Premiere: Die erste Großpfarrei von Dresden-Meißen

Am morgigen Sonntag beginnt für die Katholiken in Leutersdorf, Ebersbach-Neugersdorf und Oppach in der Oberlausitz eine neue Zeitrechnung: Drei alte Pfarreien hören auf zu existieren, eine neue wird aus der Taufe gehoben: St. Mariä Himmelfahrt Leutersdorf. Um 10 Uhr feiert Bischof Heinrich Timmerevers dazu einen feierlichen Gottesdienst. Kommunionkinder bringen Erde aus allen 18 Ortschaften der neuen Großpfarrei und pflanzen in dieser Erde einen Kirschbaum – als Symbol für das neue Gemeindeleben, wie Andrzej Glombitza, der Pfarrer der künftigen Gemeinde erläutert.
Damit ist die Gemeinde Leutersdorf im Bistum Dresden-Meißen ein Vorreiter: Die Katholiken im äußersten Osten der Republik, ganz nahe an der Grenze zur Tschechischen Republik, vollziehen als erste die Pfarreineugründung, die der sogenannte "pastorale Erkundungsprozess" vorsieht. Zwar ist die Situation noch nicht so akut wie in manch anderen Bistümern, aber auch in Dresden-Meißen zwingen niedrigere Priester- und Gläubigenzahlen zu einer Strukturreform. Aus 97 Pfarreien sollen hier 34 werden – in einem von der Bistumsleitung festgelegten und begleiteten Prozess, der aber in den Gemeinden selbst stattfindet. Die Pfarreien, die sich zusammentun sollen, hatten dazu schon 2014 sogenannte "Verantwortungsgemeinschaften" gebildet. In genau festgelegten Schritten sollen sie sich einander annähern, begleitet von ausgebildeten Moderatorinnen und Prozessberatern des Ordinariats. "So viel wie möglich vor Ort, so viel nötig gemeinsam", so lautet das Credo des neuen Bischofs Heinrich Timmerevers, der das Reformvorhaben von seinem Vorgänger übernommen hat. Bis Ende 2020 sollen sich alle Gemeinden neu gegründet haben – denn 2021 steht das 100-jährige Jubiläum der Neugründung des Bistums vor der Tür.
Die Stimmung ist gut
Kurz vor dem großen Tag morgen in Leutersdorf ist die Stimmung bei Pfarrer Glombitza gut. "Wir schaffen das, wir sehen das locker", sagt er im Gespräch mit katholisch.de. Rund 192 Quadratkilometer groß wird seine Pfarrei bald sein. Wer vom einen äußersten Zipfel zum anderen fahren will, muss rund 50 Kilometer zurücklegen. Doch größere Distanzen auf dem Weg zum Gottesdienst oder zum Kommunionunterricht waren die Gläubigen auch bisher schon gewohnt – schließlich ist der Katholikenanteil in dem ostdeutschen Bistum nicht gerade hoch. "In traditionellen Gemeinden, Hochburgen des Katholizmus ist die Kritik an einer solchen Gemeindereform oft viel größer als hier in der Diaspora", hat Glombitza beobachtet. Dem stimmt auch Martina Breyer, die Vorsitzende des Katholikenrats im Bistums zu. "Ohne Auto kommt auch schon jetzt kaum noch jemand in den Gottesdienst", sagt sie.
Heinrich Timmerevers ist Bischof von Dresden-Meißen.
Dennoch habe es am Anfang des Erkundungsprozess in Leutersdorf einige Startschwierigkeiten gegeben, erinnert sich Pfarrer Glombitza. "Das war schon ziemlich schwierig. Man musste sich erstmal mit dem Gedanken vertraut machen". Inzwischen sähe die Mehrheit der Gläubigen aber "klar und realistisch: Ein solcher Prozess ist notwendig. Und deswegen haben sie konstruktiv mitgearbeitet", so Glombitza. Das sei vor allem ein Verdienst der Pfarrgemeinderäte: "Die haben viel mitgearbeitet und eine zentrale Rolle in dem ganzen Prozess gespielt", sagt Glombitza. "Es ist ja nicht so, dass ich als Pfarrer alle Weisheit habe."
Es geht nicht nur um Strukturen
Positiv wird im Bistum zudem aufgenommen, dass es bei der "pastoralen Erkundung" nicht nur um die Zusammenlegungen von Pfarreien geht, sondern es auch eine andere Dimension gibt: "Es geht nicht nur um neue Strukturen, sondern auch einen pastoralen Prozess", erläutert Christian März, der stellvertretende Leiter der Hauptabteilung Pastoral. Die Pfarreien hätten auch die Aufgabe, sich zu fragen, was das eigentliche Ziel der neuen Strukturen sei, welchem Zweck sie dienten. "Strukturen sind ja kein Selbstzweck". Martina Breyer vom Katholikenrat sieht das ähnlich: "Welches Kirchenbild haben wir, wie sind wir auch in Zukunft Kirche vor Ort – nicht nur für uns selbst, sondern auch in der Gesellschaft – all diese Fragen stellen wir uns im Bistum gerade", sagt Martina Breyer. "Es geht eben darum, mehr aus dem pastoralen Erkundungsprozess zu machen, als nur die neuen Strukturen festzulegen."
Linktipp: Ein Bistum nimmt Abschied von hunderten Pfarreien
Fast 900 Pfarreien gibt es im Bistum Trier - praktisch in jedem Dorf eine. Für die Bistumsleitung ein Modell der Vergangenheit, das nun radikal umgebaut werden soll. Doch dagegen regt sich Widerstand.Doch natürlich läuft es nicht überall so gut wie im Leutersdorf. Nach den Erfahrungen Breyers stoßen die Pfarreizusammenlegungen vor allem bei solchen Gemeindemitgliedern auf Kritik, die zwar ab und an die Gottesdienste besuchen, sich aber darüber hinaus nicht engagieren – also trotz entsprechender Informationsangebote erst recht spät davon erfahren. "Die hören, dass der Wohnort des Pfarrers verlegt werden soll und das Gemeindezentrum künftig weiter weg ist – und dann regt sich Widerstand". Ihre räumliche Heimat aufzugeben, falle den Gläubigen oft schwer.
Angst vor Veränderungen
Auch Christian März kennt diese Sorgen. "Die Gemeinde ist hier in der Diaspora oft der einzige Vollzugsort kirchlichen Lebens. Da gibt es natürlich Angst vor Veränderungen." Für März ist aber klar, dass es zu diesem schmerzlichen Prozess keine Alternative gibt. "Ja, die Menschen werden sich von liebgewonnen Dingen verabschieden müssen – zum Beispiel wird vor Ort darüber nachgedacht werden müssen, wie mit der großen Menge an Immobilien umzugehen ist".
Das Leben der Pfarreien werde sich spürbar verändern: "Wer denkt, künftig unter veränderten Rahmenbedingungen so ähnlich weitermachen zu können, wie bisher, unterliegt wahrscheinlich einem Missverständnis", sagt März. Dass künftig etwas anders werde, heiße aber nicht automatisch, dass es keine lebendigen kirchliches Leben mehr geben könne: "Auch dort, wo kein Pfarrer und keine Gemeindereferentin mehr kontinuierlich vor Ort ist, kann Kirche lebendig sein".
Und so denken im Bistum viele schon über das Jahr 2020 hinaus: Wie kann das Gemeindeleben in den neuen 34 Pfarreien lebendig gestaltet werden? Für Martina Breyer sind dann auch kreative Lösungen gefragt: "In manchen Teil der USA zum Beispiel gibt es ja ganz andere Formen des Gemeindelebens: Da haben die Gläubigen sonntags einen weiten Weg und bleiben deshalb einfach nach dem Sonntagsgottesdienst noch einige Stunden zusammen". Und natürlich werden nach ihrer Überzeugung auch die Laien künftig eine immer wichtigere Rolle spielen.