Jede fünfte Einrichtung ist in kirchlicher Trägerschaft

Ein schwieriger Neustart: Leben im Frauenhaus

Veröffentlicht am 23.07.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Koblenz ‐ Ute Walter hatte über Jahre das Gefühl, ihrem Mann ausgeliefert zu sein. Sie entschied sich dafür, neu anzufangen – und zog ins Koblenzer Frauenhaus. Während die Frauen sich nach Geborgenheit sehnen, haben die Häuser mit Platzmangel zu kämpfen und arbeiten unter sehr unterschiedlichen Bedingungen.

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Was wird er wohl als Nächstes tun? Diese Frage trieb Ute Walter über Jahre um. Ihr Mann habe Löcher in ihre Blusen geschnitten, den Absatz von Schuhen abgerissen oder mit einem Messer auf die Autotür eingestochen, sagt die 66-Jährige, deren richtiger Name anders lautet. Sie nennt ihren Mann nie beim Vornamen, spricht jedoch vom "ständigen Terror", den "er" verbreitet habe.

Seit 16 Jahren ist sie mit diesem Mann verheiratet, schon in der ersten Ehe erlebte sie Gewalt. Dann war sie froh, einen neuen Partner gefunden zu haben, auch wenn er sie von Anfang an stark kontrollierte. "Nach einem Umzug vor neun Jahren hat sich die Situation dann zunehmend verschlimmert", sagte Walter. Das Gefühl, ihm ausgeliefert zu sein, habe sie durch ihren Alltag begleitet.

Es ist der Beginn der Geschichte von Ute Walter, die im Frauenhaus Koblenz endet. Die Rentnerin, die zuvor 20 Jahre als Nachtschwester im Krankenhaus gearbeitet hat, erzählt ihre Geschichte in einer hohen, teils piepsigen Stimme, die für eine 66-jährige Frau ungewöhnlich anmutet. Was sie erlebt hat, hat sie nachhaltig verändert. Verstört. Psychisch und körperlich an die Grenzen gebracht – das wird allein durch ihre Art und Weise zu sprechen deutlich. Sie drückt die Worte regelrecht heraus, bildet einfache Sätze und stimmt sich wiederholt selbst zu.

Grund für das Verhalten ihres Mannes sei eine krankhafte Störung gewesen, die er jahrelang verborgen habe. Voller Geduld habe sie immer wieder die Folgen der Ausfälle ihres Mannes beseitigt: gesaugt und geschruppt, wenn er wieder eine Schüppe Dreck auf dem Teppich verteilt hatte. Dazu drohte er ihr, dass das Auto plötzlich kaputtgehen könnte, falls sie sich ihm gegenüber nicht verhalte wie bisher. Irgendwann sei eine Grenze erreicht gewesen, an der sie keinen Schritt mehr auf diesen, ihren Mann zugehen wollte. Der Arzt attestierte eine psychosomatische Erkrankung. Der Therapeut riet: Tasche packen und schnellstmöglich weg von zuhause. Sie ging – ins Frauenhaus in Koblenz.

So wie Ute Walter flüchten jährlich 15.000 bis 17.000 Frauen in Deutschland in eins von 351 Frauenhäusern oder in eine von 100 Schutzwohnungen, wie ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums auf Anfrage von katholisch.de mitteilt. Rund 6.000 Plätze bieten die Häuser an. Schutz, Ruhe und Geborgenheit – das seien die wichtigsten Aspekte für die Frauen, sagt die Leiterin des Koblenzer Hauses, Alexandra Neisius. In ihrer Einrichtung, die vom Sozialdienst katholische Frauen (SkF) getragen wird und deren Adresse geheim ist, finden sieben Frauen mit und ohne Kindern einen Platz. Fünf bis sechs Frauen muss die Einrichtung jede Woche ablehnen. Auch das rheinland-pfälzische Familienministerium weiß um die Lage. "Bundesweit sind die Plätze in Frauenhäusern knapp und auch in Rheinland-Pfalz stehen wir vor großen Herausforderungen. Es gibt es deutlich mehr Anfragen als freie Plätze. Insbesondere das Frauenhaus Koblenz kämpft mit Überbelegung und mangelnden Ausweichmöglichkeiten", sagte eine Sprecherin des Ministeriums.

Alexandra Neisius
Bild: ©privat

Alexandra Neisius (rechts) leitet das Frauenhaus in Koblenz.

"Wie kann es sein, dass du nur da Schutz findest?"

1976 wurde in Berlin das erste Frauenhaus in Deutschland eröffnet – damals ein Modellprojekt, das auch vom Familienministerium gefördert wurde. Das Netz an Frauenhäusern und Beratungsstellen wächst seitdem. 1998 wurde das Koblenzer Haus gegründet. Die Voraussetzung für die Aufnahme in ein Frauenhaus ist, dass die Frauen Gewalt erlebt haben, oder dass ihnen von ihrem Partner Gewalt angedroht wurde, erklärt Neisius im Gespräch mit katholisch.de. Dazu zähle auch psychische Gewalt bis zur Angst vor allzu heftigen Reaktionen bei einer Trennung. "Oft kommen die Frauen aus langjährigen Unterdrückungsverhältnissen zu uns", sagt sie. "Aus Partnerschaften, in denen sie kontrolliert und in ihrem Selbstwertgefühl verletzt wurden."

Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums ist Gewalt in Partnerschaften ein Problem, das sich durch alle sozialen Schichten zieht. 2017 wurden rund 114.000 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt, dazu kommen gut 25.000 Männer. Statistisch gesehen erlebe damit jede vierte Frau einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt. Und doch beobachtet Alexandra Neisius, dass nur ein "spezieller Ausschnitt" dieser Frauen Schutz in ihrem Haus suche. Viele von ihnen hätten schon lange Gewalt erlebt und seien auf die Anonymität des Hauses angewiesen. Zu ihnen kämen auch eher Frauen mit wenig eigenen finanziellen Mitteln und ohne eine unterstützende Familie im Rücken. Zudem sei der Anteil an Migrantinnen hoch, da bei ihnen das Netzwerk der Unterstützung geringer sei als bei einheimischen Frauen.

Ute Walter hatte schon vor Jahren darüber nachgedacht, ins Frauenhaus zu gehen. Sie schämte sich für den Gedanken. "Wie kann es sein, dass du nur da Schutz findest?", habe sie sich gefragt. Für sie glich der Schritt ins Frauenhaus lange einer Blamage. Und neben dem sozialen Ansehen hat der Schritt eine materielle Dimension, denn die Frauen können nur wenige Kleidungsstücke und Wertgegenstände mitnehmen.

Frauenhaus Koblenz
Bild: ©privat

Bunt und ruhig - so sieht ein Zimmer im Koblenzer Frauenhaus aus.

Dafür bietet das Koblenzer Frauenhaus dann nötige Ruhe und Begleitung durch die fünf Teilzeit-Mitarbeiterinnen. Alexandra Neisius betont, dass die zwar beratend zu Seite stünden, aber keine Rundum-Versorgung ermöglichten. Einkaufen, kochen und Wäsche waschen – all das erledigen die Frauen selbstständig. Unterstützung ist vor allen Dingen bei den fälligen Behördengängen nötig, zum Beispiel um den Wohnort umzumelden. Für Ute Walter steht besonders der Kontakt zu ihrem Rechtsanwalt im Mittelpunkt. Denn ihr Mann hat das gemeinsame Konto für sie gesperrt, weshalb sie ihre Rentenbezüge nicht erhält. Dagegen klagt sie vor Gericht. Gleichzeitig fallen die monatlichen Kosten für das Frauenhaus in Höhe von knapp 600 Euro an, wobei ihre Kinder sie finanziell unterstützen. Um sich verpflegen zu können, erhält sie Lebensmittel von der Tafel.

Dass Ute Walter in Koblenz einen Platz gefunden hat, ist eher die Ausnahme als die Regel. Neisius als Leiterin des Hauses fordert, dass mehr Frauenhäuser und damit mehr Plätze entstehen. Sie vermutet, dass in der momentanen Situation viele Frauen auf der Suche nach einem geeigneten Platz verloren gingen. "Weil sie nach der sechsten oder siebten Absage keine Kraft mehr haben, weiter anzufragen und dann in der Gewaltbeziehung bleiben."

Dichter Wohnungsmarkt erhöht Platzmangel in Frauenhäusern

Ein Grund für den aktuellen Platzmangel sei, dass die Frauen länger in den Einrichtungen blieben, so Neisius. "Die Frauen, die sich dauerhaft von ihrem Mann trennen, sind meist ein halbes Jahr hier." Angesichts des angespannten Wohnungsmarkts in vielen Großstädten suchen die Frauen auch länger als früher nach einer passenden Unterkunft im Anschluss an das Frauenhaus. So können trotz der hohen Nachfrage tendenziell immer weniger Frauen aufgenommen werden. Auch bei Ute Walter ist noch ungewiss, wie lange sie im Haus des SkF in Koblenz bleiben wird. Zunächst muss sie Klarheit über ihre Finanzen haben. Gleichzeitig habe der Psychotherapeut eine stationäre Trauma-Behandlung für sie beantragt.

In Nordrhein-Westfalen, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern können sich Frauen online darüber informieren, in welchen Einrichtungen ein Platz frei ist. Beim Blick auf dieses Angebot schwebt auf der hessischen Landkarte über fast allen Häusern ein rotes, durchgestrichenes Schild. In NRW sind 16 Plätze frei – meist in kleineren Städten wie Datteln oder Castrop-Rauxel. Laut der Landesarbeitsgemeinschaft der autonomen Frauenhäuser wurden in NRW im Jahr 2017 über 7.300 Aufnahmegesuche in ein Frauenhaus abgelehnt. In Mecklenburg-Vorpommern bieten fünf von zehn Häusern einen freien Platz an – auch hier in eher ländlichen Orten wie Ribnitz-Damgarten.

Die katholische und evangelische Kirche in Deutschland spielen als Träger von Frauenhäusern eine wichtige Rolle. So gehört jedes zehnte Frauenhaus in Deutschland zum Sozialdienst katholischer Frauen. Dazu werden sieben Prozent der Häuser von der Diakonie und vier Prozent von der Caritas getragen. Weitere Frauenhäuser werden von der Arbeiterwohlfahrt (AWO), dem Paritätischen Wohlfahrtsverband oder von lokalen Vereinen getragen. Alexandra Neisius kritisiert, dass es keine bundeseinheitliche Finanzierung der Häuser gibt. "Momentan ist jedes Frauenhaus anders organisiert. Das führt auch dazu, dass Frauenhäuser nicht kostenlos sind, was ich für ein Unding halte", sagt sie. Ihrer Meinung nach sei der Staat dazu verpflichtet, die Kosten für die Frauen, die Gewalt erlebt haben, zu übernehmen. Derzeit fördert das Land Rheinland-Pfalz das Frauenaus jährlich mit 103.000 Euro. Laut Neisius decke das 26 Prozent des Budgets ab. Dazu kommen 37 Prozent der Kommune, die Zahlungen der Frauen (15 Prozent) und Spendengelder des Fördervereins und des Trägers (22 Prozent). "Mit diesem Geld arbeiten wir am Limit", schlägt Neisius Alarm. "Verschiedene Qualitätspapiere schlagen einen deutlich höheren Personalschlüssel vor, der aber aufgrund der finanziellen Situation nicht umsetzbar ist."

Frauenhaus Koblenz
Bild: ©privat

Im Spielzimmer des Koblenzer Frauenhauses finden Frauen und Kinder Abwechslung.

In den vergangenen Jahren werden Forderungen wie die von Alexandra Neisius immer lauter. "Der mediale Druck steigt", sagt die Leiterin des Koblenzer Frauenhauses. Was tut die Politik? Einheitlich lässt sich diese Frage nicht beantworten, da die Kommunen und Länder für den Ausbau und die Finanzierung der Frauenhäuser zuständig sind. Eine Sprecherin des für Koblenz zuständigen Familienministeriums Rheinland-Pfalz sagte, dass ohne eine dauerhafte Unterstützung seitens des Bundes ein erheblicher weiterer Ausbau des Hilfesystems für gewaltbetroffene Frauen kaum möglich sei.

Zur Unterstützung hat sich die Bundesregierung mit dem aktuellen Koalitionsvertrag vorgenommen, ein Aktionsprogramm zur Prävention und Unterstützung von Gewalt betroffener Frauen und Kinder aufzusetzen. Die Gespräche mit den übrigen Ministerien liefen, sagt ein Sprecher des Ministeriums, ein Zeitplan könne nicht mitgeteilt werden. Ein Element dieses Aktionsplans sei der 2018 ins Leben gerufene "Runde Tisch gegen Gewalt an Frauen", bei dem sich Bund, Länder und Kommunen erstmals zur Hilfe der von Gewalt betroffenen Frauen zusammensetzten. Dazu ist das Programm "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" entstanden, mit dem der Bund neue Praxismodelle fördert. Im Bundeshaushalt wurden dafür im Jahr 2019 sechs Millionen Euro zu Verfügung gestellt. 2020 sollen es 35 Millionen Euro werden. Spricht man Alexandra Neisius auf diese Maßnahmen an, antwortet sie: "Bis das nach unten ankommt, ist es ein langer Weg."

Von Tobias Schulte