Schriftliche und archäologische Quellen geben Auskunft über Frauen in Galiläa

Starke Frauen zur Zeit Jesu

Veröffentlicht am 10.01.2021 um 12:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Man muss schon sehr genau hinschauen: So wie Frauen bis heute vielfach in Kunst, Literatur und Musik von der Tradition "vergessen" werden, war es auch in den Berichten der ersten Jahrhunderte. Da tauchten sie meist nur am Rande auf – und spielten dennoch eine wichtige Rolle.

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Über die Situation von Frauen in Palästina zur Zeit Jesu und der Rabbinen geben schriftliche und archäologische Quellen Auskunft. Weder das Neue Testament, noch die frühen rabbinischen Quellen wollen historische Berichte sein. Sie sind immer auch literarische Mittel, mit denen jedes Evangelium und jedes rabbinische Werk spezifische Interessen verfolgt, die in Rechnung zu stellen sind. Quellen, wie der Pilgerbericht der Egeria, in denen Frauen selbst zu Wort kommen, haben Seltenheitswert. In den archäologischen Quellen werden Frauen nur ausnahmsweise sichtbar.

Frauen im Neuen Testament

In den Erzählungen der Evangelien, die um den See Gennesaret und in Galiläa angesiedelt sind, kommen Frauen vor allem in zwei Rollen vor. Es gibt Frauen, die von Jesu Heilungswundern profitieren und solche, die Jesus nachfolgen.

Geheilte Frauen

In den Wundererzählungen kommen Frauen als besonders Schutzbedürftige und potentiell Ausgegrenzte in den Blick. Das Lukasevangelium hat ein deutlich ausgeprägteres Interesse an Frauen als das Markus- und das Matthäusevangelium. In der Erzählung um die Heilung der blutflüssigen Frau (Mk 5,21-43//Mt 9,18-26//Lk 8,40-56) lässt Jesus sich von einer kultisch unreinen Frau berühren. Jesus erweckt die Tochter des Jairus. In der Erzählung über die Auferweckung des Jünglings von Nain (Lk 7,11-17) konzentriert sich der Text ganz auf die Mutter, die als Witwe und nach dem Tod ihres einzigen Sohnes kinderlose Frau doppelt schutzbedürftig ist.

Die erste Diakonin

Eine Sonderrolle spielt die Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29-31/Mt 8,14-15). Nach ihrer Heilung macht sie sich sogleich daran, Jesus (Mt 8,15) bzw. auch seinen Jüngern (Mk 1,31; Lk 4,39) zu "dienen". Im Griechischen steht hier das Verb diakonein. Diese "diakonische" Tätigkeit beinhaltet vor allem bei Matthäus, wo sie Jesus alleine gilt, die Entscheidung zur Nachfolge.

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Nachfolgerinnen und Sponsorinnen Jesu

Auf Frauen in Jesu Nachfolge kommen das Markus- und das Matthäusevangelium erst im Rückblick und eher beiläufig zu sprechen. Von den Frauen unter dem Kreuz (Mk 15,40f./ Mt 27,55) wird erzählt, diese seien ihm, als er in Galiläa war, gefolgt und hätten ihm dort gedient (wieder das Wort diakonein). Was dieser Dienst beinhaltet, wird nicht weiter ausgeführt. Im Lukasevangelium wird aus der Notiz über die Frauen unter dem Kreuz (Lk 24,49) ein Rückverweis auf die Erwähnung der Frauen bereits in Galiläa, die so nur das Lukasevangelium kennt (Lk 8,1-3). Die Nennung der Namen differiert. Markus nennt Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome (Mk 15,40f.), Matthäus nennt Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und des Josef, und die Mutter der Söhne des Zebedäus (Mt 27,55). Bei der Erwähnung der Frauen unter dem Kreuz werden im Lukasevangelium keine Namen genannt, und es ist auch nur von der Nachfolge, nicht vom Dienst der Frauen seit Galiläa die Rede. In Lk 8,1-3 nennt das Lukasevangelium Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren, und Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes Antipas, des Landesherren Jesu, und Susanna und viele andere. Bei Lukas wird der Dienst der Frauen in finanzieller Unterstützung konkret ("die ihnen mit ihrer Habe dienten"). Das setzt einigermaßen wohlhabende Frauen voraus, wie sie in der Johanna, der Frau eines Beamten des Herodes, ja auch Gestalt gewinnt, und mag eher ein Reflex auf die Sozialstruktur der lukanischen Gemeinde als auf die Situation der frühen Jesusbewegung sein. Lukas trägt damit eine Differenz zwischen dem Dienst von Frauen und Männern innerhalb der Jesusbewegung in den Text ein, der den beiden anderen Evangelien so unbekannt ist.

Maria aus Magdala

Allein Maria aus Magdala, einer Stadt am Westufer des Sees Gennesaret, wird in allen Listen erwähnt. Dass Maria über ihren Herkunftsort und nicht über den Ehemann, über Söhne oder den Vater definiert wird, lässt darauf schließen, dass sie Magdala – wohl in der Nachfolge Jesu – verlassen hat, und dass sie ohne Familienanschluss ist. Außer ihrem Namen und ihrer Herkunft ist von ihr nichts bekannt. Dass Lukas berichtet, Jesus habe ihr sieben Dämonen ausgetrieben (Lk 8,2), rückt sie innerhalb des Lukasevangeliums in den Kreis der von Jesu geheilten Frauen und bietet einer nicht unproblematischen Wirkungsgeschichte Anknüpfungspunkte, die aus Maria Magdalena eine Sünderin macht.

Weitere namenlose Frauen in der Nachfolge Jesu

Wenn Frauen seit Galiläa unter denen sind, die Jesus nachfolgen, muss damit gerechnet werden, dass sie auch dort mitgemeint sind, wo sie nicht explizit erwähnt werden. Zu den "wahren Verwandten Jesu", die Jesus in Mk 3,31-35 / Mt 12,46-50 den Vertretern seiner Familie gegenüberstellt, zählen auch Frauen. Das Jesuswort, das zum Hintenanstellen der Herkunftsfamilie auffordert, ist in unterschiedlichen Formen überliefert. Nur Lk 14,26 nimmt, wenn vom Zurücklassen der Ehefrau die Rede ist, eine dezidiert männliche Perspektive ein. Handelt es sich um eine Erweiterung einer älteren Fassung, wie sie in Mk 10,29f und Mt 10,37f überliefert ist, macht diese ältere Fassung zwischen männlichen und weiblichen Anhängern Jesu keinen Unterschied. Zu den Jüngern, deren Kreis über den der zwölf Apostel hinausgeht, zählen auch Frauen. Das ist überall dort vorauszusetzen, wo in den Evangelien undifferenziert von "Jüngern" die Rede ist.

Maria Magdalena
Bild: ©picture alliance/Godong/P Deliss / GODONG

Nach dem Lukasevangelium (Lk 7,36-39) weinte eine Sünderin auf Jesu Füße, trocknete sie dann mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit kostbarem Öl. Diese Frau wurde in der kirchlichen Tradition häufig mit Maria Magdalena gleichgesetzt.

Der Pilgerbericht der Egeria

Auch wenn die Jesusbewegung in Galiläa ihren Anfang nimmt und nennenswerte Anteile der Evangelien dort spielen, lässt sich eine christliche Präsenz in Galiläa archäologisch erst sehr viel später, ab etwa dem 4. Jh. nachweisen. Aus dieser Zeit stammen auch Pilgerberichte, wie der der aus Aquitanien oder Galizien stammenden und der Oberschicht angehörenden Egeria, die ihren Reisebericht an einen Kreis religiöser Frauen adressiert, dem sie sich zurechnet. Egerias Pilgerbericht legt ein frühes Zeugnis von einer christlichen Memoriallandschaft in Galiläa ab. Manche Forscher gehen so weit zu vermuten, das Christentum in Galiläa sei erst das Produkt der mit der Förderung des Christentums durch Konstantin einsetzenden Pilgerbewegung, in der Frauen eine wichtige Rolle spielen.

Paregri – die Stifterinschrift der Synagoge von Sepphoris

In etwa derselben Zeit etabliert sich in Galiläa allmählich das Zentrum des rabbinischen Judentums, dessen Anfänge auf die Zeit nach der Zerstörung des Tempels zurückreichen. Mischna (ca. 200 nC) und Talmud (ca. 500 nC) haben ihre Wurzeln in Galiläa. Wie beschränkt allerdings der Einfluss des späteren rabbinischen Judentums noch im 4. Jh. in Galiläa ist, zeigt die Ausgestaltung der Synagogen mit Motiven, die in Widerspruch mit dem talmudischen Bilderverbot stehen und hellenistischen Motiven auf den Sarkophagen von Beth Schearim. Frauen werden in diesen archäologischen Funden nur ausnahmsweise sichtbar. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist eine der Stifterinschriften der Synagoge von Sepphoris, die eine Paregri neben ihrem Vater, den Priester, nennt. Der volle Text der aramäischen Inschrift lautet: "Er soll zum Guten erinnert werden, Judan, Sohn des Isaak, des Priesters, und Paregri, seine Tochter. Amen. Amen." Paregri ist ein wenig geläufiger Name, findet sich aber in seiner männlichen Form Paregorius als griechische Variante des hebräischen Namens Menahem. Hier zeigt sich, dass hellenistische Einflüsse sich mit lokalen Traditionen verbinden. Im gräzisierten Namen der in einer aramäischen Inschrift erwähnten Frau zeigt sich, dass Frauen aktiv an diesem pluralen Setting teilnahmen.

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Frauen in Rabbinischen Quellen

Noch schwerer als das Neue Testament lassen sich rabbinische Quellen auf historisch valente Informationen hin befragen. Inwieweit Rabbinennamen sich auf die Datierung der ihnen zugeschrieben Aussagen hin auswerten lassen, ist umstritten. Wenige Frauen werden in den rabbinischen Quellen namentlich genannt.
Eine Frau namens Beruriah begegnet uns in der Tosefta (ca. 200 nC) (tKelim Bava Metzia 1:6) und im Babylonischen Talmud. Sie ist die Frau des Rabbi Meir, einer der zentralen Gestalten des rabbinischen Judentums in Galiläa nach dem Bar-Kochbar-Aufstand (132—135 nC). Als die herausragende Toragelehrte und Ausnahmegestalt, als die der Babylonische Talmud sie präsentiert, eignet sie sich weniger als Rollenmodell denn als Illustration eines unerreichbaren Ideals, und unterstreicht so die auch an anderer Stelle im Talmud (allerdings nicht unwidersprochen) vertretene Meinung, Frauen eigneten sich nicht zum Torastudium. Die Tosefta lässt sie mit Rabbi Tarfon diskutieren, den sie in die Zeit vor dem Untergang des zweiten Tempels datiert. Nichtsdestotrotz mag hinter der deutlich zurückhaltenderen Darstellung der Tosefta, die Beruriah als halachische Autorität in einer bestimmten Frage zitiert, eine historische Figur stehen. Mit einer anderen namenlosen Frau, deren Meinung in einer halachischen Frage die Tosefta zustimmend zitiert (tKelim 4:17), ist sie wohl nicht zu identifizieren. Beide Zitate sind ein Hinweis darauf, dass es in den Anfängen der rabbinischen Bewegung jedenfalls nicht unvorstellbar war, dass Frauen zum Torastudium zugelassen wurden.

Schriftliche wie archäologische Zeugnisse, die in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung um den See Gennesaret herum entstanden sind oder von Frauen dort handeln, weisen über die Einzelbeispiele die in ihnen greifbar werden, hinaus. Aber nur wenn sie in ihrem Kontext wahrgenommen werden, werden sie über ihn hinaus bedeutungsvoll und verleihen den Frauen hinter den Texten und Funden eine Stimme.

Von Johanna Erzberger

Die Autorin

Dr. Johanna Erzberger ist Alttestamentlerin und derzeit Inhaberin des Laurentius-Klein Lehrstuhls des Theologischen Studienjahrs Jerusalem (derzeit wegen der Corona-Pandemie in Rom).

Hinweis: Zeitschrift "Welt und Umwelt der Bibel"

Der Artikel ist zuerst im Heft 1/21 der Zeitschrift "Welt und Umwelt der Bibel" des katholischen Bibelwerks erschienen. In der Ausgabe geht es um den See Gennesaret – Neue Forschungen zur Heimat Jesu.