Papst Franziskus: Inszenierung ja, Diktator nein
Inszeniert sich Papst Franziskus wie ein Diktator und steht damit auf einer Stufe mit "starken Männern der Moderne" wie Stalin oder Hitler? Das wirft zumindest der Schriftsteller Martin Mosebach dem amtierenden Pontifex vor. In einem Interview mit der "Herder Korrespondenz" verurteilt er Auftritte etwa in Fußballstadien als totalitäres Gebaren. Dagegen sei das Hofzeremoniell vergangener Tage in seiner Gestrigkeit altmodisch und rührend gewesen. Das ist natürlich absurd.
Was stimmt: Die (Selbst-)Inszenierung ist ein integraler Bestandteil des Papsttums geworden – und das nicht erst seit gestern. Mit der Entwicklung der Massenmedien im 19. Jahrhundert wollte man auch in Rom die Chancen der neuen technischen Mittel nutzen, um die frohe Botschaft zu streuen. Päpste ließen sich für Postkartenbilder ablichten, gründeten Zeitungen und Radiosender und standen sogar für beinahe intime "Homestories" parat – wie zum Beispiel Johannes XXIII., der der Zeitschrift "Quick" einen Einblick in seinen beruflichen und privaten Alltag erlaubte. Was damals ein kurioses Schmankerl war, ist heute unverzichtbar: Wer die öffentliche Wahrnehmung will, muss Bilder kreieren und in den Medien präsent sein. Auch und gerade als Kirche.
Was sich mit der Zeit geändert hat, ist die Art der Inszenierung und damit auch das Selbstverständnis der Päpste: Schon die ältesten Zeremonienbücher richten sich an einem Papstbild des mächtigen Herrschers und Oberhaupt der Christenheit aus. Es ist noch gar nicht so lange her, da sprachen Straußenfedern, Purpurmantel und Tiara noch diese von Machtgedanken geprägte Bildsprache. Das hat sich spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil deutlich geändert. Pelze und Krone sind verschwunden, die nachkonziliaren Päpste entschlackten die weltfernen Rituale deutlich und ließen dafür lieber auch mal ein paar persönliche Worte bei offiziellen Anlässen abseits des Protokolls hören. Johannes Paul II. erschuf dann gänzlich neue Präsentationsformen. Er führte das gläserne Papamobil ein, das ihn auch Menschen näher brachte, an denen er nur vorbeifuhr. Er wollte ein Papst zum Anfassen sein, mehr Seelsorger als Herrscher. Nähe war nun das entscheidende Stichwort. Der Papst wollte nicht nur als Amtsinhaber überzeugen, sondern als Charakter – als charismatischer Mensch.
Sogenanntes "PilgrimKit" beim Weltjugendtag in Panama. Mittendrin: das Konterfei des Papstes.
Sein Nachfolger, Benedikt XVI., war und ist kein Liebhaber der großen Bühne und leidenschaftlicher Reden. Doch obwohl er einige traditionelle Symbole wieder in das Papstamt integrierte, drehte er das Rad in Sachen Inszenierung nicht zurück: Er war es, der als erster keine Papstkrone mehr in seinem Wappen führte. Auch das Papamobil und etwa die Ostergrüße in vielen Sprachen blieben. Franziskus wiederum geht den Weg der "Insignien-Entschlackung" weiter, hat teuren Schuhen und der prunkvoll ausgestatteten Dienstwohnung entsagt – und zeigt sich lieber mit den Armen und Ausgegrenzten. Sicher: Auch davon ist Vieles geplant und inszeniert. Franziskus sieht sich als jemand, der "an die Ränder geht" und möchte dieses Bild nach außen vermitteln – auch mit Hilfe der modernen Medien. Doch neben dieser schlicht als sehr professionell zu bezeichnenden Medienarbeit prägt dieser Papst auch einen anderen Umgang mit Inszenierung: Er konterkariert das Protokoll. Bei seinen Mitarbeitern ist er bekannt dafür, aus minutiös organisierten Abläufen spontan auszubrechen und plötzlich auf die Bühne laufende Kinder nicht wegzuschicken, sondern zu begrüßen. Auch die eine oder andere Äußerung – etwa bei fliegenden Pressekonferenzen – gehören dazu.
Welches Staatsoberhaupt ist so fassbar wie Franziskus?
All dies hat nichts mit dem Gebaren totalitärer Potentaten zu tun: Diktatoren vergangener wie heutiger Zeiten präsentieren sich vor einer Phalanx aus Generälen und auf hohen Rednerpulten weit über denen, die sie beherrschen. Nicht zuletzt bei Hitler war es ein Modus der Anbetung, in den sein Publikum verfallen sollte – Fahnen und Fackeln taten ihr Übriges.
Genau das versucht Franziskus nicht: Großereignisse wie feierliche Messen und Reisen in alle Welt beindrucken, aber sie überwältigen nicht. Der gebürtige Argentinier will sich als nahbaren Papst präsentieren – der er auch ist. Welches Staatsoberhaupt geht so auf die Menschen zu wie Franziskus, ist so fassbar? Ihm vorzuwerfen, Menschen mit Behinderung ausschließlich zur Selbstdarstellung zu nutzen und das im Umfeld des Diktatorenvergleichs, verbietet sich: Denn wo der eine in den Arm nimmt, hat der andere gezielt töten lassen.
Inszenierung ist heute ein fester und notwendiger Teil der Mediengesellschaft – in Politik und Gesellschaft wie auch in der Kirche. Das kann einem gefallen oder nicht – es ist wichtig, um im öffentlichen Diskurs relevant zu sein. Hier den Vergleich mit den Machttaktiken von Diktatoren zu ziehen, ist ignorant, oberflächlich – und verkennt die Realität.
