Pro und Contra: Ist die Kirche zu bürokratisch?

Pro: Kirche leben statt verwalten
Bürozeiten und Stempelkarten, Datenschutzverordnungen und Dienstreiseanträge: Die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Und sie zeigt vor allem eins: Die Kirche in Deutschland hat ein Problem. Egal, ob im Generalvikariat, der Pfarrei oder zahlreichen anderen Einrichtungen der Kirche. Die Kirche ist über sich selbst und ihren Auftrag, das Evangelium zu verkünden und damit den Menschen Gott und die Nächstenliebe näherzubringen, längst hinausgewachsen.
Damit man das nicht falsch versteht: Das hier ist kein Plädoyer eines Schwärmers, der glaubt, dass die Abschaffung der Kirchensteuer oder jeglicher Verwaltungsstrukturen automatisch zu einer missionarischen und authentischen Kirche führt. Wer im säkularisierten Deutschland allein auf die Kraft von Christen setzt, die auf dem Marktplatz von der Organgenkiste aus das Wort Gottes predigen, der hat die Realität verkannt. Und der vergisst, dass die Kirche durch die Caritas, ihre Schulen, Kitas, Verbände, Hilfswerke und auch Pfarreien viel Gutes tut.
Doch es wäre mehr drin. Wer Schulen schließen muss, weil die Pensionskosten zu hoch werden, wer sein Pfarrbüro nur zwei Mal die Woche öffnen kann und für die Menschen nicht erreichbar ist, weil er sich stattdessen an fünf teils ungenutzte Kirchen klammert, wer Jugendseelsorgern aus Datenschutzgründen die Verwendung von Messengern wie WhatsApp verbietet, der verkennt, dass die Kirche noch immer "Zeichen und Werkzeug" und kein Selbstzweck ist. Und der lässt den Heiligen Geist nicht wehen, wo er will, sondern beschränkt ihn auf festgeschriebene Uhrzeiten und Konditionen. Und das ist fatal.
Darum muss die Kirche effizienter, flexibler und mutiger werden. Sie muss die typisch deutsche Behördenmentalität überwinden. Papst Franziskus hat in dieser Woche gesagt: "Jesus macht kein Büro für geistliche Beratung auf mit einem Schild: Der Prophet empfängt montags, mittwochs und freitags von drei bis sechs." Das ist – typisch Franziskus – zugespitzt, fast polemisch. Doch die Idee dahinter ist klar. Christsein ist kein Job, den man von 8.30 bis 16.30 Uhr ausübt und dann mit dem Feierabend hinter sich lässt.
Kirche muss immer erreichbar sein – zum Beispiel über die sozialen Netzwerke. Kirche muss bei Anfragen von treuen Gläubigen und Fernstehenden sagen: "Wir helfen ihnen gerne", statt in aller Formalität auf die Zuständigkeit einer anderen Pfarrei oder eines anderen Bistums zu verweisen. Dabei sind Reformen auf allen Ebenen gefragt. Es ist nämlich zu einfach, als Folge des Rückgangs von Gläubigen, Pfarreien zu fusionieren und das "Kirchturmdenken" der Gläubigen vor Ort zu beklagen. Man muss auch selbstkritisch fragen: Braucht es den großen Verwaltungsapparat auf Bistumsebene? Braucht es noch einen weiteren Dialogprozess oder noch ein Positionspapier, an dessen Ende gutgemeinte Thesen statt Taten stehen?
Noch immer fehlt es zum Beispiel in zahlreichen fusionierten Großpfarreien an neuen Katechesemodellen oder kreativen Angeboten für Fernstehende, weil verordnete Strukturreformen nicht mit Leben gefüllt werden (können). Wer hilft dabei, das zu ändern, wenn vor Ort Personal gekürzt wird? Wer bildet Ehrenamtliche aus und wer schätzt sie wert? Verwalten wir die Kirche nicht nur, sondern leben wir sie.
"Wer Jugendseelsorgern aus Datenschutzgründen die Verwendung von Messengern wie WhatsApp verbietet, der verkennt, dass die Kirche noch immer "Zeichen und Werkzeug" und kein Selbstzweck ist", so Björn Odendahl.
Contra: Die Kirche ist keine Sponti-Kommune!
Sie wünschen sich auch eine Kirche, in der stets alle Türen offen stehen, Bischöfe und Priester rund um die Uhr ansprechbar sind und Pfarrbüros Taufbescheinigungen auch sonntags um 22 Uhr noch ausstellen? Willkommen im Klub der Schwärmer und Phantasten!
So funktioniert Kirche nicht, so kann sie nicht funktionieren und so hat sie auch – allen nostalgischen Verklärungen zum Trotz - noch nie funktioniert. Selbst die Jerusalemer Urgemeinde war keine religiöse Sponti-Kommune.
Wer in Deutschland gebetsmühlenartig Bürokratismus, Behörden-Mentalität und Stechuhr-Moral in der Kirche anprangert, muss sich ernsthaft fragen, ob er nicht billigem Populismus Vorschub leistet. Die plakative Gegenüberstellung einer "missionarischen" Kirche und einer Kirche, die sich angeblich vor allem selbst verwaltet, ist wohlfeil, aber falsch. Populismus können wir auch: Stellen Sie sich vor, täglich würden 1,2 Milliarden Katholiken wie die Zeugen Jehovas weltweit von Tür zu Tür ziehen. Wer kümmert sich dann um die Rente der kirchlichen Mitarbeiter?
Die katholische Kirche ist eine riesige Institution. Wie alle Institutionen braucht auch sie eine Organisationstruktur und einen Verwaltungsapparat mit festen Regeln, Abläufen und Öffnungszeiten. Nächstenliebe und Improvisation allein reichen hier nicht aus. Professionalität ist gefragt. Das kann man nicht einfach mit dem Argument vom Tisch wischen, in der Kirche müsse der Heilige Geist wehen.
Wer sagt denn überhaupt, dass der Heilige Geist in deutschen Amtsstuben mir festen Öffnungszeiten nicht weht? Steht dahinter nicht eine allzu romantische Vorstellung vom Heiligen Geist? Jeder deutsche Katholik, der etwa einmal mit der katholischen Kirche in Italien zu tun hatte, sollte eine wohlorganisierte deutsche Bistumsverwaltung und einen gut ausgestatteten deutschen Caritasverband zu schätzen wissen.
Schließlich sollten sich alle, die der Kirche eine Beamten-Mentalität vorwerfen, einmal fragen, welches Menschenbild sie eigentlich vertreten? Jedenfalls nicht das realistische Menschenbild der katholischen Soziallehre. Auch wer im Auftrag des Herrn unterwegs ist, ob ehrenamtlich, hauptamtlich, geweiht oder nicht geweiht, hat ein Recht auf eine geregelte Arbeitszeit und Privatsphäre!