"In Gottes Namen, wir gießen"

Hubertus Zomack ist der Dompropst des Görlitzer Domkapitels. Dessen Mitglieder sind heute fast vollständig angereist, um bei dem Guss dabei zu sein. Während in der benachbarten Werkhalle das geschmolzene Metall flüssig gehalten wird, hält der Dompropst eine Andacht. Um Gottes Segen für den Guss der neuen Glocke bitten die Christen.
Nur wenige Minuten später rollt langsam ein Gabelstapler herein, der einen rotglühenden Tiegel voll mit flüssigem Metall auf der Gabel trägt. Wegen einer kleinen Unebenheit im Hallenboden schwappt auf einmal flüssige Bronze auf den Boden und zerstäubt in hunderte rotglühende Tropfen. Die Besucher treten einen Schritt zurück. Einer der Gießer entfernt die heißen Metallreste mit einer Schaufel vom Boden.
Das Geläut vervollständigen
Für Michael Gürlach ist es der zweite Guss einer Glocke innerhalb von nur zwei Wochen. Gürlach ist der Glockensachverständige des Bistums Görlitz. Er hatte die Idee, zwei weitere Glocken für die Görlitzer Kathedrale gießen zu lassen. "Karl der Große hat schon zu seiner Zeit bestimmt, dass eine Kathedrale mindestens sechs Glocken haben soll", berichtet Gürlach. Die Görlitzer Jakobuskirche sei ursprünglich als Pfarrkirche gebaut und habe daher nur vier Glocken. Die Sanierung der Görlitzer Bischofskirche sei jetzt die passende Gelegenheit gewesen, das Geläut zu vervollständigen. "Und eine Disharmonie des jetzigen Geläuts soll ausgeglichen werden", fügt Dompropst Zomack hinzu.
Der Gabelstapler hat inzwischen einen zweiten glühenden Tiegel in die Halle gebracht. Zwei Hebegestelle, stählerne Ringe mit lang abstehenden Griffen, umfassen die Tiegel jetzt. Jeweils zwei Gießer umfassen die Griffe. Die Männer sind eingepackt in dicke Arbeitsjacken und silbernglänzenden Hitzeschutz, tragen einen Helm mit heruntergeklapptem Visier um das Gesicht vor der Hitze zu schützen.
St. Jakobus in Görlitz ist die östlichste Bischofskirche in Deutschland.
Zusammenspiel von Kran und Tiegel
Ein großer Kran an der Hallendecke hebt die Gestelle mit den Tiegeln an. Einer der Gießer manövriert die heißen Gefäße mit dem Kran vorsichtig zur großen Lehmform in der Mitte der Halle. Hier steht Andreas Noack, der Gießereimeister, und dirigiert Kran, Tiegel und Mitarbeiter.
Als alles in der richtigen Position ist. ruft er laut "In Gottes Namen, wir gießen". Flüssiges Metall ergießt sich aus den Tiegeln in die Lehmform. Flammen schlagen aus den Röhren auf der Form. Schweißperlen stehen den Männern auf der Stirn. Es ist absolut still, nur das plätschernde Geräusch vom Gießen ist zu hören, und hin und wieder eine ruhige Anweisung des Gießereimeisters an seine Mitarbeiter. Eine Minute dauert der Guss, dann sind die Tiegel leer.
Neue Glocken klingen in Gis und Ais
Rund 580 Kilogramm wird die neue Glocke wiegen. Der Heiligen Hedwig, der Patronin des Bistums Görlitz, wird sie geweiht. Vor einer Woche ist bereits eine weitere Glocke gegossen worden. Sie trägt ein Relief mit dem Bildnis der seligen Hildegard Burjan. Rund 20.000 Euro kosten die beiden Glocken zusammen. Die Kosten für die größere Hedwigsglocke übernimmt das Görlitzer Domkapitel. "Das Geld dafür kommt von allen Domkapitularen, auch den emeritierten", erklärt Dompropst Zomack. Die Hildegard-Burjan-Glocke wird aus Spenden finanziert.
Die Hedwigsglocke wird im Gis erklingen, der Ton der kleineren ist Ais. Nächste Woche wird Michael Gürlach wieder nach Lauchhammer reisen um die Tonanalyse vorzunehmen. Das die Glocken nicht gelungen sein könnten ist unwahrscheinlich. "Von rund 700 Glocken, die wir hier seit 1994 gegossen haben, sind maximal eine Handvoll nicht gelungen", erklärt Gießereimeister Andreas Noack.
Von Markus Kremser