Stark - aber traumatisiert

Nichts deutet beim ersten Blick auf diese entspannte Szene darauf hin, dass hier Menschen zusammensitzen, die in ihrem Leben unvorstellbare Grausamkeiten erfahren haben. Dass sie – traumatisiert und an Leib und an Seele tief verletzt - im Kölner Therapiezentrum für Folteropfer mühsam einen Weg zurück ins Leben suchen. Da ist Nina, der man sowohl die östliche als auch die ländliche Herkunft ansieht. Sie gehört zur armenischen Minderheit, ein von Russen und Türken bedrängtes Volk. In ihrer Exilheimat war ihre Familie permanent Gewalt und Hass ausgesetzt.
Starr vor Angst
"Man hat meinen Mann oft verprügelt", berichtet sie. "Irgendwann hieß es dann, wir müssen unser Heimatdorf räumen". Ihre Augen erzählen mehr, als sie ausspricht. Die Großfamilie strandet nach und nach im Raum Köln, doch die Zusammenführung gelingt nicht, so dass die Großmutter an einem anderen Ort angesiedelt wird als die Kinder. Auch der Aufenthaltsstatus ist nicht gesichert. Angst vor der Abschiebung ist Ninas täglicher Begleiter und macht es schwer, das Vergangene aufzuarbeiten und ein neues Leben zu beginnen.
Die Psychotherapeutin Brigitte Brand-Wilhelmy ist die Gründerin und Leiterin des Zentrums.
"Die Menschen, die hier ankommen, sind nicht mehr sie selbst. Sie schlafen nicht, sind von Ängsten geplagt und zucken beim geringsten Geräusch abwehrend zusammen", beschreibt die Gründerin des Therapiezentrums, Brigitte Brand-Wilhelmy, das Ausmaß der Traumatisierung. Sie seien starr vor Angst, wie die Frau, die nach ihrer Ankunft in Deutschland nur bewegungslos in ihrem Bett lag und auf nichts mehr reagierte. "Diese Frauen sind häufig vergewaltigt worden - sie haben dem Schrecken ihrer Erlebnisse nichts mehr entgegen zu setzen."
Starke Persönlichkeiten
"Ein solches Trauma ist wie eine Mauer, hinter die sich ein Mensch flüchtet, wenn Erlebnisse seine Lebenskraft überschreiten. Er stürzt in einen Dämmerzustand in Psychosen oder Depression", heißt es im Info-Flyer des Zentrums. Und doch seien da so viele Ressourcen, sagt die Psychotherapeutin beeindruckt. Wer die Flucht bis nach Deutschland geschafft habe, sei eine starke und intelligente Persönlichkeit und brauche oft gar nicht so viel, um wieder ein selbständiges Leben führen zu können.
Die Sozialarbeiter und Therapeuten helfen Flüchtlingen in Deutschland Fuß zu fassen. Sie kommen aus Somalia, Eritrea, Sri Lanka, dem Iran und dem Irak, aus der Türkei, aus Russland und Afghanistan. "Gerade aus Afghanistan kommen viele Jungen alleine nach Deutschland. Sie waren meist ein ganzes Jahr auf der Flucht und haben so viel Schlimmes erlebt, dass sie oft akut selbstmordgefährdet sind", sagt Brand-Wilhelmy. Sie und ihre Mitarbeiter versuchen, den Gestrandeten innere und äußere Sicherheit wiederzugeben mittels Therapien, aber auch durch Hilfen bei bürokratischen Schwierigkeiten und bei der Bewältigung des Alltags in einem unbekannten Land.
Die Kursleiterin und Psychotherapeutin Hamidiye Ünal (l.) berät Teilnehmerin Zive beim Knüpfen von Freundschaftsbändern.
Auch die gestalttherapeutische "Perlengruppe" im Kunstraum des Zentrums knüpft gegen Traumata und Depressionen an. "Ganz bewusst fertigen wir Stücke, die kompliziert zu erstellen sind, weil die Frauen sich dann auf das Arbeiten fokussieren müssen und sich vom düsteren Gedankenkarussell ablenken", erklärt Kursleiterin Hamidiye Ünal.
Therapiegruppen entspannen die Traumatisierten
Petek ist vor zehn Jahren aus der Türkei geflohen. Als junge Journalistin, die sich gegen das Regime äußerte, erlebte sie Jahre der Haft, Folter und Bedrohung, bevor sie mit Schleppern das Land verlassen konnte. Heute sitzt sie in der vertrauten Runde der Perlengruppe und sagt: "Ich arbeite gerne an diesen Schmuckstücken. Wenn ich eine Kette oder ein Armband geschaffen habe, zeigen sie mir, dass das Leben auch Schönheit hat." Denn genau das hat sie in düsteren Stunden vergessen.
"Das Beste für mich ist zu sehen, wie die Frauen hier alle zwei Wochen ankommen, gebeugt und beladen, und wie sie nach zwei Stunden in diesem vertrauten Rahmen gelöst und entspannt nach Hause gehen", sagt Psychotherapeutin Ünal. Zwei Frauen, einer Kursteilnehmerin aus Aserbaidschan und ihrer Tochter, die nur ausnahmsweise dabei ist, wird das heute wohl nicht gelingen: Der Vater ist gerade abgeschoben worden.
"40 Prozent der Patienten hier sind nur geduldet", erklärt Brand-Wilhelmy. Das heißt, sie können jederzeit in ihre persönliche Hölle zurückgeschickt werden. Eine Situation, die nur schwer zu ertragen ist. Und schlimmer noch: "Ab Februar können wir wahrscheinlich genau diese Menschen, die uns am dringendsten brauchen, nicht mehr weiterbehandeln", klagt sie. Dann ändert sich der Finanzierungsrahmen. An die Stelle des Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF) tritt der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF), der geduldete Flüchtlinge nicht mehr einbeziehen wird.
Kampf um Finanzierungsmittel
Ein Freundschaftsbändchen nimmt Gestalt an.
Das Therapiezentrum für Folteropfer gibt es seit mehr als 30 Jahren, und immer war es ein Kampf um die Mittel, die Existenz. "Ich bin Psychotherapeutin und statt den Menschen zu helfen, die mich dringend brauchen, sitze ich hier und schreibe Anträge, Darstellungen und Gegendarstellungen", sagt Brand-Wilhelmy frustriert. Der Antrag auf eine weitere dringend benötigte Therapeutenstelle? Abgelehnt! "Wenn ich die lapidare Begründung lese, könnte ich mir die Haare raufen."
Aber es gibt auch gute Beispiele. "Wir können jetzt Reittherapie für Romakinder anbieten", freut sie sich über eine gelungene Zusammenarbeit. Begeistert ist sie auch über die positive Resonanz niedergelassener Therapeuten, sich an der Behandlung von Patienten zu beteiligen. Und dann sind da die Ehrenamtlichen aus den Pfarreien. "Wir schulen sie im Umgang mit den Flüchtlingen, es gibt so viele Möglichkeiten ihnen zu helfen, ob mit Nachhilfe oder durch Freizeitaktivitäten." Noch nie hätten sich so viele Freiwillige bei ihnen gemeldet, wie im Moment.
"Deutschland ist eine große Chance für uns"
Solche Erlebnisse machen Mut, sich weiter zu engagieren. Und auch Sätze, wie der von Suzan aus dem Iran, die neu in der Perlengruppe ist: "Dieses Land ist gut für mich", sagt sie und spielt nachdenklich mit der Lesebrille in ihren Händen. "Wenn man auf Hilfe angewiesen ist - und ich bin wirklich darauf angewiesen - dann bekommt man sie auch", sagt die Frau mit dem wachen Blick, die die deutschen Philosophen so liebt.
Vor einem Jahr fand die Flucht der etwa 40-jährigen und ihrer kleinen Familie in einem deutschen Flüchtlingsheim ein Ende. Dort lebte sie mit Mann und Kind auf engstem Raum, mit nur einem schmalen Bett, in dem sie zu Dritt schliefen: "Irgendeiner ist immer rausgefallen." Die Zimmerdecke war so niedrig, dass sie nicht aufrecht stehen konnten. Die Gemeinschaftsküche lag drei Stockwerke unter ihnen und die Atmosphäre schwer zu ertragen: "Nachts haben wir die Tür verriegelt. Ich hatte Angst, dass wir sterben."
Und trotzdem sagt sie: "Seit ich hier bin, habe ich nur gute Menschen kennengelernt. Hier in Deutschland zu sein, ist eine große Chance für uns."
Von Janina Mogendorf