"Lebensquellen neu entdecken"

Frage: Pater Purk, in der Fastenzeit nehmen sich viele Menschen vor, weniger zu essen, oder sie verzichten auf Süßigkeiten, Alkohol, Zigaretten oder das Fernsehen. Nicht nur gläubige Christen nehmen diese Zeit zum Anlass, auf etwas zu verzichten. Was ist der tiefere Sinn der christlichen Fastenzeit?
Purk: Frei zu werden, um Gott in seinem Leben mehr Raum zu geben. Wir verdrängen Gott oft. Darum hat der biblische Mensch im Fasten eine Möglichkeit eingeübt, Gott seinen Platz im eigenen Leben wieder einzuräumen. Die Zahl 40 spielt dabei eine besondere Rollen: 40 Jahre wandert Israel durch die Wüste, bis das Volk reif ist, ins Gelobte Land zu gelangen. 40 Tage hat Jesus selbst in der Wüste gefastet, bis er die Taufe des Johannes empfing und die Zusage des Himmels, Gottes geliebter Sohn zu sein. "Fastenzeit" hat für mich einen besonderen Klang. Die Fastenzeit lädt uns ein, den Blick auch nach innen zu richten, denn "der Mensch lebt nicht vom Brot allein". Das ist der tiefere Sinn der Fastenzeit: freiwillig Verzicht zu leisten, damit die Sehnsucht meines Herzens nicht unter dem Müll des Konsums begraben wird. Den Hunger meiner Seele und den Durst nach Spiritualität möchte ich in den 40 Tagen bis zum Osterfest spüren.
Pater Erich Purk
Frage: Wir leben in einer Zeit, die von Konsum, kollabierenden Systemen, chronischer Zeitknappheit und Burnout mit geprägt wird. Was kann das "Maßhalten" in der Fastenzeit dem entgegen setzen?
Purk: Wir erleben heute tatsächlich viele "kollabierende Systeme" - die Ausbeutung der Rohstoffquellen zum Beispiel oder den Klimawandel. Vor dem Kollaps bleibt auch unser persönliches Leben nicht bewahrt. Ganz schlimm finde ich das "Koma-Saufen" der jungen Generation. Wenn wir unsere Kraftreserven ständig überfordern, dann kollabieren wir. Was kann uns befreien? Ein Ansatz liegt darin, sich selbst einzuschränken. Eine neue Askese fordern manche. Askese nicht aus Lustfeindlichkeit, sondern aus Unlust am Überfluss. Askese als Strategie gegen den Stress und jede Überforderung. Weniger ist manchmal mehr. Der heilige Benedikt, der Vater der Ordensgemeinschaften, nennt das rechte Maß die "Mutter aller Tugenden". Maß beim Essen, Maß beim Verbrauchen, Maß bei der Arbeit. Alles Übermaß führt ins Verderben und alle Extreme machen uns depressiv. Es ist die Kunst des Lebens, die richtige Dosierung zu finden. Ein Glas Wein am Abend ist etwas Köstliches. Wenn ich aber die ganze Flasche allein leere, endet es meistens in der Sucht.
Frage: "Das Suchen ist vielleicht das wichtigste Wort des 21. Jahrhunderts" - das ist eine zentrale Aussage Ihres Buches. Was suchen die Menschen heute vor allem?
Purk: Viele Menschen suchen heute nach einem Fundament, das trägt. Sie suchen ein Zuhause und Geborgenheit. Aber unsere schnelllebige Zeit ist mehr und mehr geprägt von Durchreise und nicht von Aufenthalt. So wächst eine psychische Obdachlosigkeit und Verunsicherung. Es gibt viele Menschen, die dem entkommen, die aussteigen wollen. Dann kommt die Suche nach dem neuen Lebensstil in den Blick, nach einem Lebensweg, der Sinn und Erfüllung schenkt.
Frage: Welchen Beitrag kann Ihr Buch in dieser Hinsicht leisten?
Purk: Das Buch möchte ermutigen, den Wandel nicht zu scheuen. Es möchte dabei helfen, die harte Kruste oberflächlicher Befriedigungen zu durchbrechen und die echten Lebensquellen neu zu entdecken; brachliegende Kräfte in mir freizulegen, die Götzen zu entlarven, die meinen Durst und Lebenshunger mit billiger Nahrung abspeisen und mein Streben fehllenken. In einem Kapitel des Buches beschreiben Zeitgenossen, auf welche Weise sie nach Antworten, nach einem neuen Lebensstil und Lebensweg gesucht haben: zum Beispiel auf dem Pilgerweg nach Santiago, im Kloster oder in der Begegnung mit Behinderten. Wichtig war für alle das Vertrauen, dass Gott sie begleitet und nicht verlässt.
Frage: Ihr Fastenbegleiter ist zugleich auch Grundlage für Internetexerzitien auf katholisch.de. Fastenexerzitien online – wie funktioniert das?
Purk: Täglich sind Kurzfassungen der Impulse online zu lesen oder als Audio zu hören. Der bekannte Schauspieler Michael Mendl hat freundlicherweise meinen Gedanken seine Stimme geliehen. In der Entscheidung, wie lange Nutzer den täglichen Impulsen nachgehen möchten, wo und wann sie das tun, sind diese ganz frei. Es gibt kein richtig oder falsch, sondern es geht darum, sich auf die Anregungen, die die Texte liefern, einzulassen und sie nachklingen zu lassen. Die Impulse für jeden Tag sind letztlich nur Krücken. Wichtig sind vor allem die eigene Motivation und der Mut, persönliche Schritte zu wagen auf dem Weg durch die Fastenzeit.
Das Interview führte Verena Schlinkert