Erzbischof Nona über die Situation der Christen im Irak

"Mossul ist befreit, aber der Kampf geht weiter"

Veröffentlicht am 06.08.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
"Mossul ist befreit, aber der Kampf geht weiter"
Bild: © dpa
Irak

Sydney ‐ Der IS-Angriff am 6. August 2014 hat sich in das Gedächtnis der irakischen Christen eingebrannt. Einer von ihnen war der damalige Erzbischof von Mossul, Amil Shamaaoun Nona. Ein Interview.

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Der 6. August 2014 hat sich unauslöschlich in das Gedächtnis der Christen der irakischen Ninive-Ebene eingebrannt. In jener Nacht rückten die Terroreinheiten des "Islamischen Staates" unaufhaltsam vor. Amil Shamaaoun Nona war damals der chaldäisch-katholische Erzbischof von Mossul. Heute wirkt er von Australien aus in den Diasporagemeinden Ozeaniens, die viele irakische Flüchtlinge aufgenommen haben. Seine frühere Bischofsstadt Mossul ist seit einigen Wochen vom IS befreit. Doch der Erzbischof sieht noch einen anderen Kampf auf die dortige Bevölkerung zukommen

Frage: Herr Erzbischof, was waren Ihre ersten Gefühle, als Sie von der Befreiung Mossuls hörten?

Nona: Es klingt vielleicht seltsam, aber als ich die Nachricht hörte, kamen die Erinnerungen an unseren letzten Tag in Mossul wieder hoch, als wir innerhalb weniger Stunden fliehen mussten und der Kampflärm des IS immer näher rückte. Als ich jetzt von der Befreiung erfuhr, musste ich unablässig an unsere Leute denken: Wo sind sie jetzt? Was ist in den letzten drei Jahren mit unseren Kirchen und dem christlichen Erbe Mossuls geschehen?

Frage: Es ist jetzt drei Jahre her, dass Sie und zehntausende Christen aus Mossul fliehen mussten. Sicher eine traumatische Erinnerung...

Nona: Die Nacht vom 6. August 2014 war der furchtbarste Moment in meinem Leben. Ich war so voller Angst um meine Gemeinde, vor allem um die Mädchen aus dem Waisenhaus unserer Diözese und die vielen Mütter, die allein mit ihren Kindern lebten. Ich versuchte alles, um ihnen die Flucht zu ermöglichen. Gott sei Dank haben wir es geschafft, die Mädchen und die Mütter aus der Stadt herauszubringen. Ich war sehr glücklich, als ich erfuhr, dass sie in Sicherheit sind.

Frage: Was denken Sie: Ist Mossul nach drei Jahren IS-Herrschaft wirklich befreit? Viele Beobachter sagen: Selbst wenn jetzt die Kämpfer weg sind – die Indoktrination in den Köpfen der Einwohner bleibt.

Nona: Man kann nicht einfach sagen, der IS sei besiegt. Der IS ist nicht nur eine Kampftruppe, sondern eine Ideologie. Das führt zu einer Gesellschaft, die denkt, sie habe das Recht zu tun, was sie will. Denn sie sind der Überzeugung, ihr Glaube sei der einzig richtige und müsse deshalb den anderen aufgezwungen werden. Mossul ist zwar militärisch befreit, aber der Kampf geht weiter: Es gilt, die Wurzel dieser brutalen und unmenschlichen Denk- und Handlungsweise zu besiegen. Die Christen können nicht einfach ein normales Leben wiederaufnehmen, wenn die Gesellschaft, die eine Ideologie wie den IS hervorgebracht hat, heute noch dieselbe ist wie vor drei Jahren.

Bild: ©Kirche in Not

Emil Shimoun Nona ist Erzbischof der chaldäisch-katholischen Eparchie Sankt Thomas der Apostel in Sydney.

Frage: Glauben Sie, dass die Christen nach Mossul zurückkehren werden?

Nona: Es ist noch zu früh, um das sagen zu können. Erst muss es einen Überblick geben, wie massiv die Zerstörungen sind. Aber ich beobachte mit Freude, dass in den Ortschaften der Ninive-Ebene der Wiederaufbau im Gange ist und immer mehr Familien zurückkommen. "Kirche in Not" ist mit vollem Einsatz dabei. Und auch wir von der chaldäischen Diözese in Australien versuchen, unseren irakischen Geschwistern so gut es geht zu helfen.

Frage: Wie sehen Sie die Zukunft der Christen im Irak?

Nona: Das ist schwer zu sagen. Es gibt so viele Belastungen, traumatische Erinnerungen und Not. Aber ich hoffe und bete, dass die Christen im Irak bleiben und sich wieder eine gute Zukunft aufbauen können.

Frage: Das wird auch sehr von der Solidarität aus dem Ausland abhängen...

Nona: Ja, das ist meine Botschaft, vor allem an die Christen: Die Menschen im Irak sind Ihre Brüder und Schwestern, die in extremer Not sind. Also helfen Sie Ihnen bitte dabei, dass sie ihre Heimat wiederaufbauen können. Seit 2000 Jahren leben Christen im Irak. Es besteht die Gefahr, dass sie jetzt alles verlieren, wenn sie keine Unterstützung bekommen. Helfen Sie Ihnen, zu bleiben und als Christen in diesem Land zu leben!

Von Maria Lozano

Hinweis

Das Interview führte Maria Lozano von der Päpstlichen Stiftung "Kirche in Not".