Katholisch.de begleitet den Oberhirten von Görlitz

Ein Tag mit Bischof Wolfgang Ipolt

Veröffentlicht am 20.04.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Görlitz ‐ Als Bischof von Görlitz ist Wolfgang Ipolt der Oberhirte von Deutschlands kleinstem und östlichstem Bistum. Die geringe Zahl der Katholiken und die Lage am Rand der Republik prägen den Alltag in der Diözese. Um einen genaueren Einblick zu bekommen, hat katholisch.de den Bischof einen Tag lang bei seinem Dienst begleitet.

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Eigentlich ist der Amselgrund in Görlitz eine ziemlich unscheinbare Straße. Gesäumt von einfachen Siedlungshäusern mit akkurat gepflegten Vorgärten endet die steil abfallende Straße schon nach rund 170 Metern als Sackgasse vor einem Kleingartenverein. Außer für seine Bewohner wäre der Amselgrund deshalb normalerweise nicht der Rede wert, doch für diesen Text spielt das Sträßchen eine wichtige Rolle. Denn im letzten Haus links wohnt der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt – und um den geht es in dieser Geschichte.

Einen Tag lang begleite ich Ipolt in seinem Alltag als Bischof von Deutschlands östlichstem Bistum – vom Frühstück bis in den späten Abend. Auf meine Anfrage hin hatte er vorgeschlagen, den gemeinsamen Tag um 7 Uhr mit einem "einfachen Frühstück" bei ihm zu Hause zu beginnen. Als ich am vereinbarten Tag pünktlich an seiner Haustür klingele, dauert es nur wenige Augenblicke, ehe der Bischof persönlich die Tür öffnet. "Guten Morgen", begrüßt er mich gut gelaunt und bittet herein. Im Flur hänge ich meine Jacke an die Garderobe, bevor Ipolt mich direkt ins Esszimmer lenkt, wo entgegen der Einladung ein ziemlich reich gedeckter Frühstückstisch mit frischen Brötchen, Aufschnitt, Marmelade und Joghurt wartet.

Um 5.15 Uhr klingelt Ipolts Wecker

Als wir sitzen und der Bischof Kaffee eingeschenkt hat, ist die erste Gelegenheit zum Gespräch. Zunächst erzählt Ipolt mir von seiner morgendlichen Routine: Sein Wecker klingelt um 5.15 Uhr, dann geht es ins Bad, wo während der Morgentoilette das Radio läuft, um in Sachen Weltgeschehen auf den aktuellen Stand zu kommen. Anschließend geht es in die Hauskapelle im Souterrain, wo der Bischof 45 Minuten betet und meditiert, ehe er um 7 Uhr im Esszimmer frühstückt, Zeitung liest und digitale Nachrichten konsumiert.

Bild: ©KNA/Sven Döring

Der Tag beginnt mit einem reichhaltigen Frühstück im Privathaus des Bischofs. Hier erzählt er bei Kaffee und Brötchen von seiner morgendlichen Routine.

Das Zimmer, in dem auch wir an diesem Morgen Platz genommen haben, weist neben den wuchtigen Holzmöbeln nur wenige persönliche Gegenstände auf – darunter aber solche, die für Ipolts Leben einige Bedeutung haben: links an der Wand eine Kopie seiner bischöflichen Ernennungsurkunde und ein gemeinsames Foto mit Papst Benedikt XVI., der ihn 2011 zum Bischof ernannt hat; rechts auf einem Sideboard eine kleine Statue der Görlitzer Bistumspatronin Hedwig von Andechs und daneben an der Wand eine Marienikone. "Ich habe mich schon als Student intensiv mit der Ostkirche beschäftigt", erzählt Ipolt beim Blick auf die Ikone. Der emotionale, vom Herzen kommende Zugang der Ostkirche zum christlichen Glauben tue "uns verkopften Westeuropäern" gut, sagt er. Deshalb wolle er auch, dass die Ostkirche in seinem Haus sichtbar präsent sei.

Nach dem Frühstück führt Ipolt durch das Haus. Der Schreibtisch im Arbeitszimmer im Obergeschoss ist klein und aufgeräumt, ins Auge fallen lediglich die aktuelle Ausgabe des "Vatican Magazin" mit Benedikt XVI. auf dem Titel und das Buch "Kirche wohin?" des Dogmatikers Gisbert Greshake. An der Wand hängen zwei weitere Ikonen und ein Bild von Ipolts Eltern, in einer Ecke steht eine Gitarre. "Manchmal spiele ich noch ein bisschen, aber nicht mehr so viel wie früher", erzählt der Bischof. Im Souterrain, zu dem eine steile Holztreppe hinunterführt, zeigt er anschließend die Hauskapelle. Darin befinden sich ein paar Stühle, ein einfacher Altar aus Holz und ein Tabernakel aus DDR-Zeiten, der die Fußwaschung Jesu zeigt. "Ich bin froh, dass ich diesen Ort habe, denn ich will als Bischof nicht nur Manager sein", sagt Ipolt. Beim Gebet sei hier schon manche wichtige Entscheidung gereift.

Zur Arbeit fährt der Bischof mit dem E-Bike

Es ist 9 Uhr, als wir wieder im Erdgeschoss ankommen und Ipolt ankündigt, nun ins Ordinariat zu fahren. Als wir kurz darauf vor seiner Garage stehen, lässt er sein Auto allerdings stehen und schwingt sich stattdessen auf ein E-Bike. "Die Wege hier in Görlitz sind kurz und das Radfahren tut mir gut", sagt er noch, ehe er mit Schwung den Amselgrund hinauffährt.

Bild: ©KNA/Sven Döring

Der erste Weg nach seiner Ankunft im Ordinariat führt Bischof Ipolt in das Büro seiner Sekretärin Martina Laube. Mit ihr spricht er kurz die Termine des Tages durch.

Im Ordinariat angekommen wartet nach einem kurzen Plausch mit seiner Sekretärin zunächst Schreibtischarbeit auf Ipolt. Ich nutze die Gelegenheit, mich in seinem Büro umzusehen. Vor allem eine fast lebensgroße Statue der heiligen Hedwig, ein großes Kruzifix und ein Abreißkalender mit dem Titel "Heiterkeit würzt das Leben" fallen ins Auge.

Das Görlitzer Ordinariat hat seinen Sitz in einer schmucken Gründerzeitvilla in der Nähe der Kathedrale St. Jakobus. Die Atmosphäre in der Verwaltungsbehörde ist durchaus familiär, was vor allem daran liegt, dass hier nur etwa 25 Menschen arbeiten – "inklusive Putzfrau", wie der Bischof lachend betont. Weil das Ordinariat so klein ist, haben die meisten Angestellten mehrere Funktionen inne. Das gilt auch für den Bischof. Er ist nicht nur Oberhirte, sondern in Personalunion auch Beauftragter für die Ständigen Diakone und Ordensreferent der Diözese. "Wenn ich unsere Ordensleute besuche, sage ich bewusst 'Hier kommt der Ordensreferent'", erzählt er mit einem Schmunzeln.

Der Bischof über die Vor- und Nachteile seines kleinen Bistums

Die geringe Größe des Ordinariats und des Bistums – es zählt nur rund 30.000 Gläubige und ist damit mit Abstand das kleinste Deutschlands – hat aus Ipolts Sicht Vor- und Nachteile. Natürlich sei es schön, wenn man alle der rund 40 Priester und so gut wie jeden engagierten Katholiken in der Diözese persönlich kenne. Zu viel Nähe sei allerdings auch nicht gut, weil sie einen manchmal zögern lasse, unbequeme Entscheidungen zu treffen. Dennoch überwiegen für Ipolt die Vorteile: "Die großen Bistümer haben mit Blick auf die Zukunft mehr zu verlieren als wir – vor allem in finanzieller Hinsicht." Er selbst sehe der Zukunft dagegen gelassen entgegen.

Bild: ©KNA/Sven Döring

Der erste offizielle Termin an diesem Morgen findet im Büro des Bischofs statt: Um 10 Uhr kommt die Liturgie-Kommission des Bistums zu ihrer halbjährlichen Sitzung zusammen.

Wenn Ipolt im Ordinariat etwas besprechen will, sind auch hier die Wege kurz. Generalvikar Alfred Hoffmann etwa residiert im Zimmer direkt nebenan. Der erste offizielle Termin an diesem Morgen findet aber im Büro des Bischofs statt. Um 10 Uhr kommt die vierköpfige Liturgie-Kommission zu ihrer halbjährlichen Sitzung zusammen. Themen der Besprechung sind unter anderem die Wort-Gottes-Feiern im Bistum, die musikalische Gestaltung der diesjährigen Bistumswallfahrt und die Erarbeitung eines liturgischen Knigges. "Mitunter schleichen sich bei manchem Priester gewisse Gewohnheiten in die Liturgie ein, die im gottesdienstlichen Geschehen eigentlich nicht vorgesehen sind. Darauf soll der Knigge hinweisen", erklärt Ipolt die Idee. Doch das Gremium entscheidet sich gegen den Vorschlag, stattdessen soll für die Priester ein Workshop zur liturgischen Fortbildung angeboten werden.

Von der Sitzung der Liturgie-Kommission geht es für Ipolt direkt zum Angelusgebet. Jeden Mittag um 12 Uhr kommen die Mitarbeiter des Ordinariats im Erdgeschoss des Gebäudes zusammen, um eine kurze Pause vom Arbeitsalltag einzulegen und gemeinsam zu beten. Wer Bedarf hat, kann danach noch kurze Absprachen mit dem Bischof treffen oder ihn um eine schnelle Unterschrift bitten, ehe der 65-Jährige mit seinem E-Bike unmittelbar danach zurück in den Amselgrund fährt.

Dort angekommen trifft Ipolt Generalvikar Hoffmann wieder, denn der ist nicht nur im Büro sein Nachbar, sondern auch privat. Deshalb treffen sich beide auch fast jeden Tag zum Mittagessen im Bischofshaus. An diesem Tag gibt es Tafelspitz, den Ipolts im Hintergrund wirkende Haushälterin gekocht hat. Dienstliches besprechen die beiden Männer bei diesen Treffen nur in Ausnahmefällen – "man muss schließlich auch mal abschalten", so Hoffmann. Damit ist zugleich das Motto für die nächste Stunde gesetzt, die für eine Mittagspause vorgesehen ist. Nachdem Hoffmann und Ipolt gemeinsam den Esstisch abgeräumt haben, ziehen sie sich zurück.

Bild: ©KNA/Sven Döring

Bischof Ipolt im Treppenhaus des Görlitzer Ordinariats, in dem eine Bildergalerie mit Ipolts Amtsvorgängern hängt.

Der nächste Termin steht um 14.30 Uhr wieder im Ordinariat an. Weil es regnet, fährt Ipolt ausnahmsweise mit seinem Auto – einem Golf Sportsvan, dessen Kennzeichen mit "GL 860" endet. Das ist kein Zufall, sondern verweist auf das Neuzeller Wallfahrtslied "Maria, Mutter, Friedenshort", die Nummer 860 im ostdeutschen Eigenteil des Gotteslobs.

Die zölibatäre Lebensform als "eine Frage des Glaubens"

Vor Ipolts Büro wartet bereits Markus Winzer. Er ist der derzeit einzige Weihkandidat im Bistum Görlitz und muss heute beim Bischof sein Skrutinium absolvieren, das finale Prüfungsgespräch vor der Diakonenweihe. Sollte Winzer, der aus der Kleinstadt Wittichenau in der Oberlausitz stammt, aufgeregt sein, lässt er sich das nicht anmerken. Bischof Ipolt sorgt aber auch für eine angenehme Atmosphäre, indem er vor Beginn des offiziellen Gesprächs erstmal eine Kerze anzündet und ein bisschen Smalltalk macht.

Nach der einstündigen Prüfung, die Winzer erfolgreich absolviert, frage ich den Bischof, ob sein Bistum und die katholische Kirche insgesamt ohne den verpflichtenden Zölibat mehr Priesteramtskandidaten hätten. Doch er verneint. "Die Abschaffung des Zölibats würde nicht alle Probleme lösen, sondern ganz sicher auch andere Probleme schaffen", so Ipolt. Beispielhaft nennt er familiäre Verpflichtungen, denen sich ein verheirateter Priester gegenübersehen würde. Der Zölibat ermögliche stattdessen eine Konzentration auf und eine Verfügbarkeit für den priesterlichen Dienst – "und vor allem ist diese Lebensform für mich eine Frage des Glaubens".

Bild: ©KNA/Sven Döring

Die Werktagsmesse im St.-Otto-Stift zelebriert Bischof Ipolt gemeinsam mit drei anderen Priestern seines Bistums, darunter Generalvikar Alfred Hoffman (2. v. l.).

Schnell geht es danach zurück in den Amselgrund. Hier wartet bereits Pfarrer Wolfgang Kresák auf den Bischof. Bei Kaffee und Kuchen wollen beide über aktuelle Themen in Kresáks Pfarrei sprechen. Das Gespräch findet in gelöster Atmosphäre statt, denn die Geistlichen kennen sich schon lange und sind durch frühere Aufgaben in der Priesterausbildung verbunden.

"Wir haben über Jahrzehnte die Erwachsenenkatechese vernachlässigt"

Die letzten beiden Termine des Tages finden danach wieder "oben" statt, wie Ipolt im Vergleich mit seinem Haus im Amselgrund das geografisch leicht höher liegende Ordinariat und das gegenüber davon beheimatete St.-Otto-Stift nennt. In dem ehemaligen Seniorenheim feiert der Bischof um 18 Uhr gemeinsam mit drei anderen Priestern und zehn Gläubigen die Werktagsmesse. Die findet sonst eigentlich in der benachbarten Kathedrale statt, doch die ist seit dem 10. Februar wegen Bauarbeiten geschlossen.

Nach dem Gottesdienst hat Ipolt ein bisschen Zeit. Wir setzen uns auf eine Holzbank und reden über die "heißen Eisen" in der katholischen Kirche. Dass er kein allzu großer Fan des Synodalen Wegs ist, ist bekannt – gleichwohl beteiligt er sich an dem Prozess, bei dem er jüngst in das Forum "Priesterliche Lebensform" gewählt wurde. Er schränkt aber ein: "Die Probleme, die beim Synodalen Weg im Fokus stehen, haben in unserem Bistum keine allzu große Bedeutung." Ob Missbrauch ("Wir haben in unserer Diözese nur einen bekannten Fall"), die Frauenbewegung "Maria 2.0" ("Diese Gruppierung gibt es bei uns nicht") oder die Diskussion um eine mögliche Öffnung der Priesterweihe für Frauen ("Wenn überhaupt sind das bei uns nur einzelne Frauen, die das fordern – und mit denen kann man vernünftig reden") – die großen Aufregerthemen der jüngsten Vergangenheit erscheinen aus Görlitzer Perspektive eher klein. Ipolt brennt stattdessen ein anderes Thema unter den Nägeln. "Wir haben über Jahrzehnte die Erwachsenenkatechese vernachlässigt", sagt er. Dadurch sei das Glaubenswissen eher gering. Die Menschen verstünden zum Beispiel die Bedeutung der Sakramente und das Geheimnis der Kirche heute nur schwer. Da müsse man ran.

Bild: ©KNA/Sven Döring

Zum Abschluss des Tages steht ein Treffen der katholischen Priester aus Görlitz und der polnischen Nachbarstadt Zgorzelec auf dem Programm. Dabei wird auch für das leiblich Wohl gesorgt.

Dass er mit solchen Diagnosen zur konservativen Minderheit in der Deutschen Bischofskonferenz gehört, stört Ipolt nicht: "Ich weiß, dass ich in manchen Fragen keine Mehrheitspositionen vertrete." Als Bischof lasse er sich jedoch von seinem Gewissen und seinem theologischen Sachverstand leiten. "Ich muss immer sehen, was ich in meinem Bistum verantworten kann und was dem Wachstum des Glaubens der Schwestern und Brüder wirklich dient. Das ist für mich ein wichtiges Kriterium in meinem Dienst", betont er.

Mitgliederzuwachs dank polnischer Zuzügler

Der letzte Termin des Tages findet anschließend wieder im Ordinariat statt. Auf dem Programm steht ein Treffen der katholischen Priester aus Görlitz und der polnischen Nachbarstadt Zgorzelec. Beide Städte sind nur durch die Neiße voneinander getrennt und wachsen seit dem EU-Beitritt Polens immer mehr zusammen. Ein Ergebnis dieser Entwicklung: In den vergangenen Jahren sind viele Polen in die grenznahen Gebiete auf deutscher Seite und damit auch in das Bistum Görlitz gezogen – teilweise, weil sie hier eine besser bezahlte Arbeit gefunden haben, teilweise, weil die Grundstücks- und Wohnungspreise hier günstiger als auf polnischer Seite sind. Diesem Zuzug der überwiegend katholischen Polen hat das Bistum es zu verdanken, dass es in den vergangenen Jahren als einzige deutsche Diözese einen Mitgliederzuwachs verzeichnen konnte.

Die Treffen der Priester, die viermal im Jahr stattfinden, sollen einen Erfahrungsaustausch ermöglichen und die Geistlichen beider Städte näher zusammenführen. Für Ipolt sind diese Zusammenkünfte auch ein Beitrag zum Zusammenwachsen Europas. "Wer, wenn nicht wir hier in Görlitz, wäre dafür geeignet, Europa aufzubauen", betont er. Die Treffen haben meist ein konkretes Thema, diesmal geht es um die Frage, wie Kinder in Deutschland und Polen mit dem Evangelium in Berührung gebracht werden. Und auch für das leibliche Wohl wird gesorgt. Als Ipolts Sekretärin nach Suppe, Hauptgang und Dessert damit beginnt, eine Runde Nordhäuser Doppelkorn auszuschenken, ziehe ich mich nach einem langen Tag zurück.

Von Steffen Zimmermann

Hinweis

Der Tag mit Bischof Wolfgang Ipolt hat am 19. Februar und damit vor Ankunft der Corona-Pandemie in Deutschland stattgefunden.