Bleibt die Kirche im Dorf?
"Mittendrin!" lautete der Titel des Symposiums über "Kirche in peripheren, ländlichen Regionen" im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg der Hansestadt. Es war Analyse und Anspruch zugleich. Denn noch sind beide großen Kirchen mit ihren Gemeinden in der Fläche weitgehend präsent und wollen es möglichst bleiben. Bestätigung erhalten sie dafür nicht nur in den eigenen Reihen. "Ich gehe zwar nicht hin, aber es ist gut, dass die Kirche da ist", brachte Hannovers Landesbischof Ralf Meister bei dem Symposium eine Grundhaltung in vielen Dörfern auf den Punkt. Wenn schon Post und Bäcker zugemacht haben, soll wenigstens der Pastor bleiben.
Weite Wege und Mitgliederschwund
Doch die generellen Probleme der Kirchen machen sich auf dem Land besonders stark bemerkbar. Es sind Mitgliederschwund und Überalterung der Gemeinden, aber auch ein Mangel an Seelsorgern, selbst in der evangelischen Kirche, deren Pfarrer nicht zur Ehelosigkeit verpflichtet sind. Die Klagen der verbleibenden Seelsorger über wachsende Aufgabenbereiche und der Gläubigen über ein zunehmend weitmaschiges Netz kirchlicher Angebote werden immer lauter, wie die mitteldeutsche Landesbischöfin Ilse Junkermann jüngst beklagte. Auf dem Land sind die Wege in den neuen "pastoralen Räumen" oder "Seelsorgeeinheiten" eben weit länger als in den Ballungszentren. So will das Erzbistum Berlin, dem auch Vorpommerns Katholiken angehören, seine derzeit rund 100 Kirchengemeinden in gut 30 Großpfarreien neu gliedern.
Die Theologie nimmt die besondere Situation der ländlichen Räume erst seit wenigen Jahren in den Blick, wie Michael Herbst, Direktor des evangelischen Greifswalder Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung, kritisierte. Doch auch dort verzeichnen die Kirchen nach seinen Erkenntnissen "massive Traditionsabbrüche". Der Grazer katholische Pastoraltheologe Rainer Bucher konstatierte ebenfalls eine wachsende Neigung auch der Kirchenmitglieder der Landgemeinden, sich dort nur "zeitweilig und erlebnisorientiert" zu beteiligen. Bucher riet den Kirchen, die Erwartungen der Menschen an sie auch auf dem Lande zum Ausgangspunkt neuer Strukturen christlicher Gemeinschaft zu machen.
Werben für Optimismus und nützliche Angebote
Die evangelische Kieler Professorin für Praktische Theologie, Uta Pohl-Patalong, stellte dazu konkrete Vorschläge vor. Sie empfahl, das kirchliche Engagement stärker zu differenzieren. Die pastoralen und diakonischen Dienste sollten mehr auf übergemeindlicher Ebene angesiedelt, vor Ort verstärkt auch nicht kirchenspezifische Angebote wie Mutter-Kind-Gruppen gemacht werden, die es im jeweiligen dörflichen Umfeld sonst nicht gibt. Als eher exotische Extrembeispiele kamen bei dem Symposium die Tankstelle einer schwedischen und die Poststation einer englischen Kirchengemeinde zur Sprache.
Der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der evangelischen Nordkirche, Hans-Jürgen Abromeit, warb für Optimismus. Neue Unterstützer könnten die Kirchen unter den Menschen gewinnen, die sich in wachsender Zahl bewusst für ein Leben auf dem Dorf entschieden, brachte er als Erfahrung seiner Gemeindebesuche mit.
Positivbeispiel Poitiers
Als Vorbild hob Abromeit das ebenfalls ländlich geprägte französische Erzbistum Poitiers hervor. Im Rahmen einer tiefgreifenden Strukturreform gewann die katholische Erzdiözese in den vergangenen Jahren Tausende ehrenamtlicher Mitarbeiter für ihre Gemeinden hinzu, darunter auch viele, die ihnen zuvor fernstanden. Der emeritierte Erzbischof von Poitiers, Albert Rouet, ermutigte seine deutschen Zuhörer in Greifswald zu ähnlichen Schritten. "Wer Vertrauen schenkt, gewinnt Vitalität", versicherte er. "Viele Menschen warten nur darauf, dass man sie ruft."
Von Gregor Krumpholz (KNA)