In Bonn kümmern sich Grabpaten um den Alten Friedhof

Einsatz für die "zweite Heimat"

Veröffentlicht am 04.01.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Friedhof

Bonn ‐ Vom Balkon ihres Bonner WG-Zimmers schaut Eva Hüttenhain geradewegs auf den Alten Friedhof der ehemaligen Bundeshauptstadt. Es ist ein verträumter Anblick, der sich da zwischen 300 Jahre alten Steinmauern bietet: Hochgewachsene Nadelbäume behüten Grabstellen, die mit prächtigen Stelen, Marmorplatten und filigranen Ziergittern von einer anderen Zeit und einer anderen Bestattungskultur erzählen.

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Das Ehepaar Robert und Clara Schumann hat hier seine letzte Ruhestätte, Friedrich Schillers Ehefrau Charlotte mit ihrem Sohn Ernst und auch Maria Magdalena Beethoven, die Mutter des Komponisten. Eine alte Eiche beschattet das Grab von Ernst Moritz Arndt. Er selbst hat sie 1834 für seinen zehnjährigen, im Rhein ertrunkenen Sohn Willibald gepflanzt. Beinahe jeden Tag mäandern geführte Friedhofsbesucher andächtig die schmalen Wege entlang - es gibt viel zu erzählen.

Der Alte Friedhof ist auch Eva Hüttenhains Friedhof - im doppelten Sinne. Seit 2013 ist die umtriebige Seniorin Vorsitzende der "Gesellschaft der Freunde und Förderer des Alten Friedhofs in Bonn", die sich um den Erhalt und die denkmalgerechte Restauration der Anlage bemüht. Aber sie wird auch irgendwann einmal selbst hier begraben sein. Gemeinsam mit ihren Freunden aus der "Alten-Wohngemeinschaft" hat sie sich eine Grabstelle gesichert. Acht schlichte Granitquadrate am romantischen Grab der Familie Dübbers weisen darauf hin, dass zu den im 19. Jahrhundert Verstorbenen noch Menschen des 21. Jahrhunderts gebettet werden.

"Einer der Gedenksteine ist schon beschriftet, weil wir vor drei Jahren unsere Freundin Jutta beerdigen mussten", sagt Hüttenhain, "die anderen sind noch ungraviert und warten auf uns". Und mit einem speziellen, sehr natürlich wirkenden Humor schließt sie an: "Wir finden den Gedanken, dass wir unsere WG an diesem besonderen Ort fortführen können, einfach sehr tröstlich."

Eva Hüttenhain ist Grabpatin auf dem Alten Friedhof in Bonn.
Bild: ©Gerlind Schabert

Eva Hüttenhain ist Grabpatin auf dem Alten Friedhof in Bonn.

Ein ewiges Buch, das die Liebe festhält

Zweimal im Jahr kommt die Gruppe mit Scheren, Schaufeln und Gießkanne am Grab zusammen, um den Boden aufzulockern und neue Pflanzen zu setzen, das Efeu zurückzuschneiden und die Stabilität der großen Statue zu überprüfen. Die Grazie der steinernen Frau mit Buch hatte sie bei der Suche nach einer geeigneten Grabstelle gleich in den Bann gezogen. "Uns kommt es vor, als würde sie die Namen der Verstorbenen in so eine Art ewiges Buch eintragen und dadurch etwas festhalten. Wir sind uns nämlich alle sicher, dass die Liebe und Zuneigung, die wir im Leben empfunden haben, irgendwo erhalten bleibt", sagt Hüttenhain.

Eigentlich sind auf dem drei Hektar großen Gelände des Alten Friedhofs gar keine Beerdigungen mehr möglich. Schon 1884 wurde er als Begräbnisstätte offiziell geschlossen, seit 1981 steht er unter Denkmalschutz. Nur Nachfahren der dort Ruhenden behielten das Recht, gemeinsam mit ihren Ahnen im bereits bestehenden Areal des Familiengrabs bestattet zu werden - neue Gräber auszuheben ist wegen der alten Bäume, die ihre Wurzeln über Jahrhunderte hinweg tief in der Erde ausgebreitet haben, kaum möglich.

Doch vor ein paar Jahren setzten die Stadt Bonn, die Denkmalschutz-Behörde und die Freunde des Alten Friedhofs ein Angebot auf, das man in Wirtschaftsenglisch als "Win-win-Situation" bezeichnen würde: Menschen, die auch ohne verwandtschaftliche Bindung an den Alten Friedhof dort ihre letzte Ruhe finden möchten, können zu Lebzeiten eine sogenannte "Grabpatenschaft" übernehmen. Sie verpflichtet dazu, eine selbst ausgewählte historische Grabstelle nach Vorgaben des Denkmalschutzes zu erhalten oder restaurieren zu lassen. Und sie befugt dazu, irgendwann einmal per Urnenbestattung in eben dieses Grab "mit einziehen" zu dürfen.

Hier werden Eva Hüttenhain und ihre WG-Freunde irgendwann ihre "zweite Heimat" finden: Das geplante Gemeinschaftsgrab auf dem Alten Friedhof in Bonn.
Bild: ©Gerlind Schabert

Hier werden Eva Hüttenhain und ihre WG-Freunde irgendwann ihre "zweite Heimat" finden: Das geplante Gemeinschaftsgrab auf dem Alten Friedhof in Bonn.

Rundgang über die künftige "zweite Heimat"

69 dieser Patenschaften wurden bis heute abgeschlossen. "Wie teuer das für die Paten wird, ist von Grab zu Grab verschieden", erklärt Hüttenhain. "Wenn es nur um eine sichere Befestigung der alten Steine geht, muss man vielleicht mit 500 Euro rechnen. Doch wenn man sich darauf einlassen möchte, schmiedeeiserne Gitter zu restaurieren oder Figuren aus anfälligem Sandstein, dann können es aber auch schon mal 5.000 Euro werden. Vielen geht es aber gar nicht so sehr um die Kostenfrage, sondern auch um die Möglichkeit, diesem einzigartigen Umfeld karitativ unter die Arme zu greifen."

Das trifft auch auf Ellen Wiese-Hering und ihren Mann Hubert zu. Das elegante Ehepaar ist vor vier Jahren in die nur einen Steinwurf entfernte Seniorenresidenz "Nova Vita" gezogen und hat sich seitdem so manches Mal zu kleineren Friedhofs-Spaziergängen aufgemacht, auch zu einer Bestattung waren die beiden schon dort. Nun treffen sie sich mit Hüttenhain, um sich Gräber anzuschauen, die für eine Patenschaft in Frage kommen. "Mir gefällt die gesamte Historie dieses Ortes", schildert Wiese-Hering ihre Beweggründe. "Ich habe lange in Paris gelebt und mich hat das hier gleich an den berühmten Friedhof Père Lachaise erinnert". Doch auch ganz praktische Überlegungen spielen für sie eine Rolle: "Eigentlich haben wir schon eine Grabstätte in Köln. Aber wenn ich mir vorstelle: Einer wird vor dem anderen abberufen und der andere müsste dann immer den weiten Weg nach Köln machen? Mir ist schon wichtig, dass man sich jeden Tag besuchen kann."

Angeführt von Eva Hüttenhain schlendern die beiden Interessanten aufmerksam zwischen den Gräbern entlang und bleiben immer wieder stehen, um Aufschriften zu lesen, spezielle Verzierungen zu betrachten und über eine Eignung als ganz persönliche letzte Ruhestätte nachzudenken. "Wir wollen schon etwas Schönes haben", sagt Hubert Hering entschieden. Ehefrau Ellen schließt behutsam einen vergessenen Knopf am Mantel ihres Mannes und ergänzt: "Das wird ja schließlich irgendwann unsere zweite Heimat sein."

Von Gerlind Schabert

Weitere Informationen

Die "Gesellschaft der Freunde und Förderer des Alten Friedhofs" ist unter der Adresse ihrer Geschäftsführerin zu erreichen: Erika Zander, Nelkenweg 4, 53123 Bonn. Telefon: 0228-641407.