Mit 24 Gedichten durch den Advent

"Gelb und braun, runzlig, punzlig anzuschau'n."

Veröffentlicht am 06.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Dossier: Adventskalender

Bonn ‐ "Holler boller Rumpelsack" ist ein beliebtes Kindergedicht zu Nikolaus. Doch der Autor Albert Sergel hat nicht nur Harmloses geschrieben – wie soll man damit umgehen, wenn der Kinderautor ein Nazi ist?

  • Teilen:

"Holler boller Rumpelsack" von Albert Sergel

Holler boller Rumpelsack,
Niklaus trägt ihn huckepack.
Weihnachtsnüsse gelb und braun,
runzlig punzlig anzuschaun.

Knackt die Schale, springt der Kern,
Weihnachtsnüsse ess ich gern.
Komm bald wieder in dies Haus
guter alter Nikolaus.

Umgefallene Papiertüte aus der Nüsse quellen unterm Weihnachtsbaum
Bild: ©marog-pixcells/Fotolia.com

Apfel, Nuss und Mandelkern kommen in viele alten Weihnachtsliedern vor.

Wenn der Kinderautor Nazi ist

Eigentlich sollte das Gedicht ein Witz sein. Die Kollegen werfen hochanständige Literaten in den Raum, als es um den Lyrik-Adventskalender geht: Eichendorff! Brecht! Heine! Storm! Ich muss nicht lange überlegen: "Holler boller Rumpelsack" ist das erste Gedicht, das mir einfällt. Ein Kindergedicht, kurz, einfach, anspruchslos in Form und Inhalt – und deshalb unglaublich eingängig. Keine hohe Literatur, aber ohne Zweifel ein beliebtes  Adventsgedicht. Eine streng formale Analyse, in der vierhebige Trochäen auf maximal-trivialen Inhalt stoßen: Das wäre doch witzig! Aber es kommt anders.

Hat "Holler boller Rumpelsack" überhaupt einen Autor? Oder gehört es zu den urheberlosen Reimen, die immer wieder weitererzählt werden, mal diesem, mal jenem, mal gar keinem Autor zugeschrieben? Es stellt sich heraus: Es hat einen Autor. Albert Sergel, 1876 in Peine geboren, 1946 in Berlin gestorben. Bekannt, wenn überhaupt, für seine Kinder- und Weihnachtsgedichte. Aber auch: Für "Eiserne Saat", eine 1915 erschienene Sammlung von Kriegsgedichten. Und: "Hitler-Frühling 1933", in dem er, alles andere als ein Märzgefallener, schon früh "Lieder um den Führer" dichtete.

Über den Nikolaus hat Sergel wenig Substantielles zu sagen: Er trägt "huckepack" einen "Rumpelsack", darin: Weihnachtsnüsse. "Komm bald wieder!", ruft das lyrische Ich dem Heiligen zu, der hier ganz reduziert wird auf die Geschenke und Weihnachtsstimmung.

Zu Hitler fällt ihm mehr ein. "Verschwunden ist der Spuk der Nacht –/Sieg-Heil! Ganz Deutschand ist erwacht", heißt es in seiner Ode "An den Führer". Wie "Holler boller Rumpelsack": Einfache Form, kurz, eingängig. Nur hört man hier zwischen den Zeilen nicht die Nüsse im Sack rumpeln, sondern die Schaftstiefel der SS marschieren: "Nun führ uns, Führer, weiter!/Und hinter dir dein treues Heer/S.A. – S.S. – und um sie her/wir alle deine Streiter!"

Wie geht das zusammen? Der Autor von harmlosen Kindergedichten, zugleich ein Nazi-Ideologe. Hier der Nikolaus, da der "Führer". Zwei naive, gefühlige Gedichte, einmal zum Guten, einmal zum Bösen. Ist dann auch "Holler boller Rumpelsack" belastet? Zu einfach ist der Text, als dass da zwischen den Zeilen Propaganda Platz hätte; es ist tatsächlich so heimelig und gemütlich wie es klingt. Aber vielleicht ist das auch das eigentlich Erschreckende, dass ein so harmloses, heute noch in jedem Kindergarten völlig unauffälliges Nikolausgedicht und die Verherrlichung einer menschenverachtenden Ideologie so geschmeidig in einer Person zusammengehen konnten.

Von Felix Neumann