. Bei Anagni südlich von Rom, wo sich Bonifaz zu dem Zeitpunkt aufhielt, wurde er von der Greiftruppe gefasst und gefangengesetzt. Zwar konnten die Einwohner Anagnis den Papst befreien, doch er starb kurze Zeit später, am 11. Oktober 1303, in Rom, "nach Ansicht der Zeitgenossen aus Wut über die erlittene Demütigung der Gefangennahme", so Reinhardt.

Der römische Stadtadelige Stefano Porcaro beabsichtigte Mitte des 15. Jahrhunderts, die Macht der seiner Ansicht nach dekadenten Päpste und Kardinäle in Rom zu brechen. Aus seiner Ablehnung gegen die Geistlichkeit machte er auch öffentlich keinen Hehl, sodass Papst Nikolaus V. (1447 bis 1455) Porcaro nach Bologna verbannte. "Heimlich kehrte er im Januar 1453 an den Tiber zurück und organisierte eine republikanische Verschwörung gegen Nikolaus", so Reinhardt – "doch das Komplott flog auf." Porcaro, der das Christentum nicht habe abschaffen, sondern der Kirche ihre "alte sittliche Strahlkraft" zurückgeben wollen, wurde mit mehreren Mitverschwörern hingerichtet.

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Der selige Papst Paul VI. entging 1970 nur knapp einer Messerattacke.

Eine weitere Verschwörung richtete sich gegen Papst Leo X. (1513 bis 1521) im Frühjahr 1517: Einige junge Kardinäle hatten sich ihr Amt mit einem Großteil ihres Familienbesitzes erkauft, waren jedoch enttäuscht von der geringen (kirchen-)politischen Einflussnahme, die ihnen Leo in ihrer neuen Stellung gewährte. Deshalb beschlossen sie, den Papst, der aus der Familie Medici stammte, mit vergifteter Medizin zu beseitigen. "Der Anschlag gegen Leo schlug aber fehl, weil er sich der Behandlung durch den mordbereiten Mediziner widersetzte", sagt Reinhardt. Kurz darauf wurde die Verschwörung aufgedeckt und ihr Kopf, Kardinal Alfonso Petrucci aus Siena, vom päpstlichen Henker in der Engelsburg erwürgt.

Erfüllte Prophezeiung oder Zufall?

Mit einer ganz weltlichen Bedrohung sah sich Papst Clemens VII. (1523 bis 1534) konfrontiert: Kaiserliche Söldner aus Deutschland und Spanien zogen im Frühjahr 1527 nach Italien mit dem Ziel, Rom zu erobern. Der römisch-deutsche Kaiser Karl V. reagierte mit diesem militärischen Aufgebot auch auf die Politik Clemens', die sich gegen deutsche Machtansprüche in Italien richtete. Am 6. Mai 1527 eroberten die Angreifer die Ewige Stadt. Clemens konnte im letzten Augenblick der Gefangennahme entgehen, indem er unter dem Schutz der Schweizergarde über den "Passetto" – den Mauerkorridor – vom Vatikan in die Engelsburg floh. Zwar war die Festung für die Angreifer uneinnehmbar, doch der Papst musste von dort aus ohnmächtig dem "Sacco di Roma" – der Plünderung Roms durch die Angreifer – zusehen. Nur durch Gebietsabtretungen und die Zahlung von Lösegeld konnte Clemens letztlich die Belagerung beenden und einer Strafe entgehen.

Der letzte Fall ist laut Reinhardt der mysteriöseste und liegt bis heute im Dunkeln: Papst Clemens XIV. (1769 bis 1774) löste im Juli 1773 den Jesuitenorden auf Druck Frankreichs und der Kolonialmächte Spanien und Portugal auf. Die Societas Jesu habe gegen ihre eigenen Statuten verstoßen und damit zum Nachteil der Kirche gehandelt, lautete die offizielle Begründung. Kurz darauf begannen Gerüchte zu kursieren: Clemens, der dem Franziskanerorden angehörte, werde genauso lange regieren wie der letzte Franziskanerpapst vor ihm, Sixtus V., Ende des 16. Jahrhunderts. "Wer die Gerüchte gestreut hat, ist unbekannt", sagt Reinhardt. Clemens habe nicht nur unter den Jesuiten, sondern auch in der Kurie zahlreiche Feinde gehabt. Tatsächlich starb er wie Sixtus nach einem Pontifikat von fünf Jahren, vier Monaten und drei Tagen. Zufall oder hat jemand nachgeholfen? Reinhardt: "Wahrscheinlichkeits-Mathematiker tippen mit Sicherheit auf Gift."

Neben diesen sicher bezeugten Anschlägen existieren in der Papstgeschichte ähnliche Fälle, die jedoch nicht zweifelsfrei belegt werden können. "Papstmorde durch Gift werden im 10. und 11. Jahrhundert öfter vermutet, sind jedoch in Anbetracht der bescheidenen medizinischen Kenntnisse der Zeit selten sicher zu belegen", betont Reinhardt. Nach dem Sacco di Roma beziehungsweise den Vorfällen um Clemens XIV. habe es bis ins 20. Jahrhundert keinen direkten Angriff auf das Leben des Stellvertreters Christi mehr gegeben. Wenig bekannt ist, dass Paul VI. 1970 auf einer Auslandsreise in der philippinischen Hauptstadt Manila knapp dem Messerattentat durch einen geistesgestörten Mann entging. Der Angreifer konnte überwältigt und festgenommen werden; der Papst wurde bei dem Vorfall nur leicht verletzt. "Mordanschläge auf Päpste kommen in der Neuzeit quasi nicht mehr vor", resümiert Reinhardt. "Auch deshalb und weil das beinahe tödliche Attentat auf Johannes Paul II. zusätzlich auf Film festgehalten wurde, war der Schock von 1981 wohl so groß."

Von Tobias Glenz

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